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Als Soldatin im Einsatz

Kampfstiefel, Tarnanzug, knallharter Drill: Die Bundeswehr gilt noch immer als Männerbastion. Die 24-jährige Anja hat sich trotzdem für zwölf Jahre als Zeitsoldatin verpflichtet. Sie will ihr Land verteidigen und anderen helfen. Im Notfall auch mit der Waffe
Als Soldatin im Einsatz
© Anja ist gern bei der Bundeswehr. Ihr Job macht ihr Spaß

Morgens um kurz nach sechs schlüpft Anja nicht nur in andere Schuhe, sie schlüpft auch in eine andere Rolle. Ihre hochhackigen Stiefeletten tauscht sie gegen schwere Kampfstiefel in Größe 39. Dazu Jacke und Hose im Tarnmuster, ein rotes Barett auf dem Kopf, und aus Anja wird Unteroffizierin Rettig. Sie ist als Feldjägerin in der Hamburger Reichspräsident-Ebert-Kaserne stationiert.

Seit April 2006 dient die 24-Jährige in der Bundeswehr. Nach der Schule hat sie eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau gemacht. Und sich dann entschieden, Soldatin zu werden. Einige ihrer Freunde waren damals schon bei der Bundeswehr, die abwechslungsreiche Arbeit hat sie gereizt.

Zwölf Jahre lang einen sicheren Job und ein regelmäßiges Einkommen

Wie ihre männlichen Kameraden wurde auch Anja gemustert: Einen Fitnesstest und das Sportabzeichen musste sie ablegen, außerdem gab es ärztliche Untersuchungen, Englischprüfungen und ein Gespräch mit einem Psychologen. Für zwölf Jahre hat sie sich schließlich verpflichten lassen. Vielen erscheint das eine Ewigkeit - zwei Mal hintereinander könnte man in dieser Zeit Medizin studieren oder eine ganze Schullaufbahn bis zum Abitur durchlaufen. Anjas Entscheidung bedeutet aber auch, zwölf Jahre lang einen sicheren Job und ein regelmäßiges Einkommen zu haben. Sie verdient im zweiten Jahr rund 1.350 Euro plus Schichtzulagen.

An den Moment, als sie das erste Mal die Uniform trug, kann sie sich noch gut erinnern. Stolz war sie. Und hat sich gleich wohl darin gefühlt. Nach zwei Monaten Grundausbildung in Schwalmstadt gelobte Anja dann in einer Zeremonie: "Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen." Der Musikkorps spielte die Nationalhymne und den Kurfürstenreitermarsch, der Bürgermeister hielt eine Rede. "Das war alles sehr feierlich", sagt sie.

Als Feldjäger muss sie auf die Disziplin der Truppe achten

Die Feldjäger sind so etwas wie die Polizei der Bundeswehr. Sie begleiten Truppen bei Übungen, regeln den Verkehr und werden gerufen, wenn Bundeswehrfahrzeuge in einen Unfall verwickelt sind. Als militärischer Ordnungsdienst müssen sie auch auf die Disziplin der Truppe achten. Anja ist zum Beispiel regelmäßig auf Bahnhofsstreife und kontrolliert, ob die Soldaten auf dem Weg zur Kaserne ordentlich auftreten. "Wir passen auf, dass sie nicht rumlaufen wie Schlunz", erklärt sie. Und wenn ein Soldat aus der Kaserne abhaut, also fahnenflüchtig wird, sind es die Feldjäger, die ihn suchen. Die normalen Wehrdienstleistenden haben deshalb ziemlichen Respekt vor ihnen.

Im Gelände gibt es keine Unterschiede mehr zwischen Mann und Frau

Die Arbeit macht Anja Spaß. Sie sitzt nicht nur im Büro, sondern ist viel unterwegs. Ob sie Probleme hat als eine der wenigen Frauen unter lauter Männern? Anja zuckt mit den Schultern. Klar sei es nicht immer einfach sich durchzusetzen, gibt sie zu. Aber eigentlich sei der Umgangston nett und freundlich. Und bei den harten Übungen im Gelände, wenn alle an ihre Grenzen stoßen, gibt es sowieso keine Unterschiede mehr. „Dann sind wir alle gleich.“ Trotzdem ist da ein spezieller Zusammenhalt unter den weiblichen Soldaten. Man versteht sich einfach gut, hilft sich gegenseitig. „Aber das ist ja ein normales Frauending, im Büro ist es doch auch nicht anders.“

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Insgesamt acht Frauen sind in der Hamburger Kaserne stationiert. Auf dem Weg über das weitläufige Gelände begegnen uns aber nur Männer. Sobald Anja an einem ranghöheren Soldaten vorbeiläuft, führt sie die rechte Hand zackig zum Kopf und salutiert ordnungsgemäß. Die Bewegung wirkt so schnell und selbstverständlich wie ein Reflex.

Anja ist "Heimschläferin". Sie übernachtet nicht in der Kaserne, sondern fährt nach Dienstschluss zurück in ihre Hamburger Wohnung. Doch sie teilt sich mit einer Kameradin auch eine Stube auf dem Gelände. Die sieht aus wie ein Jugendherbergszimmer: kahle Wände, ein großer Schrank, Hochbetten. Nur im Badezimmer verraten bunte Shampoo-Flaschen und ein paar lange Haare auf dem Fliesenboden, dass hier zwei Frauen zuhause sind.

Es könnte jeden Moment in ein Krisengebiet gehen

Trotz Uniform und der Pflicht, die Haare stets im Zopf zu tragen, fühlt sich Anja nicht unweiblich. "Die Arbeit ist oft körperlich anstrengend, da ist es einfach praktisch so." Privat mag sie es eher schick. Dann brezelt sie sich auch mal auf, trägt hohe Schuhe und Make-up.

Bis jetzt war die 24-Jährige nur in Deutschland im Einsatz. Sie kann als Feldjägerin aber auch in Krisengebiete geschickt werden. Kosovo, Afghanistan, das Horn von Afrika - wo sie einmal landet, weiß sie nicht. Nur, dass es jeden Moment losgehen könnte. Angst, sagt sie, dürfe man nicht haben. Nur Respekt vor den Aufgaben. Dabei wirkt sie sehr ruhig. Wie eine, die weiß, wovon sie spricht.

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Man muss sich vorher darüber klar sein, dass man auch auf Menschen zielen muss

Ein paar Wochen später telefonieren wir noch einmal. Anja ist auf einer Übung, die die Soldaten auf ihre Arbeit im Ausland vorbereiten soll. "Überleben im Einsatz" heißt das. Es ist Teil ihrer Ausbildung zum Feldwebel. Zur Begrüßung sagt sie: "Moment, ich leg mal kurz die Waffe weg." Der Umgang mit dem Gewehr ist ihr nach zwei Jahren vertraut. Im Dienst sei es einfach ein Hilfsmittel, ein Utensil. "Wie für eine Bürokraft der Bleistift oder der Computer."

An das Schießen werden die Soldaten in ihrer Ausbildung langsam herangeführt. "Die Geräusche kennt man ja schon aus Filmen", sagt Anja. Man freut sich, wenn man trifft. Und durch die Übungen am Simulator werde man immer besser. Später, im Einsatz, werden die Soldaten vermutlich auch auf Menschen zielen. "Das muss einem klar sein, bevor man sich für diesen Beruf entscheidet." Immer wieder betont Anja, dass sie gut auf brenzlige Situationen vorbereitet wird. Als wolle sie sich selbst daran erinnern. Doch dann sagt sie: "Wie man tatsächlich reagiert, weiß natürlich niemand."

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Um alles zu verarbeiten braucht man Unterstützung von Familie und Freunden

Als Soldat habe man einen Auftrag. "Wir helfen ja im Ausland und unterstützen zum Beispiel die Nato." Das war für Anja auch ein Grund, zur Bundeswehr zu gehen. Sie will andere beschützen.

Zum Abschied sagt sie noch, wie wichtig es ist zu reden. Mit der Familie, mit Freunden. "Man muss erzählen, was los ist. Es gibt viele Männer, die das nicht machen. Daran können Beziehungen kaputt gehen." Ihre Familie steht voll hinter ihr. Mit ihnen spricht sie über alles. Damit sie verstehen, was für ein Leben Anja als Soldatin führt.

Frauen in der Armee

Seit dem 1. Januar 2001 können Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr Karriere machen, zum Beispiel als Panzerkommandantin, Feldjägerin oder Pilotin. Bis dahin stand ihnen nur der Sanitäts- und Militärmusikdienst offen, der Dienst an der Waffe war Frauen per Grundgesetz verboten.

Ausschlaggebend für die Öffnung der Bundeswehr war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Tanja Kreil, eine junge Elektronikerin aus Niedersachsen, hatte geklagt. Ihre Bewerbung in der Abteilung Waffenelektronik der Bundeswehr war abgelehnt worden. Für den Job hätte sie erst eine normale Soldatenlaufbahn absolvieren müssen - was als Frau nicht möglich war. Ihre Klage ging durch alle Distanzen. Der Europäische Gerichtshof gab ihr schließlich Recht, das Grundgesetz wurde geändert. Die Ironie der Geschichte: Nach dem Urteil hat Tanja Kreil nie bei der Bundeswehr gearbeitet.

Inzwischen dienen rund 14.000 Frauen in den Streitkräften der Bundeswehr. Sie machen damit knapp acht Prozent aller Berufs- und Zeitsoldaten aus. 150 weibliche Soldaten sind laut Bundeswehr beim Isaf-Einsatz in Afghanistan und Usbekistan dabei, 140 sind im Rahmen von KFOR im Kosovo stationiert. Die Frauen haben grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie ihre männlichen Kameraden. Sie werden nach den gleichen Kriterien geprüft, ausgebildet, befördert und bezahlt.

Mehr Informationen über Einstiegsmöglichkeiten bei der Bundeswehr findet ihr auf >> www.bundeswehr-karriere.de

Eine Wehrpflicht für Frauen gibt es in Deutschland nicht, der Dienst an der Waffe ist freiwillig. Anders ist das zum Beispiel in Israel. Dort müssen alle jungen Frauen zwei Jahre lang zur Armee.

Könntet ihr euch ein Leben als Soldatin vorstellen? Findet ihr es fair, dass in Deutschland nur Männer Wehr- oder Zivildienst leisten müssen? Oder sollten im Sinne der Gleichberichtigung auch Frauen dazu verpflichtet werden?

Text und Bilder Julia Müller

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