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Neuer Zeuge könnte Ralf Wohlleben schwer belasten

Hat Ralf Wohlleben, der Mitangeklagte von Beate Zschäpe, das NSU-Trio länger als bisher bekannt im Untergrund versorgt? Die mögliche Aussage eines neuen Zeugen im NSU-Prozess legt das nahe.
Neuer Zeuge könnte Ralf Wohlleben schwer belasten
© Christof Stachel/Pool/Reuters

Ralf Wohlleben sitzt meist frisch rasiert auf der Anklagebank im Münchner Oberlandesgericht. Doch einige Fotos zeigen den ehemaligen NPD-Funktionär und NSU-Unterstützer durchaus mit langem Ziegenbart. Das erscheint vielleicht ungewöhnlich für einen Neonazi, aber nicht ungewöhnlich für Ralf Wohlleben, den Mann im Hintergrund, der die Drecksarbeit gern von anderen erledigen ließ und sich lieber als Spießer denn als Schläger inszeniert. Sein Bart jedenfalls könnte nun relevant werden.

"Wie ein Kosake" habe der Ralf ihn getragen damals, sagt Krysztof S. Der Pole ist sich sicher, dass Ralf Wohlleben genau der Mann ist, dem er Nachhilfe in Sachen "Auto-Aufbrechen" geben musste. Er habe ihn an seinen engstehenden Augen auf einem Bild in der Zeitung wiedererkannt. Von ihm haben sein Kumpel und er einen Revolver erhalten, der spanischen Marke Astra. Zwischen November 2003 und Februar 2004 sei das gewesen. Krzysztof S. und sein Kumpel brauchten damals Waffen, sie hatten Banküberfälle geplant. Ralf Wohlleben brauchte ein Gerät zum Überwinden von Wegfahrsperren für VW-Busse. Eine Hand wäscht die andere.

Generalbundesanwalt interessiert sich für S.

Krzysztof S. sitzt im Gefängnis, irgendwo zwischen Stettin und Danzig. Zu zwölf Jahren und sechs Monaten Haft wurde er 2009 in Göttingen verurteilt, doch weil in Polen noch eine andere Strafe offen war, wurde er Anfang 2011 dorthin überstellt. Die Staatsanwaltschaft Göttingen hat bereits darauf gepocht, dass er zurück nach Deutschland kommen soll, um hier seine Strafe abzusitzen. Nun interessiert sich auch eine weitere deutsche Behörde für den Schwerkriminellen: der Generalbundesanwalt. Das könnte Bewegung in die deutsch-polnische Haftsache bringen. Der deutsche Anwalt von S. hatte bereits im November 2012 den NSU-Anklägern den Hinweis gegeben, dass S. Ralf Wohlleben wiedererkannt habe als den Waffenlieferanten von 2003 oder 2004.

Die Ermittler wollen nun erwirken, dass S. zu einer Gegenüberstellung mit Ralf Wohlleben nach Deutschland kommen kann. Sie erhoffen sich von S. weitere Ermittlungsansätze gegen den Angeklagten und wollen klären, ob der Deal einen Bezug zum NSU hat. Das geht aus einem Schreiben hervor, das stern.de vorliegt. Allerdings steht S. bislang nicht auf der Zeugenliste im NSU-Prozess, der heute fortgesetzt wird. Die vorläufige Aussage von S. belastet den Neonazi schwer: Denn wenn Wohlleben tatsächlich mit Waffen gehandelt hat, stützt das den Vorwurf, er habe im Jahr 2000 die Tatwaffe Ceska 83 organisiert. Wegen Beihilfe zum Mord sitzt der "Logistiker des NSU" seit November 2011 in Untersuchungshaft und seit Mai 2013 in München auf der Anklagebank neben Beate Zschäpe.

Angaben von Zeuge Krysztof S. klingen glaubhaft

Das Gerät zum Knacken der Wegfahrsperre könnte außerdem für genau die Mietwagen bestimmt gewesen sein, die Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für ihre Mordtouren in den Westen benutzt haben. Denn laut Krzysztof S. hatte Ralf Wohlleben unbedingt einen "Aufbrecher" für VW LT haben wollen - Fahrzeugtypen, die auch das NSU-Trio mindestens zehn Mal angemietet hat.

Ralf Wohlleben könnte Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe also viel länger als bisher bekannt im Untergrund unterstützt haben. Zum Zeitpunkt des Deals zwischen S. und Wohlleben hatte der NSU schon vier Menschen ermordet.

Dass Krysztof S. sich mit seinen Aussagen gegen Ralf Wohlleben auch selbst belastet, spricht für die Glaubwürdigkeit seiner Angaben. Das illegale Geschäft mit dem Jenaer beschreibt er präzise: Sein Kumpel habe das damals eingefädelt, so erzählt es Krzysztof S. während einer vorläufigen Vernehmung, des BKA und einer Vertreterin der Bundesanwaltschaft im März 2013 in Polen. Woher der Kumpel Ralf Wohlleben gekannt hat, wisse S. nicht. Er wurde erst dazu gerufen, als sein "Aufbrecher" nicht so funktionierte, wie er sollte.

Wohlleben machte "Eindruck eines Wichtigtuers"

Zusammen mit dem Mittelsmann sei er daraufhin nach Jena gefahren. Auf einem Parkplatz trafen sie den Mann mit dem Kosakenbart, der ihm als Ralf vorgestellt worden sei, und einen weiteren jüngeren Mann, der mit Sascha oder Mischa angesprochen wurde.

Ralf habe ihm gesagt, er solle dem jungen Mann zeigen, wie man den "Aufbrecher" richtig einsetzt. "Wir haben uns in den weißen VW LT 28, der auf dem Parkplatz stand, gesetzt. Das war kein Fahrzeug von einem Autoverleih. Ich habe gezeigt, wie das System funktioniert", berichtete S. den deutschen Ermittlern. Von Ralf habe er den "Eindruck eines Wichtigtuers" gehabt.

Auf den Fotos, die ihm die Polizisten bei ihrem Besuch vorlegten, identifizierte er Wohlleben: "Auf dem Foto Nummer 29 erkenne ich die Person als Ralf Wohlleben, ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass ich ihn erkenne. An den Gesichtszügen, am Gesichtsausdruck."

Waffenarsenal in Brandenburg

Wofür Ralf das Gerät gebraucht hat, habe er nicht erfahren, so S. Die Waffe der Marke Astra, die vom Jenaer im Gegenzug übergeben worden sei, haben S. und sein Kumpel später in ihrem Arsenal in Brandenburg verbuddelt. Die Liste der Maschinenpistolen und Revolver ist lang, die laut S. auch noch dort im Wald vergraben liegen. Auch zu diesem Versteck soll S. die Ermittler der Bundesanwaltschaft führen, wenn er zur Gegenüberstellung nach Deutschland kommt. Schließlich bestehe die Möglichkeit, dass "das von S. behauptete Geschäft mit dem gesondert Verfolgten Ralf Wohlleben im Zusammenhang mit beabsichtigten Aktivitäten der terroristischen Vereinigung "NSU" stand", schreibt die Bundesanwaltschaft.

Für die BRIGITTE beim NSU-Prozess vor Ort ist Lena Kampf. Sie berichtet aktuell für BRIGITTE.de und stern.de

Text: Lena Kampf

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