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Gambia Nana-Jo Ndow kämpft gegen das Vergessen

Nana-Jo Ndow: Eine Frau sitzt auf einem Holzstuhl
© Natalia Bronny
Was sie will: ihr Land nach der Diktatur heilen
Was es dafür braucht: Aufklärung
Warum sie das tut: weil ihr Vater nur ein Opfer von vielen war.

Nana-Jo Ndows Kampf gegen das Vergessen begann vor zehn Jahren. Damals verschwand ihr Vater, ein einflussreicher gambischer Geschäftsmann und Kritiker des gambischen Regimes während einer Geschäftsreise im benachbarten Senegal spurlos. "Er war immer schlecht darin gewesen, auf E-Mails zu antworten", erinnert sich Ndow. Deshalb hatte sie ihn immer wieder ermahnt, sich öfter zu melden, sie machte sich Sorgen, wenn sie nichts von ihm hörte. Doch damals, vor zehn Jahren, verstummte er plötzlich völlig. Da wusste Ndow, dass wirklich Grund zur Sorge bestand.

Nana-Jo Ndow, heute 38, war noch ein Kind, als der Diktator Yahya Jammeh 1994 in Gambia durch einen Militärputsch an die Macht kam. Ihr Vater unterstützte danach verschiedene Dissident:innen, die ein Ende der Diktatur forderten. Ende der 1990er ging er ins Exil, seine Kinder wuchsen in London und der Elfenbeinküste auf. Der Zorn Jammehs traf ihn trotzdem. 2013 wurde er auf Befehl des Diktators im Senegal von Milizen entführt und ermordet.

Er ist nicht der Einzige: Während der über 20-jährigen Diktatur in Gambia wurden Hunderte Oppositionelle Opfer von Verschwindenlassen, Folter, Mord. Die Wende kam erst 2017: Als Gambias Nachbarstaaten mit militärischer Intervention drohten, erkannte Jammeh seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen an. Unter der neuen demokratisch gewählten Regierung kamen politische Gefangene frei, Medien konnten unabhängig berichten. Eine Wahrheitskommission arbeitete bis 2021 einen Teil der Verbrechen der Jammeh-Ära auf.

Eine Chance für Aufklärung und Gerechtigkeit

Auch für Nana-Jo Ndow begann damals eine neue Phase: Das Ende der Diktatur war für sie eine Chance, Aufklärung und Gerechtigkeit für den Tod ihres Vaters und anderer Regimegegner:innen zu fordern. "Mir wurde klar, dass wir als Familie allein nicht viel erreichen würden, dass wir uns organisieren müssen." 2018 gründete sie daher das Afrikanische Netzwerk gegen außergerichtliche Hinrichtungen und gewaltsames Verschwindenlassen (ANEKED). Sie vernetzte sich mit anderen Betroffenen – meist Frauen wie sie und ihre Mutter, deren Söhne, Männer, Väter verschwunden waren – und tauschte sich über die Erfahrungen bei der Suche aus. Doch ihr Blick war immer auch aufs große Ganze gerichtet: Wie kann eine Gesellschaft nach 22 Jahren Diktatur wieder heil werden?

Die Arbeit der staatlichen Wahrheitskommission habe hier viel bewirkt, findet Ndow: Opfer und Täter wurden gehört. Es gab Empfehlungen, wem der Prozess gemacht werden sollte. Doch sie will mehr. "Wir haben es mit einer ganzen Generation zu tun, die nichts kennt als Gewalt und Straflosigkeit. Wenn wir das jetzt nicht richtig machen, wird die Gewalt irgendwann wiederkommen."

ANEKED veranstaltet deshalb Workshops zur Erinnerungsarbeit in gambischen Schulen, kämpft für eine bessere Gesetzgebung gegen das Verschwindenlassen, bringt Überlebende und Politiker:innen auf Konferenzen zusammen und die Fälle Verschwundener vor Gericht. Wenn Ndow beim Interview in Berlin, wo sie mit ihrem deutschen Mann und ihrer Tochter lebt, von ihrer Arbeit erzählt, klingt es manchmal so, als müssten sie und ihre zwölf Kolleginnen im Alleingang die demokratische Zukunft Gambias aufbauen. Auch in Ghana arbeitet das Netzwerk schon, es will zudem in anderen Ländern Afrikas aktiv werden, die einst unter Diktaturen litten.

Der Zukunft entgegen

Bald zieht Nana-Jo Ndow mit ihrer Familie nach New York. Wie in Berlin wird die studierte Gender-Equality-Forscherin auch dort als Referentin zu Frauen in Friedens- und Konfliktforschung arbeiten – und ihre ehrenamtliche Arbeit für ANEKED fortsetzen. Das Geld ist dabei stets knapp, denn sie muss für jedes Projekt neu Geld bei Stiftungen und Organisationen wie den Vereinten Nationen beantragen.

In Gambia hat ANEKED ein Museum gegründet, um die Geschichten der Opfer von Jammehs Diktatur zu dokumentieren. Auch die von Ndows Vater. Nach seinem Verschwinden sah Ndow ihn nie wieder. Doch anders als andere Angehörige von Verschwundenen weiß sie heute zumindest, dass er tatsächlich tot ist. Und sie konnte vor dem Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Entschädigung erstreiten: Für die Verletzung ihrer Grundrechte muss der gambische Staat ihr nun rund 100 000 Dollar zahlen.

Brigitte

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