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Moritz Neumeier "Ich hatte keine Ahnung, wie viel Macht ich besitze"

Moritz Neumeier
© Funke Foto Services / imago images
Moritz Neumeier ist Comedian, Vater und ein Mann. Im Interview mit BRIGITTE.de spricht er über seine Sichtweise auf Machtmissbrauch – in jeder dieser Rollen.

BRIGITTE: Moritz, du hast ein ganzes Programm den unangenehmen Momenten des Lebens gewidmet, etwa der Scham. Sie ist auch im Kontext von Machtmissbrauch oft ein Grund, wieso man Dinge tut, die man eigentlich nicht möchte. Oder sie verschweigt. Wie schaffst du es, dich auf eine Bühne zu stellen und über Unangenehmes zu sprechen?

Moritz Neumeier: Es ist ein eindeutiger Unterschied zwischen Bühne und privat. Privat fällt es mir auch unbeschreiblich schwer, aber ich übe es, weil ich es gerne können möchte. Aber auf der Bühne bin das nicht ich, sondern die Figur, die ich erfunden habe und diese Figur ist in der Lage, unangenehme Sachen zu sagen.

Wenn es dir selbst schwerfällt, wieso hast du dich entschieden, trotzdem über unangenehme Gefühle zu sprechen?

Mir sind viele Sachen unangenehm. Ich bin manchmal traurig, ich weiß mal nicht weiter, ich schäme mich. Ich dachte, das wäre mein Problem. Bis ich gemerkt habe: die meisten Leute haben die gleichen Themen, die man aber nicht gerne zugibt, weil man sich machtlos fühlt oder denkt, man wird verurteilt. 

Das erste Mal habe ich das gar nicht bewusst gemacht, das war irgendein Witz, der nicht gut war und ich habe gemerkt, oh, ich verliere die Leute und habe dann genau das sehr ehrlich gesagt. Und da gab es eine bestimmte Form von Lachen. Das war kein lustiges Lachen, sondern die Leute mussten lachen, weil sie sich ertappt gefühlt haben. Da habe ich gemerkt: Das ist ein viel schöneres Lachen, es hat etwas Therapeutisches, im Lachen zu merken, ich bin nicht alleine mit meinen Problemen.

Menschen haben eine unglaubliche Macht über mich, ohne dass sie es überhaupt wissen.

Wo findet sich Macht in deinem Leben wieder?

Ich habe definitiv Macht über meine Kinder. Wir versuchen, dass die Kinder möglichst viel mitentscheiden, aber einige Sachen entscheide ich einfach. Wenn es kalt draußen ist und meine Kinder wollen keine Jacke anziehen, ist es schön, wenn ich versuche, sie zu überzeugen, aber wenn sie Nein sagen, kann ich nicht sagen: Naja, deine Entscheidung. Ich trage die Verantwortung, dass sie keine Lungenentzündung bekommen. Da habe ich die Macht, zu sagen, pass auf, du gehst so raus oder nicht. Aber es gibt ja verschiedene Formen von Machtauslebung, natürlich versuche ich, das möglichst gewaltfrei in der Kommunikation zu lösen. Auch das gelingt nicht immer bei drei Kindern und einem stressigen Alltag.

Dann habe ich Macht über meine Mitarbeitenden, die ich nicht leugnen kann, weil ich sie bezahle. Selbst wenn ich Dinge locker sehe, hat das nichts damit zu tun, wie sie das Gefühl haben, ihren Job machen zu müssen, weil ich sie am Ende eben dafür bezahle.

Und ich bin sehr aktiv in der Schule meiner Kinder. Sie ist komplett elternorganisiert und auch da entsteht Macht in der Gruppenbildung. Obwohl es laut Definition der Schule keine Macht geben soll, gibt es natürlich Macht. Eigentlich sollte kein Job anders sein als ein anderer, ob du nun im Vorstand oder Putzteam bist. Aber nicht in der Wahrnehmung der Menschen. Da kann man noch dreimal aufschreiben, dass alles flache Hierarchien sind, das ist für Menschen nicht so und auch das musste ich erstmal realisieren und lernen, damit umzugehen.

Der erste Punkt ist, zu sehen: es gibt automatisch Machtgefälle in einer Gesellschaft.

Hat auch jemand oder etwas Macht über dich?

Am Anfang bist du darauf angewiesen, dass die Bühnen dich einladen, dass die Veranstalter dich mögen, dass die Zeitschrift über dich schreibt, dass das Fernsehen dich aufnimmt. Es geht eine große Macht vom Publikum aus. Sehr viel Macht haben YouTube, Facebook und Instagram und die Kommentare. Ich habe jahrelang versucht, so zu handeln, wie ich der Meinung war, dass Leute es von mir erwarten. Große Macht über mich haben also gesellschaftliche Konventionen. Beruflich konnte ich mich von den meisten Sachen frei machen. Ich habe keinen Chef mehr, dem Publikum scheint es völlig egal zu sein, was ich da oben sage und die Apps habe ich alle gelöscht. Deswegen ist es jetzt eher im Privaten. 

Menschen haben eine unglaubliche Macht über mich, ohne dass sie es überhaupt wissen. Für mich ist es enorm wichtig, dass sie mich mögen.

Hast du schon einmal miterlebt, wie Macht missbraucht wurde?

Ja, also auch bei mir, ich habe auch Macht missbraucht. Unbewusst. Manchmal sogar bewusst, weil ich ein Ziel erreichen wollte und keine andere Möglichkeit sah, als meine Machtposition auszunutzen. Es ist jetzt nicht so, dass ich Leute unterdrücke, aber in meinem Beruf habe ich die Möglichkeit, zu sagen, ich bin bei einem Projekt nur dabei, wenn wir das so machen, wie ich das will. Das ist am Ende auch Machtmissbrauch, weil wir nicht auf Augenhöhe sind und ich ein Ultimatum stelle.

Wenn man von Machtgefällen spricht, kann man fünf Mal sagen, naja, ich mache das nicht, mit mir hat das nichts zu tun. 

Der erste Punkt ist, zu sehen: es gibt automatisch Machtgefälle in einer Gesellschaft. Der zweite ist, zu akzeptieren, dass man auf jeden Fall Teil davon ist. Nur weil man selbst etwas nicht wahrnimmt, heißt das nicht, dass man es nicht macht. Der dritte Punkt ist, zu sehen, dass es ja nicht nur um uns geht. Wir sind nicht die ersten Menschen, bei denen ein Machtgefälle entstehen könnte. Es gab schon viele Männer vor uns, die Macht nach unten gedrückt haben und damit sind wir aufgewachsen.

Das heißt, man muss sich dessen bewusst machen. Und das ist eine Menge Arbeit.

Wenn man anfängt, darauf zu achten, wie Männer sich in einem Gespräch verhalten, dann merkt man, dass die Grenze zwischen Dominanz und Macht eine ganz dünne Linie ist.

Du sprichst explizit von Männern? 

Wenn man anfängt, darauf zu achten, wie Männer sich in einem Gespräch verhalten, dann merkt man, dass die Grenze zwischen Dominanz und Macht eine ganz dünne Linie ist. Und auch bei denen, die ganz demokratisch arbeiten. Das ist auch Machtmissbrauch, wenn Männer viel mehr Redezeit einfordern, Argumente neun Mal vortragen und wenn das nicht klappt, lauter werden.

Glaubst du denn, dass es auch vermehrt Männer sind, die Macht missbrauchen?

Ich glaube vor allem, dass es immer noch Männer sind, die Macht haben. In dem Bereich in dem ich arbeite, sei es bei Veranstaltungen, im Radio, in jeder Redaktion oder Sender, ist es selten, dass da Frauen sitzen, die entscheiden. Ich höre immer mehr von Projekten von jungen Frauen, aber wenn man ehrlich ist, sind auch die immer darauf angewiesen, dass die da oben – und da brauche ich nicht gendern – sagen, ja, könnt ihr machen. Es ist absurd männlich dominiert.

Ich wusste auch vieles jahrelang nicht, ich habe viel mit meiner Frau zusammen reflektiert. Nicht nur, dass ich Macht besitze. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Macht ich besitze, sondern auch, wie wichtig es innerlich für mich ist, diese Macht zu haben. In jedem Gesprächskreis mit mehreren Männern herrscht am Ende ein Machtkampf, was eigentlich jedes männliche Gespräch extrem anstrengend macht. Ich glaube, erst wenn man das erkennt, kann man auch gucken, ob man damit aufhören kann.

Auch meine Kinder werden in der Therapie sitzen und sich denken: was war denn bei meinem Vater los?

Wie lebst du deinen Kindern neue Männlichkeitsbilder vor? Und wie sie in der Gesellschaft mit Machtstrukturen umgehen?

Ich glaube, das Allermeiste ist, es selbst vorzuleben. Das Wichtigste ist also, dass ich reflektiere, mit Büchern, meiner Frau, aber eben auch in Therapie. Warum bin ich so, wie ich bin? Warum handle ich so, wie ich handle? Dann haben wir eine Schule, in der ab der ersten Klasse gegendert wird, in der eine Soziokratie herrscht, in der alle verstehen, was ihre Rechte sind – und wo mein Recht aufhört und das von jemand anderem anfängt. Ich finde es gut, wenn so etwas in der Schule auf die gleiche Stufe wie Englisch, Mathe etc. gestellt wird. Du kannst Französisch gerne lernen, aber wichtig ist, wie wir in der Gesellschaft miteinander leben.

Beobachtest du bei deinen Kindern denn schon Machtverhältnisse? Und wenn ja, wie versuchst du damit umzugehen?

Man merkt, dass bei drei Kindern in drei Alterskategorien bestimmte Machtverhältnisse auftauchen. Natürlich. Der eine ist einfach stärker und größer als die anderen. Wenn das passiert, versuchen wir, direkt darüber zu reden und es im Alltag pädagogisch einfließen zu lassen. 

Irgendwann bin ich nicht mehr wichtig, sondern die Peergroup um ihn herum. Dann kann ich immer noch versuchen, darüber zu sprechen. Aber vieles kriege ich nicht mit. Ich kann nur dafür sorgen, dass er bestimmte Werkzeuge mitbekommt und das Beste hoffen. 

Das Gleiche bei meiner Tochter, die als weiblich gelesene Person aufwächst und ganz andere Themen hat. Da wundere ich mich manchmal: Wieso machst du das? Du brauchst das nicht tun, du musst dich nicht immer um die anderen kümmern, du kannst ruhig darauf achten, dass es dir gut geht. Aber es passiert anscheinend automatisch! Egal, wie sehr man darauf achtet, die Einflüsse sind zu groß, so dass meine Tochter jetzt schon ganz andere Verhaltensweisen aufweist, als mein Sohn. Wir haben viel versucht und sprechen darüber. Aber: wir alle verkacken etwas. Auch meine Kinder werden in der Therapie sitzen und sich denken: was war denn bei meinem Vater los?

Vielen Dank für das Gespräch!

Brigitte

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