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Gleichstellung Warum Frauen besonders unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden

Syrisches Flüchtlingsmädchen
© Shutterstock/thomas koch
Zunehmende Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels stellen die Menschen weltweit vor große Herausforderungen. Was weniger bekannt ist: Die Folgen des Klimawandels verschärfen bestehende Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern und drohen wichtige Entwicklungserfolge für Mädchen und Frauen zunichtezumachen.

Krieg, Überschwemmung, Erdbeben: Eine Katastrophe ist für alle betroffenen Menschen schlimm. Doch für eine Frau, besonders für eine junge Frau oder ein Mädchen, können die Folgen besonders dramatisch sein.

Das gilt vor allem in Gesellschaften, in denen Mädchen gegenüber ihren Brüdern ohnehin schon benachteiligt sind. Die "London School of Economics" (LSE) fand bei einer Studie in 141 Ländern heraus, dass Jungen in Notsituationen allgemein bevorzugt behandelt werden.

Naturkatastrophen: Jungen und Männer werden bevorzugt behandelt

Die Wahrscheinlichkeit, in Folge einer Katastrophe zu sterben, ist für Frauen und Kinder 14-mal höher als für Männer. Und in Flüchtlingscamps werden jugendliche Mädchen häufig Opfer von Gewalt: Nach dem Erdbeben in Haiti 2010 erhöhte sich die Schwangerschaftsrate in den Camps auf das Dreifache, zwei Drittel waren ungewollt. "Human Rights Watch" stellte fest, dass in Haiti viele Frauen und Mädchen nach einer Vergewaltigung keine Hilfe suchten, weil sie sich schämten, zu berichten, was geschehen war.

Katastrophen können aber auch mehr Kinderheiraten zur Folge haben. Laut Studien in Somaliland, Bangladesch und Niger betrachten Familien und Gemeinden in Zeiten einer Katastrophe die Verheiratung der Mädchen als Schutzmaßnahme.

Wie können die Probleme gelöst werden?

Für die Organisation "Plan International" liegt der Schlüssel in der Bildung. Schule biete nicht nur physischen Schutz vor sexuellen Übergriffen und Ausbeutung, hier könnten die Mädchen die traumatischen Erlebnisse einer Katastrophe auch psychisch besser bewältigen.

Interview mit Kathrin Hartkopf, Geschäftsführerin von Plan International Deutschland

Kathrin Hartkopf, Geschäftsführerin von Plan International Deutschland, in Peru
Kathrin Hartkopf, Geschäftsführerin von Plan International Deutschland, in Peru
© Alf Berg / Plan International

BRIGITTE.de: Was sind die besonderen Herausforderungen, mit denen Mädchen in Krisen- und Katastrophensituationen konfrontiert sind?
In unüberschaubaren Situationen – wie nach einer Naturkatastrophe – steigt die Gefahr sexualisierter Gewalt. Mädchen und Frauen, die beispielsweise in Nothilfecamps untergebracht sind, werden häufiger Opfer von Übergriffen. Doch auch durch die immer weiteren Wege zur Schule oder zum Holen von Wasser oder Brennholz sind sie dem Risiko von Überfällen ausgesetzt. Viele bekommen schon im Teenageralter Kinder. Für sie ein hohes Gesundheitsrisiko.

Viele Eltern können sich die Schulgebühren für alle Kinder nicht mehr leisten und geben ihren Söhnen den Vorrang. Aus der wirtschaftlichen Not heraus müssen viele Mädchen die Schule vorzeitig verlassen und werden verheiratet, obwohl sie noch minderjährig sind. Auch wenn Nahrungsmittel knapp werden, haben Mädchen das Nachsehen. Folge: Unter- und Mangelernährung haben oft lebenslange Auswirkungen auf sie, auf ihre Lernfähigkeit, aber auch auf ihre physische Verfassung.

Warum ist die Lage von Mädchen und Frauen in Nothilfecamps besonders gefährlich?
Einerseits müssen Mädchen in Notsituationen erheblich mehr Verantwortung übernehmen, zum Beispiel indem sie mehr mitarbeiten und auf ihre Geschwister aufpassen müssen. Andererseits zählen ihre Bedürfnisse in solchen extremen Situationen noch weniger. Schon der Gang zur Toilette birgt für sie die Gefahr von sexuellen Übergriffen. Deshalb ist es so wichtig, in Nothilfecamps getrennte Latrinen und Waschräume für Mädchen und Frauen einzurichten. Auch müssen Sanitäranlagen abends beleuchtet sein.

Welche Auswirkungen haben Katastrophen auf die Hygiene von Mädchen und Frauen?
Fehlendes Wasser beeinträchtigt die Hygiene der Mädchen vor allem während ihrer Menstruation. Sie versäumen den Unterricht, weil sie keine Vorsorge treffen können. Oft müssen sie bei großer Hitze und ohne Damenbinden oder angemessene Unterwäsche viele Kilometer zu Fuß gehen. Das führt dazu, dass viele Mädchen während ihrer Periodenblutung lieber zuhause bleiben und den Anschluss an die Schule verlieren.

Wie stark sind Mädchen und Frauen unmittelbar von Erdbeben, Überschwemmungen oder anderen Naturkatastrophen betroffen?
Frauen und Kinder haben ein deutlich höheres Risiko als Männer, infolge einer Naturkatastrophe zu sterben. Wenn eine Überschwemmung, ein Erdbeben oder ein Wirbelsturm kommt, sind Frauen und Kinder meistens zu Hause. Die Mütter müssen nicht nur sich selbst retten, sondern auch ihre Kinder versorgen. Und leisten damit die erste Nothilfe vor Ort.

Also sollten auch Mädchen und Frauen in die Katastrophenvorsorge eingebunden werden?
Ja, auf jeden Fall. Mädchen und Frauen müssen genauso über die Fluchtwege und Risiken Bescheid wissen wie Jungen und Männer: Welcher Teil eines Dorfes droht als Erstes zu überschwemmen? Welche Bereiche dagegen sind sicher? Frauen definieren in vielerlei Hinsicht das Gemeindeleben. Bei unseren Katastrophenvorsorge-Projekten machen wir immer wieder die Erfahrung, dass Mädchen und junge Frauen sehr engagiert mitmachen und dadurch auch andere überzeugen. Dazu müssen Mädchen und Frauen in ihrer Rolle jedoch gestärkt und aktiv in die Arbeit einbezogen werden. Auch auf politischer Ebene.

Wie können Mädchen denn auf politischer Ebene beteiligt werden?
Ein gutes Beispiel ist die Umfrage zu den sekundären Folgen des Klimawandels, die 16 junge Frauen in Sambia und Simbabwe in Zusammenarbeit mit Plan dieses Jahr durchgeführt haben. Die Aktivistinnen interviewten in ihren Gemeinden 160 Mädchen und Jungen zwischen 14 und 19 Jahren. Im Fokus stand die Frage, wie die indirekten Folgen der Klimaveränderungen für Kinder, insbesondere aber für Mädchen, reduziert werden können. Auf Basis der Ergebnisse dieser Umfrage entwickelten die Aktivistinnen zum Weltklimagipfel in Glasgow eine Reihe detaillierter Empfehlungen für politische Entscheidungsträger:innen.

Wie sehen die Empfehlungen zur Anpassung an den Klimawandel konkret aus?
Sie fordern beispielsweise den Bau neuer Schulen, die auch von überschwemmungs-gefährdeten Gemeinden aus ohne Gefahren erreichbar sind. Auch eine bessere Anpassung der Unterrichtszeiten an die wechselnden Jahreszeiten sowie die Einrichtung von Satellitenschulen zählen zu ihren Vorschlägen. Das sind kleine Ableger großer Schulen, in denen mehrere Jahrgänge von einer Lehrkraft in einer Zwergschule unterrichtet werden. Diese Satellitenschulen ermöglichen Mädchen in abgelegenen ländlichen Regionen, ihre Schule zu beenden, ohne dem Risiko weiter und gefährlicher Schulwege ausgesetzt zu sein. Außerdem machen sie darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, das Thema Klimawandel mit in die Lehrpläne aufzunehmen und gemeinsam mit den Gemeinden Strategien zur Anpassung an den Klimawandel zu entwickeln.

Wie können die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels für Mädchen und Frauen verbessert werden?
Plan International hat beispielsweise Brunnen in Sambia bauen lassen, um die Folgen von Dürre zu reduzieren. So müssen Mädchen nicht mehr so weit laufen, um Wasser zu holen. Zudem wurden "Würde-Kits" bereitgestellt. Dabei handelt es sich um Pakete mit Damenbinden, Seife und anderen Materialien, die Mädchen und junge Frauen während ihrer Menstruation benötigen - vor allem, wenn sie nur begrenzten Zugang zu sauberem Wasser haben. Über ein vierjähriges Klimaschutzprojekt werden 400 junge Frauen und Männern in nach­haltigen landwirtschaftlichen Berufen ausgebildet. 

Welche Mädchen-Schicksale sind Ihnen begegnet?
Sehr beeindruckt hat mich beispielsweise die heute 22-jährige Marinel, Tochter eines Fischers aus den Philippinen. In ihrer Heimat sind die Auswirkungen des Klimawandels seit Jahren besonders heftig. Immer häufiger kommt es zu Naturkatastrophen. So hat der Taifun Haiyan, der 2013 mehr als 6.000 Menschen das Leben kostete, auch ihr Dorf komplett zerstörte. Im Jahr zuvor hatte Marinel an einem Plan-Projekt teilgenommen, das die Widerstandsfähigkeit der Menschen in der Region stärken soll. Dort lernte sie u.a. gemeinsam mit anderen Jugendlichen den Umgang mit der Natur und über die Rechte der Kinder – und gab dieses Wissen an andere weiter. Als der Taifun Haiyan zuschlug, hatte Marinel Glück und konnte sich mit ihrer Familie in Sicherheit bringen. Ihre Erlebnisse haben sie bestärkt, sich gegen den Klimawandel einzusetzen. Heute zählt Marinel zu den wichtigsten Klima-Aktivistinnen der Welt: 2015 sprach sie auf der UN-Klimakonferenz in Paris. Wir haben sie bestärkt, diesen Weg zu gehen. Marinel ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir gemeinsam Mädchen und junge Frauen fördern können, sich für ihre Rechte einzusetzen.

Weitere Informationen zum Kinderhilfswerk unter plan.de

Brigitte

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