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Paula Lambert über Macht "Das Wichtigste ist, sich von der Scham zu befreien"

Paula Lambert über Macht: "Das Wichtigste ist, sich von der Scham zu befreien"
© Lydia Gorges
Machtmissbrauch begegnet uns überall. Auch Kolumnistin Paula Lambert hat das erlebt. Was sie Betroffenen raten würde und wie sie selbst mit dem Thema umgegangen ist, erzählt sie uns im Interview.

BRIGITTE: Als Powerfrau und Sex- und Beziehungsexpertin steht für dich Female Empowerment an erster Stelle. Inwieweit ist dir das Thema Machtmissbrauch schon begegnet? 

Paula Lambert: Natürlich schon häufig. Ich habe Journalismus gelernt und war viele Jahre bei einer großen deutschen Verlagsgruppe, und der Machtmissbrauch war ehrlich gesagt auch der Grund, warum ich dort gekündigt habe.

In welcher Position warst du damals? Warst du noch in der Ausbildung oder schon Redakteurin? 

Ich war Redakteurin und lief immer an der langen Leine, weil ich viele Reportagen machen durfte. Meinem damaligen Chef hat das aber gar nicht gefallen. Er wollte eine Autoritätsperson sein, aber das war er nicht. Dann hat er mit aller Macht versucht, mich anzugreifen. 

Wie muss man sich das vorstellen?

Das fing schon mit der Aufgabenverteilung an. Ich musste monatelang Umfragen machen, jeden Tag. Jeder, der das schon mal gemacht hat, weiß, dass das so ziemlich das Langweiligste und Unkreativste ist, was man machen kann. Ich habe Themenvorschläge gemacht, andere Kolleginnen und Kollegen angesprochen, aber keiner hat mir wirklich geholfen. Schließlich habe ich gekündigt. Das hat auch dazu geführt, dass ich die Freude an diesem Job verloren habe.

Würdest du sagen, dass du eine Ausnahme warst?

Nein, das war ganz normal. Es ist immer so: Gib einem kleinen Menschen Macht und er wird zum Tyrannen. Wenn Menschen keine innere Größe haben, fangen sie an, andere zu missbrauchen. Das ist in der Politik so, das ist in der Arbeitswelt so, das ist in Beziehungen so. Das Schlimme ist, dass sie so eine Brutalität entwickeln und oft eben auch eine ökonomische und physische Überlegenheit haben und am längeren Hebel sitzen. Machtmissbrauch ist das Ergebnis von Respektlosigkeit. Das sind alles Geschöpfe, die merken, dass sie in einen Rauschzustand kommen, den sie sonst nicht kennen, dass sie sich gut fühlen, indem sie andere unterdrücken. Der Mensch ist grundsätzlich gut. Nur wenn er klein ist und ein Machtgefühl braucht, wird er zum Monster.

Wenn man in so ein Machtgefälle gerät, muss man sich damit abfinden? 

Nein, denn es ist im Grunde genommen ein Wechselspiel zwischen zwei Personen. Oft scheint die Situation jedoch so aussichtslos, dass die Betroffenen nicht wissen, wie sie sich daraus befreien können. Einmal berichtete mir eine Frau von ihren Überlegungen, sich zu trennen, da sie sich nicht mehr mit ihrem Partner versteht. Im Verlauf des Gesprächs stellte sich dann heraus, dass sie Opfer von Misshandlung ist. Obwohl sie Hilfe in Anspruch genommen hat, bleibt sie dennoch bei ihm, unfähig, sich zu lösen. Diese Situation ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, aber es fehlen einfach die notwendigen Entwicklungsschritte, die sie dazu befähigen, zu sagen: "Das ist nicht gut genug für mein Kind und mich."

Wie kann so einer Person geholfen werden? 

Indem man sagt: Das ist Missbrauch. Das geht nicht. Und dass Leute, zum Beispiel im Jugendamt, die Drastik einer Situation erkennen und den Mund aufmachen und entscheiden: Das ist so schlimm, dass wir hier eingreifen müssen. Doch es muss immer erst etwas passieren, damit es ernstgenommen wird. Beim Stalking ist das auch so. Viele Leute scheuen die Konfrontation und denken, das wird sich schon regeln. Aber das tut es nicht. 

Was könnte man besser machen? 

Es müsste Präventionsprogramme geben. Das wäre mal etwas Vernünftiges, was man in den Schulen unterrichten könnte. Und das passiert ja auch schon teilweise: Was ist Machtmissbrauch eigentlich? Woran merke ich, dass mein Selbstwertgefühl niedrig ist? Welches Verhalten ist akzeptabel und welches nicht? Die Gesellschaft braucht ein Bewusstsein dafür, dass Machtmissbrauch immer passieren kann und dass man sich dagegen wehren kann. Allein diese Erkenntnis wäre ein Gewinn: "Ich habe offensichtlich ein wirklich schwaches Selbstbild, wie kann das sein?" Bis ich herausgefunden habe, dass ich gar kein Selbstwertgefühl habe, hat es Jahre gedauert. 

Was erschüttert dich mehr: der Machtmissbrauch oder die Tatsache, dass sich die Opfer so etwas so lange gefallen lassen? 

Beides. Das darf man nie vergessen. Es muss Leute geben, die ihre Macht missbrauchen, und es muss Leute geben, die das zulassen, die willige Opfer sind. Die haben natürlich keine Schuld, aber ohne sie gäbe es das nicht, und die muss man einfach stärken. 

Was würdest du Menschen sagen, die aus Machtstrukturen ausbrechen wollen? 

Ich glaube, das Wichtigste ist, sich von der Scham zu befreien, denn die Scham gibt den Tätern Macht. Damit kann man Leute klein halten. Bei einer Vergewaltigung beispielsweise müssten die Gerichte ganz klar den Täter im Fokus haben – und nicht Aspekte des Opfers, wie: "Was hatten Sie an, warum waren Sie abends alleine unterwegs?"

Brigitte

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