Anzeige

Wie eine junge Nepalesin ein ganzes Dorf rettet

Kinderehen und Demütigungen von Mädchen sind in Nepal an der Tagesordnung. Ein Mädchen widersetzte sich und veränderte dadurch ihr ganzes Dorf.

Jungs behandeln Jungs mit Respekt - und demütigen Mädchen

Es gibt eine Erinnerung, bei der Rohini Khaa, 22, noch heute in Tränen ausbricht, wenn sie davon erzählt. Sie war acht, ein kleines Mädchen aus dem Dorf Tetariya im Südosten Nepals, das auf der Straße mit einem Freund spielte, als ein anderer Junge dazukam. Der blickte Rohini von oben bis unten an und sagte zu ihrem Spielkameraden: "Was willst du denn mit der, die hat ja nicht einmal Sandalen!" Und ihr Freund ließ Rohini stehen und ging mit dem Jungen davon.

Damals war Rohini furchtbar gekränkt. Heute kommen ihr die Tränen aus Empörung. "Niemals", sagt sie, "hätten sie das mit einem Jungen gemacht, niemals über dessen Armut hergezogen. Jungs behandeln Jungs mit Respekt. Und demütigen Mädchen."

Rohini ist ins Büro des Kinderhilfswerks "Plan International" in Nepals Hauptstadt Kathmandu gekommen. Es war ihr erster Flug – Tetariya ist 370 Kilometer entfernt –, noch ist ihr schwindlig, aber das lässt sie sich nicht anmer­ken, schon gar nicht, wenn sie über ihre Arbeit spricht. Dann ist sie glasklar, und von dem erschütterten Mädchen von damals ist nichts mehr zu spüren. Ihre Biografie ist ein Beispiel dafür, wie viel man auch in abgelegenen Dörfern erreichen kann, wenn man die Kinder über ihre Rechte aufklärt.

Die meisten Kinder verlassen nach vier Jahren die Schule

Etwa 9000 Menschen leben in Tetariya, die meisten, wie Rohinis Eltern, von ihren Feldern, sie bauen Weizen, Linsen, Kartoffeln an. Rohini ist das jüngste von sechs Geschwistern, ihre vier Schwestern gingen nach vier Jahren von der Schule ab, "sie mussten Geld verdienen", sagt Rohini. "Weil sie arbeiteten, konnten mein Bruder und ich länger zu Schule gehen."

Mit elf trat sie in den Child Club ein, eine von Plan International mit Spenden und Patenschaftsbeiträgen finanzierte Einrichtung. In Spielen und Workshops lernen die Kinder zu hinterfragen, was für sie bisher selbstverständlich war: dass Mädchen früh heiraten, Kinder arbeiten. Rohini erfuhr, dass Kinderrechte, wenn man sie achtet, das Leben im ganzen Dorf verbessern. 200 Kin­der gingen in den Club, Rohini fiel auf, weil sie mit ihrer Begeisterung alle mitzog.

Rohini und ihr Dorf setzten in ganz Nepal Maßstäbe

Gemeinsam machten sie Straßentheater; erklärten Eltern, was sie ihren Töchtern antun, wenn sie sie zu früh verheiraten; brachten junge Eltern dazu, ihr Baby ins Geburtenregister eintragen zu lassen – denn nur so ist künftig nachweisbar, wie alt eine Braut wirklich ist.

"Man muss glaubwürdig sein, wenn man andere mitreißen will", betont Rohini, "und sagen, was man fühlt." Erst wurde sie Kassenwartin des Clubs, später Leiterin, dann Leiterin aller Clubs in der Region.

Inzwischen gehen alle Kinder in Tetariya zur Schule, alle Neugeborenen werden registriert, und es gibt keine Kinderehen mehr. Tetariya setzt damit in ganz Nepal Maßstäbe, Rohini und ihr Club wurden im März 2016 von der nepalesischen Regierung ausgezeichnet. Für Rohini ist das kein Grund, nachzulassen: "Man muss immer wachsam bleiben, sonst schleichen sich alte Muster wieder ein." Eine Aktivistin, sagt Rohini, sei sie dennoch nicht. Lieber nennt sie sich Unterstützerin – "eine, die Kindern beim Aufwachsen hilft".

Tipp: Ihr wollt etwas tun? Mit einer Patenschaft in Nepal könnt ihr helfen, die Rechte von Mädchen aktiv einzufordern.

html box PlanInt

Meike Dinklage

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel