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Ukraine: Vier Frauen berichten von den Protesten

Ukraine: Vier Frauen berichten von den Protesten
© REUTERS/Konstantin Grishin
Die Situation in der Urkaine spitzt sich zu, mittlerweile starben bei den Protesten mindestens 25 Menschen, Hunderte wurden verletzt. Vier Frauen erzählen, wie sie die Situation im Land erleben.

Ukraine: Die Regierung schlägt zurück

Es gibt kaum Hoffnung mehr auf eine friedliche Lösung des Konfliktes in der Ukraine: Gestern Nacht eröffnete die Polizei in Kiew das Feuer auf dem Maidan-Platz. Nach offiziellen Angaben gibt es mindestens 25 Todesopfer, mehrere Hundert Menschen erlitten Schussverletzungen.

Wie erleben die Menschen den Konflikt? Wir haben mit vier Ukrainerinnen gesprochen, ihre Antworten sind eine Mischung aus Entsetzen, Trauer - aber auch Mut. Um sie nicht in Gefahr zu bringen, verzichten wir darauf, ihren vollen Namen zu nennen.

Julia: "Wir sind trotzdem optimistisch"

Ukraine: Vier Frauen berichten von den Protesten
© J.O.

"Für eine Journalistin und Reporterin habe ich Glück - ich arbeite freiberuflich und kriege daher weniger Druck zu spüren. Ich kann genau analysieren, was passiert ist, und frei meine Meinung darüber schreiben, bzw. neutral die Fakten zusammenfassen, wenn es um eine Reportage geht. Ich weiß aber, dass viele Journalisten und Reporter, inklusive viele meiner Freunde, die in dem Feld tätig sind, sehr viel Druck von ihren Vorgesetzen bekommen. Eine andere Gefahr ist das große Risiko, in den Demonstrationen körperlich verletzt zu werden. Ich würde sagen, dass Journalist und Arzt zur Zeit die gefährlichsten Jobs auf dem Maidan sind. Viele Journalisten sind schon brutal von der Polizei angegriffen worden, und von den so genannten "Tikushki" - vom Janukowitsch-Regime bezahlte Schläger, die die Demonstranten angreifen und einschüchtern sollen). Berichterstattung ist in der Ukraine zur Zeit eine gefährliche Sache.

Ich beobachte die Demonstrationen und ihre Folgen als Journalistin und Bloggerin - aber gelegentlich nehme ich auch selbst daran Teil, um als Bürgerin der Ukraine gehört zu werden.

Es ist sehr schwer zu sagen, was nun passieren wird, die Situation ändert sich zu schnell. Und es ist auch schwierig, die nächsten Schritte von Janukowitsch und seinen Unterstützern vorherzusagen, da ich einfach seine Absichten und seine Logik nicht verstehen kann. Viele Experten sagen schon einen Bürgerkrieg voraus, dass die Ukraine aufgeteilt werden wird - aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das tatsächlich möglich ist. Wir haben einfach nicht den nötigen Hintergrund für einen Bürgerkrieg. Wir haben keine zwei großen, miteinander rivalisierenden Lager, wir haben die Bürger der Ukraine, die gegen das korrupte Regime kämpfen. Janukowitsch hat nicht so viele echte Unterstützer, die meisten von ihnen sind entweder von ihm bezahlt, oder werden unter der Androhung, ihren Job zu verlieren, zu den Pro-Janukowitsch-Demonstrationen genötigt. Es ist sehr unwahrscheintlich, dass diese Leute ihr Leben für Janukowitsch aufs Spiel setzen. Daher glaube ich nicht, dass ein echter Bürgerkrieg möglich ist - auch wenn viele Experten und Politikwissenschaftler davor warnen.

Es ist gut möglich, dass Janukowitsch noch härter durchgreifen wird, wenn es innerhalb von Polizei und Militär keinen Widerstand gibt. Einige von Ihnen sind mittlerweile zur Protestbewegung übergelaufen, aber nur in einigen Bezirken, überwiegend im Westen. Wenn die Polizei Yanukovich weiterhin unterstützt und weiter die Demonstranten in Kiew und anderen Städten angreift, wird es wohl auch in Zukunft noch erbitterte Kämpfe geben.

Meiner Meinung nach kann diese Krise nur dadurch gelöst werden, dass es Verhandlungen zwischen Janukowitsch Untergebenen, der Opposition, den Aktivisten auf dem Maidan und Vertretern der Zivilgesellschaft gibt. Bei diesen Gesprächen sollten von westliche Politiker und Diplomaten vermitteln und die Vorgänge beobachten. Einige experten meinen, dass die UNO dringend eingreifen sollte, vielleicht sogar mit einem Militäreinsatz. Ansonsten bleibt das Parlament die einzige Ebene, auf der die Krise noch ordnungsgemäß gelöst werden könnte - aber das scheint nur dann möglich wenn die Spaltung innerhalb der Regierungspartei sich weiter vertieft, und die Mehrheit innerhalb der Partei eine Verfassungsreform unterstützt.

Natürlich wäre ein Rücktritt von Janukowitsch der perfekte Ausweg aus der Krise, weil dies eine Schlüsselforderung des Widerstandes ist. Die Lage hier bleibt angespannt, und wir rechnen ständig mit immer neuen Angriffen. Aber wir sind trotzdem optimistisch gestimmt und hoffen, dass die Krise gelöst und die Ukraine ein freies, demokratisches Land werden wird."

Tanya: "Die Demonstranten hatten nichts getan, als die Polizei angriff"

"Mir ist zum Glück nichts passiert. Gestern bin ich mit meinen Freundinnen zum Maidan gegangen statt zur Uni. Wir hatten im Fernsehen gesehen, was beim Regierungsgebäude passiert war und wollten helfen, wo es ging. Die Menschen auf dem Maidan waren ruhig und wirkten nicht besonders panisch oder nervös. Wir halfen ungefähr bis vier Uhr, Autoreifen für die Barrikaden zu schleppen. Eine Stunde später griffen die Polizisten an. Von diesem Moment an war auch die U-Bahn stillgelegt. Man konnte nicht mehr nach Hause, aber auch nicht zum Maidan. Die Polizei hat sofort angegriffen, wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so gefährlich werden würde. Zum Glück haben die Barrikaden sie aufgehalten. Die Menschen haben die Reifen angezündet, und das Feuer hat sie beschützt und die Polizei auf Distanz gehalten. Ich möchte das noch einmal wiederholen: Die Demonstranten hatten nichts getan, als die Polizei angriff. Erst danach fingen sie an, sich zu wehren. Ein paar Leute sind geflohen, aber die meisten haben gekämpft. Mir wäre es auch zu gefährlich, Polizisten mit Schusswaffen meinen Rücken zuzudrehen. Das ist der Beginn eines Bürgerkrieges, der wird sich tragischerweise nicht mehr aufhalten lassen. Und weder Yanukovich noch die Opposition können noch was daran ändern."

Anna: "Ich habe wahnsinnige Angst"

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"Wir fühlen uns alle furchtbar. Ich sehe mir den Livestream vom Maidan an und muss sagen: Ich habe wahnsinnige Angst. Ich selbst war nur einmal selbst vor Ort, nach der "blutigen Nacht" am 29. November. Wie die meisten Frauen möchte ich statt zu kämpfen lieber auf andere Weise helfen: Den Demonstranten Kleidung bringen, Informationen weitergeben - auch diese Art von Hilfe ist notwendig. Aber bei all der Gewalt in den Straßen der Ukraine glaube ich nicht, dass wir die Situation wieder entschärfen können. Die Menschen haben es satt, sie wollen Veränderung. Sie ertragen es nicht, dass es Tote auf dem Maidan gibt und die Behörden so tun, als wäre alles prima. Die Menschen werden nicht mit den Protesten aufhören, so lange die Polizei und die Regierung sie nicht respektiert. Wir können nicht in Frieden leben. Das hier ist der einzige Weg, die Ukraine zu retten."

Alina: "Ich kann nicht viel tun, aber ich will helfen"

"Es ging am Morgen los. Zunächst hatte niemand so richtig mitbekommen, dass die Polizei wieder angegriffen hatte. Ich ging zur Uni und dort verbreitete sich dann die Meldung über die neue Attacke der Regierung sehr schnell. Unsere Uni-Veranstaltungen wurden beendet und wir stellten fest, dass die U-Bahn stillgelegt war. Man merkte, dass ganz Kiew unter Schock stand. Niemand wusste gestern, was wir tun sollten, heute wissen wir es auch nicht. Viele meiner Freunde, die Journalisten sind, sind auch am Maidan, die ganze Zeit über. Aber viele Leute bleiben auch zu Hause, weil es so schwierig ist, in die Stadt reinzukommen. Eine friedliche Lösung des Konfliktes kann ich mir nicht mehr vorstellen. Menschen sind gestorben und niemand kann mehr verhindern, dass noch mehr Blut fließen wird. Ich kann nicht viel tun, aber ich will helfen - Informationen weitertragen, Medikamente kaufen und zu den Konfliktpunkten bringen. Wenn ich nichts tue, bin ich ein Niemand."

Der Ukraine-Konflikt auf Twitter

Annie: "Wir wollen einfach nur in einem freien Land leben"

"Das hier ist ein echter Krieg. Ein Krieg zwischen der Bevölkerung und der Regierung. Wir kämpfen für ein freies Land ohne Korruption. Hier geht es nicht um die EU oder um Russland. Wir wollen einfach nur in einem freien Land leben. Viele meiner Freunde und Verwandten sind gerade auf dem Maidan. Man muss wirklich Angst haben. Ich verfolge die ganze Zeit die Nachrichten, aber die meisten Sender bekommen gar keine Informationen. Wir warten sehnsüchtig auf eine politische Reaktion aus Europa. Echte Schritte, echte Sanktionen! Noch sagen sie viele nette Worte, mehr nicht. Wir wissen nicht, wie wir unsere Regierung stoppen können. So viele Menschen sind gestorben. Aber wir können nicht aufhören, bis die Regierung verschwunden ist. Die Regierung ist mächtig, aber man merkt, dass wir die letzten Atemzüge eines sterbenden Systems erleben."

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