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Notjustdown: Diese Bilder schaffen mehr Akzeptanz für Trisomie 21

Notjustdown: Junge Frau
© Lopolo / Shutterstock
Mit einem sehr persönlichen Social-Media-Projekt setzen sich Tabea Mewes und ihr Bruder Marian für mehr Akzeptanz für Menschen mit Trisomie 21 ein – und ernten Begeisterung!

Was sollte denn dieses Mitleid? Tabea Mewes war schon als Siebenjährige irritiert von den Reaktionen zur Geburt ihres Bruders Marian. Keine Glückwünsche. Kein "Darf ich das Baby mal angucken kommen?". Stattdessen machten ihre Mitschüler*innen Bemerkungen wie: "Tut mir leid, dass mit deinem Bruder nicht alles in Ordnung ist." Marian Mewes hat die Genvariante Trisomie 21. "Das schreckt viele ab, weil sie ganz einfach keine Ahnung haben", sagt seine Schwester.

Mut und Kraft geben – Der Alltag mit Downsyndrom

Während ihrer Schulzeit lud Tabea Mewes deshalb Freund*innen zu sich nach Hause ein, um Vorurteile abzubauen. Heute macht die Medienwissenschaftlerin das immer noch, jedoch im größeren Stil: Auf Instagram und ihrem Blog "Notjustdown" zeigen die 30-Jährige und ihr Bruder, wie der Alltag mit Downsyndrom aussehen kann. Mehr als 25 000 Follower hat das preisgekrönte Social-Media-Projekt, die Beiträge werden oft mehrere Tausend Mal geliked. Viele bedanken sich für die Aufklärungsarbeit. "Die wenigsten wissen zum Beispiel, wie breitgefächert die kognitiven Fähigkeiten von Menschen mit Downsyndrom sind. Die meisten sind nicht schwer behindert, einige durchschnittlich intelligent."

Marian Mewes kann nicht für jeden verständlich sprechen. "Er hat so etwas wie seine eigene Sprache mit vielen Spezialwörtern", sagt seine Schwester. "Sobald man ihn kennt, kann man sich mit Mari fast normal unterhalten. Und unserer Meinung nach gibt es sowieso Wichtigeres als verbales Kommunizieren." Marian, 22, lebt noch bei den Eltern in der Nähe von Bielefeld. Tabea Mewes hat eine Hilfskraftstelle an der hiesigen Universität und besucht ihn mindestens einmal pro Woche. Was auf "Notjustdown" gezeigt wird, entscheidet letztendlich Marian. Auf einem Bild steht er vor dem Kindergarten, in dem er gerade ein Berufspraktikum macht. Ein anderes Foto zeigt ihn dabei, wie er das Layout für seine eigene T-Shirt-Linie entwirft. Darauf prangt der Schriftzug "Inkluencer", eine Mischung aus Inklusion und Influencer. In vielen Videos sieht man die Geschwister tanzen. Eine von Marian Mewes’ Lieblingssongzeilen ist "Young man, there’s no need to feel down" aus "Y.M.C.A.".

Unter den Beiträgen stehen Kommentare wie "Pure Lebenslust, groovy" und auch: "Ich habe selbst einen Jungen mit Downsyndrom, 17 Jahre alt, und ALLES, was ihr macht, gibt mir Mut und Kraft, wenn’s mal schwer ist." Tabea Mewes sagt, dass sie genau weiß, was damit gemeint ist: Sie hat von klein auf den Kampf ihrer Eltern um Marians Rechte beobachtet. Um den Platz an einer passenden Grundschule, um berufliche Perspektiven außerhalb einer Behindertenwerkstatt, um finanzielle Absicherung, auch einfach um Akzeptanz.

Chancengleichheit statt Parallelgesellschaft

In Deutschland leben etwa 50 000 Menschen mit Trisomie 21, schätzt das Forschungsinstitut Touchdown 21. Sie sind heute präsenter im Alltag, als das früher der Fall war: Kinder mit Trisomie 21 sind gefragte Models für Plakate zur Inklusionsdebatte, Modekonzerne buchen sie schon mal für ihre Werbung. "Die Akzeptanz ist trotzdem nicht gewachsen", sagt Tabea Mewes. "Die Haltung ist eher: Ein behindertes Kind muss doch heute nicht mehr sein." Expert*innen schätzen, dass etwa neun von zehn Schwangeren in Deutschland bei einer Trisomie 21 einen Abbruch vornehmen lassen.

Tabea Mewes will darüber nicht urteilen. Sie will aber verhindern, dass Menschen mit Behinderung in einer Parallelgesellschaft leben müssen. Soll ihr Bruder 40 Jahre lang in einer Behindertenwerkstatt einen Job machen, der ihn intellektuell nach einer Woche langweilt? Für 80 Euro im Monat? Obwohl er bei seinem Praktikum im Kindergarten so viel Anerkennung bekommen hat? Tabea Mewes hat beobachtet, wie viel Selbstbewusstsein Marian durch ihr Projekt gewonnen hat. Sie will Chancengleichheit. "Zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention sind wir davon noch meilenweit entfernt." "Notjustdown" ist ihr Versuch, Berührungspunkte zu schaffen und Verbündete zu finden. Sie und ihr Bruder gehen inzwischen zu Vorträgen, besuchen Schulklassen. "Online ist gut", sagt sie. Aber offline ist das Ziel.

Tabea Mewes, 30, kommt aus Schloß Holte-Stukenbrock bei Bielefeld. "Notjustdown" ist 2017 aus ihrer Masterarbeit in Medienwissenschaften entstanden. Es erzählt aus der Geschwisterperspektive von Inklusion, außer Marian und Tabea Mewes taucht auch ihr Bruder Tilman in den Beiträgen auf. 2018 erhielt das Projekt den Goldenen Blogger Award, 2019 den Smart Hero Award.

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BRIGITTE 11/2020

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