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"Ich dachte, sie lachen mich aus": Wie diese Frau das Meer retten will

Die Architektin Marcella Hansch auf einem roten Sessel
Marcella Hansch
© Marcella Hansch / sonstige
Marcella Hansch ist "nur" Architektin – doch mit ihrer genialen Idee, um Plastik aus unseren Ozeanen zu fischen, könnte sie die Welt retten.

Marcella Hansch hat Angst vor Fischen und taucht trotzdem gern. Wenn die Tiere ihr entgegen schwimmen, atmet sie schneller und die Sauerstoffflasche leert sich etwas zu rasch.

Bei einem Tauchgang vor den Kapverden war es 2013 jedoch kein Fisch, der sie erschrecken ließ, sondern eine Plastiktüte. Das brachte Hansch auf die Idee für ihr Abschlussprojekt an der Universität - ein Konzept, das eines der größten Umweltprobleme lösen könnte.

2050 gibt's mehr Plastik als Fische im Meer

Hansch studierte damals Architektur in Aachen und war nach eigenen Angaben keine besonders gute Studentin. Die Begegnung unter Wasser hinterließ einen bleibenden Eindruck. Zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll landen nach Angaben von Meeresforschern jedes Jahr in den Weltmeeren. "Wenn das so weitergeht, gibt es bis 2050 mehr Plastik als Fische in den Ozeanen", sagt sie.

Für ihr Abschlussprojekt wollte sie eine Plattform konzipieren, die Plastikmüll aus dem Wasser filtert. "Ich wollte etwas machen, was mir richtig Spaß macht", sagt sie. Umgesetzt werden die Abschlussprojekte in der Regel allerdings nicht.

Bei Hanschs Projekt ist das anders. Mittlerweile arbeitet ein Team daran, dass es realisiert wird. Ihr Konzept sei zu schade gewesen, um nach dem Studium in einer Schublade zu verschwinden, so Hansch.

Die Architektin Marcella Hansch und ihr Team
Marcella Hansch und ihr Team
© Marcella Hansch / Privat

Lebhaft erzählt sie, wie ihre Idee Gestalt annahm und dabei immer wissenschaftlicher wurde. Und das obwohl sie selbst, keine naturwissenschaftliche Ader habe, sondern "mehr der künstlerische Typ" sei.

Für ihre Projekt besuchte sie Maschinenbau-Seminare

Für ihr Projekt wagte sich Hansch dennoch weit über den Rand ihres Fachbereichs hinaus. Sie setzte sich in Vorlesungen für Maschinenbau, berechnete Strömungen und beschäftigte sich mit Algenarten. Das Ergebnis war eine Anlage, die als geschlossener Kreislauf funktioniert und keinen Abfall produziert:

Da Mikroplastik leichter ist als Wasser, schwimmt es an der Oberfläche. Durch Meeresströmungen gelangen die Plastikteile bis zu 30 Meter unter die Wasseroberfläche. Hanschs Berechnungen hatten ergeben, dass eine bauchige Form und eine unter Wasser liegende Kanalführung die Meeresströmungen in ihrer Anlage punktuell beruhigen würden. Das Plastik würde dann aufsteigen und könne abgeschöpft werden.

Wenn sie ihr Konzept erklärt, spricht Hansch schnell und setzt dabei ihre Hände ein. In den vergangenen Jahren hat sie ihre Idee schon unzählige Male vorgestellt - an der Uni, auf Konferenzen, vor Wissenschaftlern. "Die Moleküle der Plastikteile, die aus dem Wasser gefiltert werden, sind durch Salzwasser zerstört und können nicht sinnvoll recycelt werden", sagt sie. Für ihr Projekt suchte Hansch nach einer sinnvollen Verwertungsmöglichkeit für den Müll.

Gefiltertes Plastik soll wiederverwertet werden

Ihr ursprüngliches Konzept sah vor, dass aus dem Plastik durch Plasmavergasung Kohlendioxid und Wasserstoff entstehen soll. Der Wasserstoff sollte dann als Energieträger für Brennstoffzellen genutzt werden, mit denen die Anlage betrieben werden. Das Kohlendioxid hingegen sollte Algenkulturen, die auf der Anlage gezüchtet werden, als Nahrung dienen. Die Biomasse der Algen sollte wiederum Ausgangsmaterial für einen umweltverträglichen Biokunststoff sein.

Das Konzept eines geschlossenen Kreislaufs habe sie beibehalten, allerdings haben sich nicht alle Ansätze von Hansch als realistisch erwiesen. Die Idee der Plasmavergasung sei mittlerweile verworfen worden. In ihrem Forschungsteam werde nach einer anderen Lösung gesucht. "Auch damit soll Wasserstoff und Kohlendioxid entstehen", sagt Hansch. Man arbeite allerdings noch daran.

"Habe ich wirres Zeug erzählt?", fragt die junge Entscheiderin am Ende ihrer Erklärung. Hat sie nicht. Dieser Meinung waren auch jene Freunde, denen sie während der sechsmonatigen Arbeitsphase von ihrem Konzept erzählt hatte. Sie überredeten sie dazu, ihre Idee nach dem Studium weiterzuverfolgen.

Marcellas Idee überzeugt selbst die Profis

Nach dem Abschluss fing sie als Architektin an zu arbeiten. In einer Mittagspause besuchte sie das Institut für Wasserbau an der Uni Aachen und stellte ihr Projekt vor. "Ich dachte, die lachen mich bestimmt aus. Ich bin ja nicht vom Fach", sagt sie. Gelacht hat niemand. Stattdessen stieß Hansch auf Interesse.

Es folgten Einladungen, das Institut schrieb eine Abschlussarbeit aus, die Hansch weiterhelfen sollte und immer mehr Menschen unterstützen das Projekt.

So richtig vorwärts ging es allerdings lange nicht. Als Hansch kurz davor stand aufzugeben, willigte sie dennoch ein, einen Vortrag zu halten. Es hätte der letzte werden können. Doch während sie sprach, habe sie gemerkt, wie sehr sie für das Thema brenne. "Da wurde mir klar, ich kann das nicht einfach lassen", sagt sie.

Wenig später gründete Hansch mit ihren Mitstreitern den gemeinnützigen Verein Pacific Garbage Screening. Etwa 35 Mitglieder, darunter Ingenieure, Umweltwissenschaftler und Biologen, arbeiten darauf hin, dass die Plattform irgendwann zum Einsatz kommt. Sie forschen ehrenamtlich und größtenteils selbst finanziert.

Bis zu 60 Stunden steckt sie pro Woche in ihr Projekt

Damit das Projekt vorankomme, hat Hansch ihre Arbeit reduziert. Bis zu sechzig Stunden steckt sie wöchentlich in die Vereinsarbeit. "Natürlich kann man das nicht ewig so weitermachen, aber im Moment ist das okay. Es gibt mir viel Energie", sagt sie. Ein Zeitplan für das Projekt sei schwer zu erstellen, innerhalb der kommenden fünf Jahre solle die Grundlagenforschung abgeschlossen sein, so hofft sie.

Dieses Jahr will Hansch auf Sponsoren zu gehen. "Ich bin eine absolute Idealistin", sagt sie. Unternehmen aus der Verpackungsbranche kämen daher nur dann in Frage, wenn sie auch etwas ändern. "Es bringt ja nichts, wenn wir alles hinten rausholen und vorne wieder Müll reingekippt wird", sagt sie.

Sie selbst achte auch darauf, weniger Müll zu produzieren. "Ich renne nicht mit erhobenem Zeigefinger rum, aber ich weise humorvoll auf einiges hin", sagt sie. Und fügt hinzu: "In meiner Gegenwart benutzt zumindest niemand mehr einen Strohhalm. "

Marcellas Geschichte recherchierte und erzählte Anna-Sophie Schneider von "Spiegel Online". Vielen Dank für die Zusammenarbeit!

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