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Zschäpes Anwältin Anja Sturm: "Die Wut halte ich locker aus"

Vom 6. Mai an steht Deutschlands meistgehasste Angeklagte, die Rechtsterroristin Beate Zschäpe, vor Gericht. Auch BRIGITTE wird im Gerichtssaal dabei sein und über den Prozess berichten. Im Vorfeld trafen wir die Frau, von der Zschäpes Schicksal abhängt: ihre Anwältin Anja Sturm.
Anwältin Anja Sturm, 43, weiß, dass der Mammutprozess ihr Leben verändern wird.
Anwältin Anja Sturm, 43, weiß, dass der Mammutprozess ihr Leben verändern wird.
© Imago/Jens Jeske

Zur Hauptverhandlung kommt die Anwältin auf den letzten Drücker. Mit energischem Schritt und Rollkoffer in der Hand hetzt Anja Sturm durch die Gänge des Berliner Landesgerichtes. Sie trägt hochhackige Schuhe zum schwarzen Designerkostüm, die Lippen knallrot, die blonden Haare kurz. Selbstbewusst tritt sie auf - und verwandelt sich binnen Sekunden in eine fürsorgliche Anwältin, als sie ihrem Mandanten Mut zuspricht. Der junge Mann war in erster Instanz zu neun Monaten Haft wegen Unterschlagung verurteilt worden.

Eine kleine Sache. Trotzdem hält die Verteidigerin am Ende der heutigen Verhandlung ein leidenschaftliches Plädoyer. Als die Richterin das Urteil verliest, beugt sich Sturm zu dem Angeklagten und strahlt ihn herzlich an. Gewonnen.

Im nächsten Monat geht die Rechtsanwältin in eine andere Dimension: Der 43-Jährigen steht ein spektakulärer Mammutprozess bevor, der wohl Jahre dauern wird. Anja Sturm vertritt die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Die ganze Welt wird auf den Prozess schauen - und auf Anja Sturm. Eine große Verantwortung. Wer ist diese Frau, die Deutschlands wohl meistgehasste Angeklagte verteidigt?

Zehn Menschen, fast alle mit Migrationshintergrund, sollen die Rechtsradikalen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in den Jahren zwischen 2000 und 2007 kaltblütig ermordet haben. Im November 2011 brachten sich die Täter selbst um, die Dritte im Bund, Beate Zschäpe, stellte sich kurz darauf der Polizei. Sie hatte jahrelang mit den mutmaßlichen Mördern zusammengelebt. War sie eine Komplizin, vielleicht sogar der Kopf des Zwickauer Trios? Oder war sie die unbedarfte Hausfrau, die zwar für das leibliche Wohlergehen der beiden Uwes sorgte, aber nicht an der Planung der Taten beteiligt war?

Frau Zschäpe braucht eine starke Verteidigung und die möchte ich ihr geben.

Die Mehrheit der Bevölkerung hat ihr Urteil längst gefällt: Die Angeklagte ist ein Monster. Sie gehört hinter Gitter, am besten lebenslänglich. Warum ist Anja Sturm bereit, eine Frau vor Gericht zu vertreten, die für die meisten Deutschen das Böse schlechthin verkörpert?

"Frau Zschäpe braucht eine starke Verteidigung, und die möchte ich ihr geben", sagt sie nüchtern. Und wenn die Angeklagte schuldig ist? Bringt es die Anwältin nicht in innere Konflikte, wenn sie an das Leid der Opfer und deren Familien denkt? Anja Sturm argumentiert juristisch, für Laien mag es herzlos klingen: "Die Frage, ob ein Mandant schuldig ist oder nicht, ist für jeden Verteidiger, der seine Sache gut machen will, völlig irrelevant. Es geht nur darum, die Rechte des Angeklagten gut wahrzunehmen." Egal, wer vor einem sitzt. Sie hat schon Polizisten, einen Islamisten und einen Mann, der seine Tochter missbraucht hat, verteidigt. Jetzt ist es Beate Zschäpe.

Für die Anwältin ist wichtig, dass die Kommunikation stimmt, wenn sie einen Fall übernimmt: "Es gehört zu einer guten Verteidigung, Orientierung geben zu können, und umgekehrt müssen die Mandanten sich bei mir aufgehoben fühlen." Beate Zschäpe fühlt sich offenbar bei ihr aufgehoben.

Anja Sturm hat offen mit ihr geredet, erzählte beim ersten Gespräch im Gefängnis von ihren Zwillingen und dass sie die Alleinverdienerin der Familie sei. Mehr will Anja Sturm von den Gesprächen mit der 38-jährigen Angeklagten nicht verraten: "Vertrauen ist die Basis eines Mandats. Das kann sich nur entwickeln, wenn Mandanten sicher sein können, dass keine Informationen ohne ihr Einverständnis rausgehen."

Das sagt sie heiter und entspannt in ihrem Büro, einem hellen Raum in einer riesigen Berliner Altbauwohnung, Sitz der Kanzlei, in der sie arbeitet. Eine meterlange Holzplatte dient als Schreibtisch, die schwarzen Gästestühle sind bequem. Die Einrichtung, kühl, klar und freundlich, passt zu der Frau, die nüchtern und zugleich emotional wirkt, die offen erzählt, aber nur wenig Privates gedruckt sehen will.

Das aber darf geschrieben werden: Vor drei Jahren erkrankte Anja Sturm an Krebs. Damals machte sie nach dem ersten Schock einfach weiter. Plante Termine nach der Operation und an den Tagen zwischen den Chemotherapien. "Natürlich kam alles komplett anders", sagt sie. Sie musste aussetzen, die langen Haare verlor sie während der Chemotherapie. Sie kämpfte. Heute fühlt sie sich stärker als zuvor, die neue Frisur gefällt ihr gut.

Anja Sturm ließ sich noch nie schnell unterkriegen. Als Älteste von drei Geschwistern wuchs sie im niederrheinischen Jülich auf. Eine behütete Kindheit. Schon früh begeisterte sich das Mädchen für Zahlen und Logik. Alles wollte es ganz genau wissen, und wenn ihm etwas unlogisch erschien, ließ es nicht locker. Ein Lehrer beschwerte sich regelmäßig bei der Mutter, weil die kleine Anja mit ihrer Fragerei wieder genervt hatte.

Damals spielte sie viel Geige, fühlte sich als Außenseiterin, wurde aber zur Schülersprecherin gewählt und setzte sich engagiert für die Anliegen der Mitschüler ein. Ein Vorspiel zum späteren Job? Eigentlich wollte Zahlenfreak Anja Physikerin werden. Auf die Idee, Jura zu studieren, kam sie erst nach einem Praktikum in der zwölften Klasse. Sie erkannte: "Das isses."

Hilflosigkeit ist ein wichtiger Ansporn für mich.

Wer mit Anja Sturm spricht, merkt schnell, dass sie keinerlei Nähe zu rechtsradikaler Gesinnung hat. Sie ist auch nicht die auf Ruhm und Erfolg versessene, glatte Zynikerin, als die Anwälte in Krimiserien gern dargestellt werden. Im Gegenteil, sie wirkt weich, berührbar, impulsiv. Regt sich auf, wenn etwa in einem Strafverfahren unlautere Mittel eingesetzt werden, um einen Sachverhalt aufzuklären. "Unzulässige Beweise dürfen nicht zu einem Schuldspruch führen. Wenn ich das Gefühl habe, die Person, die ich vertrete, sieht sich der Übermacht des Staates ausgeliefert, dann gebe ich alles. Hilflosigkeit ist ein wichtiger Ansporn für mich."

Wie aber werden solche Überlegungen in den Ohren der Opfer-Angehörigen klingen? Anja Sturm weiß, dass der nun in München beginnende Prozess mit dem ganzen Land etwas machen wird. Auch ihr eigenes Leben wird sich verändern. Sie wird ihren Rollkoffer noch häufiger packen müssen und weniger Zeit für die Familie haben. Darüber hat sie ausführlich mit ihrem Mann gesprochen, bevor sie das heikle Mandat annahm. "Natürlich machst du das", sagte der. Das meinten zu ihrer Überraschung auch ausnahmslos alle Freunde und Verwandten. Die öffentliche Empörung darüber, dass Beate Zschäpe schweigt, nimmt sie in Kauf. "Es ist nicht die Aufgabe der Angeklagten, an ihrer eigenen Verurteilung mitzuwirken, es ist ihr Grundrecht zu schweigen. Die Wut darüber halten wir locker aus", sagt Sturm. Wir, das sind die Anwälte Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, mit denen zusammen sie die Verteidigung führt.

Die drei kennen sich schon lange. Sie haben sich häufig kollegial ausgetauscht. Als Wolfgang Heer im November 2011 den Fall Zschäpe übertragen bekam, sagte Anja Sturm sofort: Das musst du machen. Sie selbst stieß erst später dazu, weil Beate Zschäpe eine dritte Verteidigerin wollte, am liebsten eine Frau.

Der Prozess wird die drei Anwälte bekannt machen. Viele Menschen werden sie hassen, wenn es gelingen sollte, die Beklagte zu entlasten. Auch mit Zustimmung von der falschen, der rechten Seite müssen sie rechnen. Die attraktive Anja Sturm wird wohl im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Schon im Vorfeld rief einer ihrer Söhne, als er die Mutter in der "Süddeutschen Zeitung" abgebildet sah, begeistert: "Mama, dann bist du ja weltberühmt!" Ob sie den Satz des Kindes auch noch lustig findet, wenn er sich als wahr erweisen sollte?

Die neunjährigen Zwillinge weiß sie versorgt. "Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass meine Kinder zu kurz kommen, weil ich arbeite. Sie haben ja das Glück, dass mein Mann da ist." Die berufstätige Mutter ist froh, dass sie auch daheim Akten lesen kann, so wie neulich an einem Sonntag. "Ich habe gearbeitet, war aber trotzdem in der Familie."

Nun hofft Sturm, dass ihr - auch wenn sie ab jetzt regelmäßig zwischen Berlin und München pendeln muss - genug Zeit zum Laufen bleibt. Sie entspannt sich dabei. So oft sie kann, läuft sie mit ihrem Hund durch den Grunewald. Am liebsten allein. Und am liebsten lange Strecken. Ohne Musik im Ohr, die taktgebende Melodie im Kopf.

Angefangen hat sie das Laufen mit 16. Während des Studiums machte die Hobby-Langstreckenläuferin bei Triathlon-Wettkämpfen mit und lief Marathon. Die Wettkämpfe früher schulten ihren Kampfgeist, sie weiß, wie gut sich Gewinnen anfühlt. Vor allem lernte sie damals den Kampf gegen sich selbst. "Beim Marathon ist Durchhalten ab Kilometer 30 weniger eine Sache des Körpers, sondern des Kopfes. Und den Willen kann man trainieren."

Der Prozess in München wird ihr größter Kampf werden. Schon im Vorfeld, als sie noch gar nicht das Mandat hatte, hat sie nach Ungereimtheiten gesucht. Und natürlich gefunden. "Für mich gibt es keine Beweise, dass Beate Zschäpe etwas mit den Morden zu tun hat. Nur weil sie ihre bürgerliche Fassade gepflegt hat, weil sie Blumenkästen aufgestellt und sich um Nachbarn gekümmert hat, reicht das nicht für eine Tatbeteiligung an den Morden oder Banküberfällen."

Für Anja Sturm ist die Frage nach Schuld oder Unschuld eine Formfrage. So will es das Gesetz. Für die Angehörigen der Ermordeten und für juristische Laien aber ist die Vorstellung, Zschäpe könnte aus Mangel an Beweisen freikommen, eine Ungeheuerlichkeit. Noch mal gefragt: Ist es nicht eine bedrückende Vorstellung, dazu beizutragen, dass möglicherweise eine terroristische, kaltblütige Mordhelferin wieder freigelassen wird? Nein, sagt Sturm: "Lieber verhelfe ich fünf eigentlich ‚Schuldigen' zur Freiheit, als dass ein einziger Mensch unschuldig eingesperrt wird."

Info: Der NSU-Fall

Zehn Morde verübte der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in den Jahren zwischen 2000 und 2007, fast alle an Menschen mit Migrationshintergrund. 2005 erschossen sie in München einen Griechen in einem Schlüsseldienstladen. Polizei und Verfassungsschutz hatten kläglich versagt, die rechte Gefahr nicht erkannt. Die Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos brachten sich im November 2011 um, als ihnen die Polizei auf der Spur war. Beate Zschäpe, 38, die ehemalige Mitbewohnerin und mutmaßliche Komplizin, steht ab dem 6. Mai in München vor Gericht. Es ist ein Prozess von historischer Dimension, der schon im Vorfeld für Aufregung sorgte: Der Starttermin wurde verschoben, nachdem sich türkische Medienvertreter beschwert hatten, weil sie nicht zum Prozess zugelassen worden waren. In einer zweiten Runde wurden die Sitzplätze neu ausgelost. Auch BRIGITTE hat über das Losverfahren einen Platz bekommen und wird über den Prozess als gesellschaftlich relevantes Medium berichten.

Text: Claudia Kirsch Ein Porträt aus BRIGITTE Heft 9/2013

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