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"Proyecto Rosa" - eine Stimme für die Vertriebenen

Drei Kolumbianerinnen verschmelzen Journalismus mit Kunst, binden Bürger ein - und machen mit ihrer Internetseite "Proyecto Rosa" auf das Schicksal Vertriebener aufmerksam.
Marcela Peláez, eine der Macherinnen von "Proyecto Rosa"
Marcela Peláez, eine der Macherinnen von "Proyecto Rosa"
© Thomas Ecke

Menschen eine Stimme geben, die sonst keine haben - und zeigen, dass gut gemachter Journalismus auch Kunst ist: Dieses Ziel haben die drei Frauen vor Augen, als sie im August 2012 die multimediale, flash-animierte Website "Proyecto Rosa" starten. Die Macherinnen hinter "Proyecto Rosa" heißen Olga Lozano, Juanita León und Marcela Peláez. Sie wollen die Aufmerksamkeit auf die Opfer der kolumbianischen Landvertreibung lenken - Menschen, die im langen und blutigen Bürgerkrieg in Kolumbien aus ihren Dörfern vertrieben wurden.

Als Protagonistin für ihr Projekt wählen die Journalistinnen die 60-jährige Rosa Amelia Hernández. Die Farmerin stammt aus der Region Córdoba, in der die Paramilitärs besonders aktiv sind. Wie viele ihrer Nachbarn wurde Rosa von ihrem Land vertrieben. Doch sie kämpft für ihre Rechte und die anderer Betroffener, baut ein Netzwerk auf von Opfern, Rechtanwälten und Sympathisanten. "Selbst wenn sie mich töten, war es das wert", sagt sie. Dank "Proyecto Rosa" ist Rosa inzwischen im ganzen Land bekannt.

"Proyecto Rosa" entstand als Teil der Online-Nachrichtenplattform "La Villa Vacía" (Der leere Stuhl), die mit neuen journalistischen Darstellungsformen experimentiert. Sie verknüpft politische Analysen mit Blogs und Bürgerjournalismus. "La Villa Vacía" soll eine unabhängige Alternative zu Kolumbiens Nachrichtenmedien sein, denn die sind eng mit den politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes verbunden.

Marcela Peláez von "Proyecto Rosa" und die anderen Preisträger des Deutschen Medienpreis Entwicklungspolitik
Marcela Peláez von "Proyecto Rosa" und die anderen Preisträger des Deutschen Medienpreis Entwicklungspolitik
© Thomas Ecke

Auch "Proyecto Rosa" ist ein unabhängiges Projekt; es verbindet solide recherchierte Berichte und Reportagen mit künstlerischen Elementen wie Musik, Plakaten und Videos. Es informiert, zeigt Schicksale auf, kommentiert Sachverhalte, erklärt Hintergründe. Tausende Kolumbianer unterstützen das Projekt - durch Geld- oder Sachspenden, Workshops, Rechtshilfe oder einfach durch Tweets und Facebook-Einträge.

Nun wurde das "Proyecto Rosa" mit dem Deutschen Medienpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet: Aus 1081 Bewerbungen aus 109 Ländern wählten das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und die Deutsche Welle die Seite aus - als eine von sieben herausragenden journalistischen Arbeiten zu den Themen Menschenrechte und Entwicklung weltweit.

Hintergrund: Das Opfergesetz und der Bürgerkrieg

Am 10. Juni 2011 unterzeichnet Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos das "Gesetz zur Entschädigung der Gewaltopfer". Damit übernimmt der Staat erstmals die Verantwortung für die Folgen jahrzehntelanger Gewalt. Er verpflichtet sich, die Opfer finanziell zu entschädigen und den mehr als 3,5 Millionen gewaltsam vertriebenen Kolumbianern eine Rückkehr in ihre Dörfer zu ermöglichen. Die Regierung beschützt vertriebene Gemeinden vor bewaffneten Gruppen, die gegen die Rückgabe dieser Ländereien sind. Noch immer müssen Monat für Monat tausende Kolumbianer vor Drogenbanden, Guerilla und Nachfolgeorganisationen der Paramilitärs fliehen. Vertriebene, die die Rückgabe ihrer Grundstücke fordern, werden immer wieder gewaltsam bedroht, eingeschüchtert - und sogar ermordet: Mehr als 25.000 Kolumbianer fallen dem Terror jährlich zum Opfer.

Marcela Peláez im Telefoninterview

BRIGITTE.de: Für Ihr Projekt "Proyecto Rosa" haben Sie einen bemerkenswerten Aufwand betrieben...

Wir wollten eine neue Form der Präsentation schaffen - etwas Größeres, als nur eine Geschichte zu erzählen. Etwas, das ein größeres Publikum anspricht. Deswegen haben wir klassische Künstler, Fotografen und Musiker mit an Bord geholt. Sogar ein Theaterstück gibt es inzwischen dazu. Die Website an sich sollte als Kunstwerk wahrgenommen werden. Wir wollten solch ein ernstes Thema wie die Vertreibungsopfer in Kolumbien von einer anderen Perspektive beleuchten.

Welches Ziel haben Sie mit Ihrem Projekt verfolgt?

Eines unserer Hauptziele war es, dass Rosa Schutz von der Regierung bekommt. Denn weil sie sich für die Rechte der Vertriebenen engagiert, hat sie auch viele Feinde. Seit dem Erlass des Opfergesetzes muss die Regierung untersuchen, welchem Risiko die jeweilige Person ausgesetzt ist. In Rosas Fall hieß es, sie sei keiner Gefahr ausgesetzt.

Änderte sich diese Haltung, als die Regierung von "Proyecto Rosa" erfuhr?

Noch am gleichen Tag riefen sie bei Rosa an und garantierten ihr Personenschutz. Sie bekam einen Bodyguard, ein Auto, eine schusssichere Weste und ein Telefon. Eine Woche später wurde sie auch unter die "zehn führenden Persönlichkeiten" Kolumbiens gewählt. Sogar Präsident Juan Manuel Santos hat Rosa inzwischen getroffen. Das war, zusammen mit dem Schutz, ihr größter Wunsch.

Gibt es einen Moment, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Ja - das erste Treffen mit Rosa. Wir hatten sie zuvor noch nie persönlich gesehen. Wir wussten, dass sie eine Farmerin ist, die in bescheidenen Verhältnissen lebt. Und dann empfing sie uns mit einem dicken Geländewagen und einem Bodyguard, der wie der Terminator aussah. Das war verwirrend und lustig zugleich.

Wie geht es weiter mit dem Projekt?

"Proyecto Rosa" endet im September. Es war auf ein Jahr angelegt. Aber die Regierung wird Rosa weiterhin beschützen. Sie hat sogar kürzlich einen zweiten Bodyguard bekommen. Ich sehe das Projekt als eine Basis, von der aus wir immer neue Wege erproben, über solche Themen zu berichten. Es ist eine Re-Interpretation des Journalismus an sich. Ich bin sicher, dass schon bald irgendwo ein ähnliches Projekt starten wird.

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