Anzeige

Sheryl Sandberg: Mrs. Boss

Facebook-Chefin Sheryl Sandberg hat eine Mission: Die Hälfte der Firmen soll von Frauen geführt werden und die Hälfte der Haushalte von Männern. Privat aber ist sie längst nicht so hart wie ihr Programm. Ein Porträt über die Frau, die mit ihren Forderungen eine weltweite Debatte ausgelöst hat.
Sheryl Sandberg, 43, hat zwei Kinder und ist seit 2008 Geschäftsführerin bei Facebook. Zuvor war sie Stabschefin in der Clinton-Regierung und hat Google groß gemacht. Sie besitzt hunderte Millionen Dollar.
Sheryl Sandberg, 43, hat zwei Kinder und ist seit 2008 Geschäftsführerin bei Facebook. Zuvor war sie Stabschefin in der Clinton-Regierung und hat Google groß gemacht. Sie besitzt hunderte Millionen Dollar.
© Pascal Lauener/Reuters

Sie war kurz vor ihrem Abschluss an der North Miami Beach Highschool, als ihre Mitschüler sie zu jener wählten, "die am ehesten Karriere machen" würde. Sheryl Sandberg war starr vor Schreck. Sie wollte ein Date für den Abschlussball - dafür, so glaubte sie, wäre die Auszeichnung höchst hinderlich, jedenfalls für ein Mädchen. Sheryl sorgte dafür, dass die Erfolgsprognose jemand anders zugeschrieben würde.

Gut 25 Jahre später ziert Sandberg das Cover des "Time"-Magazins. Eine elegante Frau im taillierten Cocktailkleid. Sie steht da mit mädchenhaft-schüchtern überkreuzten Beinen, eine Pose, die so gar nicht zu ihrem kühn entschlossenen Gesichtsausdruck passen will. "Hasst sie nicht, nur weil sie erfolgreich ist", heißt die Titelzeile.

Hört endlich auf, euch in Frage zu stellen.

Sheryl Sandberg, 43, Geschäftsführerin bei Facebook, die rechte Hand von Mark Zuckerberg, hat ihr Lebensthema zu einem Buch gemacht, das Frauen zum Führen ermuntert. "Lean in", zu Deutsch etwa: "Wagt euch vor". Ihre Vision: eine Welt, in der die Hälfte der Firmen von Frauen geführt wird und die Hälfte der Haushalte von Männern. Ein strammes Ziel, das weiß sie. "Die nackte Wahrheit ist: Männer regieren die Welt." Sandberg beklagt nicht die ewig bekannten strukturellen Gründe: die Arbeitgeber, die Politik, die Männer. Sie zielt auf innere Barrieren, darauf, wie Frauen sich selbst blockieren. Und verkündet Unbequemes: Frauen fehle es an Mut und Selbstvertrauen. Ihr Appell: Hört endlich auf, euch ständig in Frage zu stellen, Männer tun das auch nicht. Hebt die Hand, mischt euch ein, setzt euch in die erste Reihe, habt Mut zum Risiko.

Mit ihren knallharten Forderungen und provokanten Thesen hat Sandberg einen Nerv getroffen. Sie bekommt viel Lob und Zustimmung von Frauen, die begeistert sind. Weil Sandberg sich so radikal für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt und weil sie sich traut, die Schwächen von Frauen klar zu benennen. Aber es gibt auch Protest von Frauen, die sich nicht den Schwarzen Peter zuschieben lassen wollen, schon gar nicht von einer derart privilegierten Karrierefrau. Sandberg sei weltfremd und abgehoben, die meisten Frauen hätten ganz andere Probleme. Und wollten sich nicht bevormunden lassen.

Kommt ein Krieg der Mütter auf uns zu? Sicher ist: Sandberg hat schon jetzt die Frauenbewegung in eine neue Dimension gehoben. Sie hat eine Kampagne losgetreten und will erreichen, dass sich möglichst viele berufstätige Frauen vernetzen und nach oben streben. Dafür hat sie die "Lean In Community" ins Leben gerufen, ein globales Netzwerk, in dem sich Frauen weiterbilden, beraten, treffen und gegenseitig die Geheimnisse der Macht verraten können.

Sheryl Sandberg beherrscht die Spielregeln, das kann ich bei der Vorstellung ihres Buches in der Firmenzentrale von Facebook beobachten. Ein großer Raum, eine Wand signalrot gestrichen. Sandberg trägt ein schwarz-weißes Kleid, Haare und Make-up sitzen perfekt. Sie begrüßt jeden Einzelnen mit Handschlag, lächelt und wirkt ehrlich erfreut, obwohl ein Interview-Marathon bevorsteht. Sehr feminin ist sie, beherrscht den Augenaufschlag von unten, schaut einen an aus tiefbraunen Augen, flirtet. Ihr Buch erscheint in 20 Ländern, es hat viele prominente Unterstützer; für die französische Ausgabe liefert Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), das Vorwort. Es sei kein feministisches Manifest, schreibt Sheryl Sandberg - "na ja, vielleicht doch". Noch vor Jahren, räumt sie ein, hätte sie einen Bogen um das "F-Wort" gemacht, der Begriff schien so negativ belegt. "Heute bin ich stolz darauf, mich Feministin zu nennen."

Ihr Leben fand immer auf der Überholspur statt. Klassensprecherin mit Musternoten schon in der Schule, dann Harvard; als ihr ehemaliger Professor Larry Summers zur Weltbank ging, nahm er sie mit, sie wurde seine Stabschefin in der ClintonRegierung, danach Vizepräsidentin bei Google. Seit 2008 ist sie bei Facebook, seit einigen Monaten sitzt sie im Verwaltungsrat - als einzige Frau.

Mit scharfem Verstand, Ehrgeiz und Glück allein ist ihre Paradekarriere nicht zu erklären. Sondern auch mit emotionaler Intelligenz. Sheryl Sandberg hat die Fähigkeit, Menschen über den Augenblick hinaus an sich zu binden und tiefe Beziehungen zu halten. Mit einer Gruppe von sechs Frauen aus Miami ist sie befreundet, seit sie gemeinsam zur Schule gingen. Sie alle kommunizieren fast täglich miteinander, erzählt sie. Viel habe sie den kombinierten Eigenschaften ihrer Eltern zu verdanken, einem Augenarzt und einer Lehrerin. Der Vater habe sie angetrieben. Wenn sie im College mal einen Kater hatte, riet er, sie solle joggen gehen. Los, los, raff dich auf! Ihre Mutter sei der wärmste Mensch, den man sich vorstellen könne. Sie sei sehr traditionell erzogen worden. "Mein Vater verdiente das Geld, meine Mutter kochte. Auch mein Bruder hatte klar andere Aufgaben als meine Schwester und ich - er trug den Müll raus, wir deckten den Tisch."

Wie wollen wir an die Spitze gelangen, wenn wir nicht ehrgeizig sind?

Ein Appell im Buch lautet: Heirate den richtigen Mann, einen echten Partner, der wirklich die Hälfte der Windeln wechselt. Sie hat es so gemacht und in zweiter Ehe ihren besten Freund, heute Chef eines Umfrageportals, geheiratet. Die Kinderbetreuung teilen sie sich, am Anfang jeder Woche legen sie die Aufgaben fest. Die Familie lebt in einem 8-Millionen-Dollar-Anwesen in Atherton, einem der reichsten Orte der USA, wenige Autominuten von der Facebook-Zentrale entfernt.

Seit dem Börsengang von Facebook ist sie eine der reichsten Frauen der Welt. Sie hat hunderte Millionen auf dem Konto und mehr in Aktien. Sie arbeitet viel, auch abends. Aber jeden Tag pünktlich um 17.30 Uhr verlässt sie das Büro - dann fährt sie nach Hause und isst mit ihren kleinen Kindern und ihrem Mann zu Abend. Vor ein paar Jahren noch tat sie das heimlich, heute macht sie keinen Hehl daraus. Sie ist in einer Position, es sich leisten zu können, aber mit dem Wort Ehrgeiz ist sie vorsichtig: "Ich kenne keine Frau, die darüber spricht. Das ist ja genau der Punkt: Wie wollen wir an die Spitze gelangen, wenn wir nicht ehrgeizig sind? Aber denken Sie über den folgenden Satz nach: ‚Sie ist wirklich ehrgeizig.' Klingt das für Sie positiv?"

Sie selbst hat schon als Kind Anordnungen erteilt. Auf ihre Monologe mussten die Geschwister mit "Richtig" antworten. "Warum habe ich das Spiel anderer Kinder organisiert, als ich klein war? Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ich die Älteste war?" Aber sie will gar nicht wissen, woher dominantes Verhalten kommt, sondern wie die Gesellschaft darauf reagiert. Und wie sich die Frauen und Männer unterscheiden.

Das "Time"-Magazin zählt Sheryl Sandberg zu den 100 einflussreichsten Menschen unserer Zeit, "Forbes" ernannte sie 2011 gar zur fünftmächtigsten Frau der Welt, vor Michelle Obama. Sie habe sich geschämt, als die Liste herauskam, schreibt sie; sie tat sie gegenüber Kollegen als "lächerlich" ab.

Schon seltsam: Die mächtige Frau hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, dass Frauen nach der Macht greifen sollten, aber es fällt ihr schwer zu sagen: Ich will Macht. Sie sucht Erklärungen dafür: "Männer werden angefeuert, wenn sie nach Macht streben, und gemocht, wenn sie Macht haben. Frauen hingegen werden entmutigt und werden weniger gemocht. Studien sind da sehr eindeutig." Beim ersten Feedback-Gespräch habe Mark Zuckerberg ihr gesagt: "Du machst dir zu viele Gedanken darüber, dass man dich mag. Damit kommst du nicht weit im Leben." Macht also motiviert sie nicht? "Nein. Nicht für mich selbst. Aber für Frauen."

Sandberg guckt auf die Uhr. Es ist 17.35 Uhr, die Kinder warten. Sie muss los. Pragmatisch bietet sie an, ich solle sie zu ihrem Schreibtisch begleiten, dann hätten wir noch zwei Minuten.

Sie arbeitet in einem riesigen Großraumbüro an einem Dreiertisch, ein paar Meter von Mark Zuckerberg entfernt. Auf dem Mousepad ist ein Foto ihrer Kinder zu sehen. Sie zieht die hohen Schuhe aus und macht einen Stoßseufzer. Checkt mit halbem Auge E-Mails, zieht dabei den Mantel an. "I love you Mom", hat eins ihrer Kinder an eine Säule neben ihrem Schreibtisch gepinselt.

image

"Lean in: Frauen und der Wille zum Erfolg" heißt Sheryl Sandbergs Buch, Übersetzung: Barbara Kunz, 312 S., 19,99 Euro, Econ Verlag

Text: Steffi Kammerer BRIGITTE 9/2013

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel