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NSU-Prozess: "Einiges kann nur Beate Zschäpe aufklären"

Was bewegte die NSU-Mörder, warum hörten sie abrupt mit dem Morden auf? Beate Zschäpe weiß es als einzige, sagt Innenexperte Wolfgang Wieland. Am Dienstag besuchte er den Prozess.
Wolfgang Wieland ist Obmann der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag und Mitglied im Innenausschuss. Er besuchte am Dienstag den Münchner NSU-Prozess.
Wolfgang Wieland ist Obmann der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag und Mitglied im Innenausschuss. Er besuchte am Dienstag den Münchner NSU-Prozess.
© Maurizio Gambarini/dpa

BRIGITTE.de: Herr Wieland, Sie waren der Obmann der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Sie beschäftigen sich seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 mit dem Fall. Heute haben Sie zum ersten Mal Beate Zschäpe gesehen. Wie haben Sie sie erlebt?

Wolfgang Wieland: Nicht anders, als ich sie mir vorgestellt habe. Ich kann eigentlich nur den Kopf darüber schütteln, dass eine solche Person eine dermaßen große Öffentlichkeit bekommt. Sie ist schließlich keine Ulrike Meinhof, sondern eine Bravo-Leserin. Wir benutzen da auch falsche Schubladen, falsche Schablonen.

BRIGITTE.de: Wer ist Zschäpe dann für Sie?

Wolfgang Wieland: Es ist doch eher Hannah Arendts Banalität des Bösen: Die Katzenfreundin, die Prosecco mit ihren Nachbarn trinkt. Ein ganz banales Leben und gleichzeitig ein ganz böses. Dennoch muss man sagen: Für Zschäpe gilt, anders als für Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die Unschuldsvermutung.

BRIGITTE.de: Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag hat seine Beweisaufnahme abgeschlossen. Der Abschlussbericht an dem die Fraktionen momentan schreiben, hat bereits jetzt einen Umfang von 3000 Seiten. Welche Hoffnungen haben Sie überhaupt noch für den Prozess?

Wolfgang Wieland: Ich wünsche mir ein Geständnis von Beate Zschäpe. Weil sie Dinge erklären kann, die wir nicht heraus bekommen haben und nicht heraus bekommen konnten. Nur sie kann die subjektive Seite erklären: Was haben sich die Täter gedacht? Haben Sie wirklich geglaubt, etwas zu bewirken? Warum haben sie aufgehört zu morden? Warum haben sie zum Schluß eine Polizistin ermordet? Auch hier wieder die Frage: Warum genau Michèle Kiesewetter? Es gibt erschreckende Indizien dafür, dass Kiesewetter ihre Mörder kannte. Wir haben uns so bemüht, aber wir konnten nicht herausbekommen, wie es wirklich war. Das kann uns nur Beate Zschäpe erzählen.

BRIGITTE.de: Was kann der Prozess auch ohne ein Geständnis von Zschäpe noch klären?

Wolfgang Wieland: Hier in München geht es um die Unterstützer, die auf der Anklagebank sitzen: Wollten sie nur ihren Kameraden im Untergrund helfen, oder wollten sie Mördern helfen? Bei Wohlleben ist davon Letzterem auszugehen: Er wusste um die Waffen, er konnte Zeitung lesen. Von ihm kennen wir den Satz: "Es ist besser, wenn ihr nicht wisst, was die Drei tun." Zu Holger G. habe ich heute ja nur den Staatsanwalt gehört, der ihn im Ermittlungsverfahren vernommen hat. So viel Naivität, dass der im Zug sitzt, eine Waffe transportiert und nicht mal in den Jutebeutel guckt, das ist nicht zu glauben. Die Unterstützer spielen ihre Rolle herunter. Auch bei Carsten S. gibt es eine enorme Verdrängungsleistung, was seinen eigenen Tatbeitrag angeht. Das belastet ihn wohl sehr. Und ich muss sagen, zu Recht. Er hätte mit einem Hinweis an die Polizei die Mordserie stoppen können.

BRIGITTE.de: Stoppen hätten die Mordserie ja auch die Sicherheitsbehörden können...

Wolfgang Wieland: Ja, sogar bevor sie begangen wurde. Diejenigen, die zugeschaut haben, wie sie untertauchten, in Chemnitz zum Beispiel. In Thüringen haben Verfassungsschutz und Polizei gegeneinander gearbeitet. Das ist ein riesiges staatliches Versagen, sie haben sich nie zusammengesetzt und nicht nach oben gemeldet.

BRIGITTE.de: Die Behörden sitzen aber nicht mit auf der Anklagebank.

Wolfgang Wieland: Dafür waren die Untersuchungsausschüsse da – sie haben die Grundlage geschaffen für die Aufklärung. Nun muss die Justiz eine Antwort geben, die Strafverfolgung muss besser werden. Aber die Hauptlast trägt die Zivilgesellschaft. Ich habe die Hoffnung, dass nach dem 4.11.2011 nichts mehr so ist wie vorher, dass wir Neonazis ernster nehmen. Dass nach dem NSU-Schock klar ist, dass die nicht nur bellen, sondern auch beißen, nicht nur singen, sondern auch morden.

BRIGITTE.de: Haben Sie das Gefühl, dass sich bereits etwas geändert hat?

Wolfgang Wieland: Leider nein. Ich bin erschrocken über gewisse Kontinuitäten: Die NSU-Mordserie konnte nicht aufgeklärt werden, weil die Ermittlungen einseitig waren und getrieben von gruppenspezifischen Vorurteilen. Diese Betriebsblindheit scheint sich fortzusetzen: Nehmen wir zum Beispiel den Nürnberger Rohrbombenanschlag, die sogenannte Taschenlampe, an die sich Carsten S. plötzlich erinnerte. Eine selbstgebastelte Rohrbombe in der Gaststätte eines türkischen Betreibers. Hier wurde jetzt aufgrund der Angaben von Carsten S. im Prozess ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Aber warum hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg das nicht von sich aus als weiteres mögliche NSU-Delikt erkannt und schon vorher an die Bundesanwaltschaft gemeldet? Es wurden bereits unzählige Altfälle auf einen möglichen Zusammenhang mit dem NSU geprüft. Es ist erschreckend, dass genau dieser Anschlag, der dem Vorgehen des NSU so entspricht, in dem langen Ermittlungszeitraum nicht gefunden wurde. Der Fall zeigt doch auch: Wir wissen noch längst nicht alles.


Für die BRIGITTE beim NSU-Prozess vor Ort ist Lena Kampf. Sie berichtet aktuell für BRIGITTE.de und stern.de.

Text: Lena Kampf

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