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Nour Emam Mit Leidenschaft und Know-how gegen Körpertabus in Ägypten

Nour Emam
Den eigenen Körper besser verstehen: Die Ägypterin Nour Emam hilft Landsfrauen mit Medizin, Aufklärung und Empathie.
© PR
Ihre Gegner: Körpertabus, die krank machen
Ihre Strategie: zuhören, sprechen, posten
Für wen sie das macht: für alle Frauen in Ägypten

Die Liste der Irrtümer, die Nour Emam bei ihrer Arbeit begegnen, ist endlos: Nur ein intaktes Hymen – die Membran am Scheideneingang – ist der Beweis für Jungfräulichkeit? Falsch. Schmerzhafte Perioden bedeuten höhere Fruchtbarkeit? Falsch. Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt? Falsch. "Der Körper der Frau ist in Ägypten völlig tabu", sagt die 31-jährige Schwangerschaftsbegleiterin. Weil es weder in der Familie noch in der Schule sexuelle Aufklärung gebe, "müssen wir Frauen unsere Gesundheit durch jede Menge Vorurteile und Missinformation navigieren".

Das will Emam ändern. Mit einem 26-köpfigen Team – darunter Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern, eine Psychotherapeutin und eine Pharmazeutin – hat sie Anfang 2023 in Kairo eine etwas andere Frauenklinik eröffnet, als Start-up und mit Investoren aus der Region: Das Team will Frauen nicht nur behandeln, sondern sie über ihre Körper aufklären, auch sexuell. So will Nour Emam gesundheitsgefährdende Tabus brechen: "Manche Mädchen leiden jahrelang an Infektionen, weil ihre Eltern sie – oft aus Scham – nicht zum Frauenarzt bringen."

"Ich war schon immer fasziniert von Fortpflanzung, Schwangerschaft und Geburt", sagt Emam bei einem Video-Call aus dem Kairoer Homeoffice. Nach ihrem Musikstudium arbeitete sie mehrere Jahre als DJane und Produzentin. Bis die Geburt ihrer Tochter 2019 zum traumatischen Wendepunkt für sie wurde. Ohne Grund hätten die Ärzte viel zu früh die Wehen eingeleitet – und später noch einen Kaiserschnitt gemacht, erzählt sie. Für Emam eine schreckliche Enttäuschung. Denn in ihrer eigenen Familie wird offener mit weiblicher Sexualität umgegangen, sie war sehr gut auf die Geburt vorbereitet. Dennoch konnte sie sich in der Klinik nicht behaupten. "Es fühlte sich an, als sei mir dabei etwas sehr Kostbares genommen worden." Emam fiel in eine tiefe Depression.

"Motherbeing" – für mehr sexuelle Rechte, Aufklärung und Austausch

In dieser Zeit entdeckte sie im Internet den Beruf der Doula, nicht-medizinische Helferinnen, die Schwangeren und Gebärenden beratend zur Seite stehen. Emam war fasziniert. Von Kairo aus absolvierte sie eine Online-Ausbildung in Kanada – und startete den Instagramkanal "Motherbeing", auf dem sie Videos über ihre Arbeit und die Rechte von werdenden und jungen Müttern postete. Schnell merkte sie: Viele ihrer Followerinnen waren gar nicht schwanger, sondern einfach Mädchen und junge Frauen, die mehr über ihre Körper erfahren wollten. Emam bot ihnen Onlinekurse an – zu Menstruation, Sex, Verhütung. Parallel erfasste die MeToo-Bewegung Ägypten – und Emams Kanal wurde zu einer führenden Stimme für sexuelle und reproduktive Rechte.

Heute folgen "Motherbeing" mehr als 680 000 Menschen, viele davon Männer. Die Eröffnung der Klinik im vergangenen Jahr ist aus Emams Sicht nur der konsequente zweite Schritt. Denn bislang machen Ägypterinnen oft verheerende Erfahrungen mit Gynäkologen und Gynäkologinnen. Das hat "Motherbeing" von Instagram-Followerinnen erfahren und dokumentiert: Zum Beispiel würden Eingriffe vorab nicht erklärt oder Untersuchungsgeräte ohne Zustimmung der Patientin eingeführt. Frauen beklagten sich auch, dass sie komisch angeschaut oder abgewiesen würden, wenn sie unverheiratet und sexuell aktiv seien. Das soll bei "Motherbeing" anders laufen.

Beratung in der Kairoer Frauenklinik
Sex, Periode, Kinderkriegen: Das sind wichtige Themen in der Kairoer Frauenklinik. Beraten wird auch anonym.
© PR

Ein Besuch in der Klinik im Kairoer Stadtteil Maadi beginnt mit einem warmen Empfang: Es gibt gemütliche Sofas, an den Wänden hängt abstrakte Kunst, die Frauenkörper darstellt. Nach der Untersuchung gibt es die Möglichkeit, mit einer Pflege-Koordinatorin offene Fragen und weitere Schritte zu besprechen. Für alle, deren Eltern gegen einen Besuch sind oder die zu weit entfernt leben, gibt es Online-Sprechstunden. Und wem es unangenehm ist, vor Fremden über den eigenen Körper zu sprechen, der kann das Fachpersonal ohne Kamera oder per Chat konsultieren.

Nour Emam: "Ich bin so viel stärker, lauter, mutiger geworden"

800 Patientinnen versorgt "Motherbeing" bereits, jede Woche werden es mehr. Gerade hat die Klinik eine dritte Ärztin eingestellt, das Programm soll um Still- und Menopausen-Beratung erweitert und die Klinikräume an Wochenenden für Workshops genutzt werden.

Für Nour Emam bedeutet all das nicht nur beruflichen Erfolg. Es hilft ihr auch im Umgang mit ihrem eigenen Trauma. "Ich bin so viel stärker, lauter, mutiger geworden", sagt sie – als Frau, Geschäftsführerin und als Mutter. Sie habe nun die Fähigkeit, "eine starke Tochter zu erziehen, die ihren Körper versteht und für ihre Rechte einstehen kann".

Brigitte

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