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Nicole Jäger Über die große Liebe, Manipulation und das Erkennen des eigenen Wertes

Nicole Jäger
Nicole Jäger
© Archiv Nicole Jäger / Privat
Jede dritte Frau ist mindestens einmal in ihrem Leben von psychischer und/ oder sexualisierter Gewalt betroffen. Auch die Opfer häuslicher Gewalt sind zahlreich, doch das meiste passiert im Verborgenen.

Nicole Jäger könnte diese Stille jetzt durchbrechen. Die 39-Jährige liebt Hamburg, ihre Katze, ihr kleines Fachwerkhaus und Gin Tonic – und ist bekannt für ihre freche, ehrliche Hamburger Schnauze. Die Autorin wurde mit ihrem ersten Buch „Die Fettlöserin – Eine Anatomie des Abnehmens“ bekannt. Aus den Lesungen entwickelte sich das Stand-up-Programm „Ich darf das, ich bin selber dick“.

Jede dritte Frau erfährt in ihrem Leben häusliche Gewalt

Ihre Auftritte sollen die Menschen zum Lachen bringen, doch die tiefgründigen Themen lassen einen auch nach einer Show meist nicht los. Jetzt veröffentlichte sie mit „Unkaputtbar“ ihr drittes Buch. Es geht um ihre eigenen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt und einer toxischen Beziehung.

Nicole Jäger über toxische Beziehungen, psychische Gewalt und den Selbstwert

BRIGITTE.de: In ihrem Buch sprechen Sie von Ihrem Zuhause als einem sehr wichtigen Ort. Was bedeutet für Sie Zuhause?

Nicole Jäger: Wahnsinnig viel. Ein sehr schwerer Begriff. Für mich ist zu Hause ein Ort, an dem ich in Sicherheit bin. Hamburg ist mein zu Hause. Aber es ist nicht zwingend ein Standort oder eine Wohnung. Zu Hause ist da, wo ich mich wohl sicher und auch willkommen fühle. Ich kann mich in Situationen zu Hause fühlen und in Klängen, Tönen und Licht. Und mein kleines Häuschen in Hamburg, was 200 Jahre und älter ist, in dem ganz viel Ich stattfindet.

Doch Sie schreiben gleich zu Beginn ihres Buches „Unkaputtbar“ von einer anderen Wohnung, die für Sie ihr Zuhause war.

Ja, eine kleine 34 Quadratmeter-Studentenwohnung auch in Hamburg. Ich habe dann geheiratet und bin zu ihm gezogen, außerhalb von Hamburg. Und nach ungefähr einem Jahr habe ich gesagt: Es tut mir leid, ich fühlte mich nicht wohl. Ich hatte meine Studentenwohnung nie aufgegeben. Übrigens auch sehr bezeichnend, wenn man in eine Beziehung geht, zusammenzieht und sagt: Ich behalte mal meine kleine Wohnung als Back-up-Funktion. Dann programmiert man quasi ein Ablaufdatum in die Beziehung ein.

Das war also Ihr Ehemann, ein anderer „Er“, wie Sie sie in ihrem Buch nennen. Aber nicht der Mann, um den es hauptsächlich geht. Der Mann, der am Ende versuchte, sie umzubringen. Sie schreiben über die Vorkommnisse und Ihre Gefühle auf eine sehr humoristische und charmant leichte Art. Für die Leser:innen sind die Zeilen so deutlich leichter zu verdauen. Hat Ihnen diese Art des Schreibens ebenfalls beim Verarbeiten geholfen?

Nein, ich glaube, die leichte Art darüber zu schreiben hat zwei Hintergründe. Zum einen möchte ich, dass man das Buch gerne liest. Es geht um ein schweres Thema. Ich wollte einen leichten und niedrigschwelligen Zugang schaffen. Zum anderen geht es in „Unkaputtbar“ nicht nur um Gewalt. Es geht auch um die ganz große Liebe und um ganz viel Gefühl. Ich bin ein weicher Mensch, optisch wie emotional. Und so schreibe ich auch. Aber diese Art des Schreibens war nicht einfacher.

Also wollten Sie kein Betroffenenbuch schreiben?

Nein. Ich wollte nicht, dass man das Buch liest und denkt: Oh, die arme. Also klar bin ich Opfer häuslicher Gewalt, aber das steht nicht auf meiner Flagge. Auf meiner Flagge steht: Verstehen, Helfen, Emotionen, Gefühl und Liebe. Im Buch geht es nicht um ihn, sondern um mich und alle Frauen, die so etwas erleben.

Häufig wird häusliche Gewalt mit blauen Flecken assoziiert, die Narben auf der Seele sieht niemand. Sie sprechen in ihrem Buch von einer toxischen Beziehung und von Manipulation, was genau muss man sich darunter vorstellen?

Psychische Gewalt spielt bei allen Formen der häuslichen Gewalt eine Rolle. Es geht dabei viel um das Phänomen „Gaslighting“. Das bedeutet, der Partner versucht das Opfer zu destabilisieren. Alles was man sagt und macht wird infrage gestellt. Der Satz kann noch so harmlos sein. Ein ganz normales Gespräch in der Küche und er dreht einem das Wort im Mund herum und fängt einen Streit an.

Und was genau hat ihr Ex-Freund gemacht?

Er hat meine Nachrichten gelesen, mein Handy überwacht und sogar das Auto getrackt. Er wusste fast immer, wo ich mich aufhalte. Er hat es immer als romantisch hingestellt. Ich war zum Beispiel auf einer Party meines besten Freundes. 20 Minuten später stand er vor der Tür und meinte, er habe sich Sorgen um mich gemacht und dachte, es könnte mir schlecht gehen. Wenn ich ihm dann sagte, dass das unheimlich ist und total übergriffig, dann hat er es so hingestellt, als würde ich ihn nicht genug lieben, um das zu verstehen.

Er hat also Ihnen die Schuld gegeben?

Ja. Das ist das größte Problem häuslicher Gewalt, die Täter-Opfer-Umkehr. Der Täter verhält sich, als wäre er das Opfer und versucht dir die Schuld einzureden. Du würdest ihn provozieren, er könne also gar nicht anders reagieren.

Haben Sie sich diese Schuld aufgeladen?

Ich habe irgendwann an mir gezweifelt. Bin ich vielleicht doch schuld? Man wird immer an diesem Punkt gehalten, dass man nie genug ist. Man schenkt nie genug Aufmerksamkeit und egal was man auch tut, es langt nie, um seine Liebe aufzuwiegen.

Wann kam der Punkt, an dem Sie gemerkt haben, hier läuft jetzt etwas in die völlig falsche Richtung?

Eigentlich gab es nicht den einen Punkt. Für mich war klar, als ich das erste Mal merkte, dass ich Angst vor ihm habe, dass hier gewaltig was schiefläuft. Seine Gegenwart hat kein gutes Gefühl mehr ausgelöst und ich wusste, das geht nicht mehr lange gut. Und da liegt eben der Unterschied zwischen einer toxischen Beziehung und einem schlechten Verhalten eines Partners. Er hat mir immer gedroht, dass, wenn ich ihn verlasse, er mich umbringen wird, auch schon vor meinem Entschluss. Die Drohung hat er dann auch versucht in die Tat umzusetzen, offensichtlich hat er es nicht geschafft. Spätestens da war es mir klar, aber das heißt noch lange nicht, dass ich dann gehen konnte.

Warum?

Der Täter bestimmt den Zeitpunkt. Es geht um Besitz und Macht. Von dem Moment des körperlichen Angriffs bis zu dem Moment, wo ich wirklich nichts mehr von ihm hörte, vergingen eineinhalb Jahre.

Wie kann man sich diese eineinhalb Jahre vorstellen?

Man ist nach so einer Beziehung körperlich und emotional am Ende. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits einen Tinnitus von mehreren Hörstürzen durch die Stressbelastung, Panikattacken und Angst. Aus so einer Beziehung kann man nur sukzessive entkommen. Irgendwann habe ich ihn nicht mehr rein gelassen – zum Glück wohnten wir nicht zusammen. Später habe ich das Schloss auswechseln und noch zusätzliche Schlösser anbringen lassen. Meine beste Freundin zog für eine Weile ein. Was aber nicht hieß, dass er nicht die ganze Nacht draußen im Garten stand oder geklingelt hat. Als ich ihm irgendwann mit einem Anwalt drohte, wurde es langsam ruhig.

In einem Interview sagten sie einmal, dass Singledasein eigentlich immer nur ein Zustand zwischen zwei Beziehungen ist. Sie waren also als Single immer auf der Suche nach dem nächsten Mann. Haben Sie jetzt das Gefühl, auch ohne Mann glücklich werden zu können?

Ja. Ich glaube nicht daran, dass es den passenden Deckel zum Topf gibt. Aber ich brauche ihn auch gar nicht. Alles, was ich brauche in meinem Leben sind gute Beziehungen, tolle Gespräche, tolle Zeiten mit tollen Leuten, gute Urlaube und guter Sex. Das kann ich alles haben, ohne eine Beziehung zu führen. Und ohne das ich denken muss, wenn ich nicht vergeben bin, dann läuft was schief. Ich habe aber nicht „Unkaputtbar“ geschrieben und jetzt ist alles gut und ich bin der Inbegriff von Selbstliebe, das ist nicht so.

Wie steht es denn gerade um Ihre Selbstliebe und das Selbstwertgefühl?

Ja, also, ich glaube, ich werde morgens nie aufstehen und sagen: Ja, ich bin Gottes Geschenk an die Menschheit. I am on a healing journey – ich bin immer noch auf der Reise zur Heilung. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich nicht das beste aller Leben führen kann, währenddessen. Und wenn man sich selbst den Druck rausnimmt, einem anderen Menschen immer gefallen zu wollen, dann macht das viele Dinge einfacher. Es ist mir doch völlig egal, ob man findet, dass man nicht mit Jogginganzug einkaufen gehen sollte. Es ist gemütlich und ich will hier keinen beeindrucken, so.

Brigitte

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