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Monika Hauser "Sexualisierte Gewalt ist ein Symptom von patriarchalen Gesellschaften"

Monika Hauser
Monika Hauser hat vor 30 Jahren die internationale Frauenrechtsorganisation "Medica Mondiale" begründet
© Henrik Nielsen / Medica Mondiale
Anfang der Neunziger gründete die Gynäkologin Monika Hauser mitten im Bosnienkrieg das erste Therapiezentrum für vergewaltigte Frauen. Daraus ging heute vor 30 Jahren die Frauenrechtsorganisation "Medica Mondiale" hervor, die weltweit aktiv ist.

"Medica Mondiale" unterstützt von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen in Krisengebieten mit einem ganzheitlichen Ansatz – psychologisch, medizinisch, juristisch und finanziell. Die Frauenrechtsorganisation arbeitet unter anderem in Sierra Leone, Ruanda, Irak und in der Ukraine.

BRIGITTE: "Ich kann nicht einfach auf dem Sofa sitzen bleiben”, sagten Sie 1992 und brachen spontan nach Bosnien auf, um vergewaltigten Frauen im Jugoslawienkrieg beizustehen. Das war der Beginn von "Medica Mondiale". Woher nahmen Sie den Mut und den Willen, in ein Kriegsgebiet zu reisen?

Monika Hauser: Mir war sofort klar, dass mich die bosnischen Frauen etwas angehen. Das Thema sexualisierte Gewalt war für mich schon sehr lange präsent, weil ich von meiner Südtiroler Großmutter und anderen Frauen Gewaltgeschichten gehört habe, und weil ich als junge Gynäkologin in Deutschland sehr viel Gewalt gesehen habe. Ich wusste, Bosnien ist ein Ort, an dem ich für mehr Gerechtigkeit kämpfen will. Es hätte mich mehr Kraft gekostet, auf dem Sofa sitzen zu bleiben, als Wege zu suchen, dorthin zu kommen.

Wie konnten Sie zu den betroffenen Frauen vorstoßen?

Zunächst habe ich mich bei einigen Hilfsorganisationen erkundigt, ob ich mitarbeiten kann, aber ich bekam nur merkwürdige Antworten. Dann hörte ich von zwei Kasseler Pfarrern, die sich mit humanitären Gütern nach Zenica aufmachten, wo rund 120.000 geflüchtete Menschen festsaßen. Ich bin mitgefahren und habe dort sehr schnell empathische Frauen kennengelernt. Zum Beispiel eine Deutschlehrerin, die mich beim Dolmetschen unterstützt hat, wir sind heute noch eng befreundet. Wir haben schnell ein Fachteam aus 20 Frauen zusammengestellt und losgelegt.

Was konnten Sie für die Frauen vor Ort tun?

Zunächst ging es darum, das Problem der sexualisierten Gewalt überhaupt wahrzunehmen und einen sicheren Ort zu schaffen. Wir haben einen Kindergarten zu einem Wohnhaus für 20 Frauen mit Kindern umgebaut und eine gynäkologische und psychologische Ambulanz eingerichtet, wo sie zur Ruhe kommen und sich stärken konnten. Nach und nach haben wir eine ganzheitliche Unterstützung aufgebaut, mit psychologischer, medizinischer und juristischer Begleitung. Auch die Gemeinschaft war für die Frauen wichtig – zu wissen, ich bin nicht allein, diese Gewalt habe nicht nur ich erlebt.

Vergewaltigung wird im Krieg offenbar als strategische Waffe eingesetzt – auch in der Ukraine. Was wird damit bezweckt?

Sexualisierte Gewalt kann eingesetzt werden, um die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Aber es greift zu kurz, Vergewaltigung nur als strategisches Mittel zu sehen. Männer vergewaltigen in diesen Situationen auch, weil sie es können, weil sie mit der Waffe in der Hand die ganze Macht haben. Und das ist so dramatisch effizient, weil die Frauen nicht nur in ihrer Identität angegriffen werden, sondern weil die sexualisierte Gewalt auch familien- und communityzerstörend ist, denn im patriarchalen Denken geht die Ehre des Mannes immer noch über den unversehrten Körper der Frau. In einem patriarchalen Gefüge wissen die Täter genau, wie sie den Gegner treffen können.

Es gibt also beides, spontane und strategische Vergewaltigungen.

Eine machistische Atmosphäre braucht keinen Befehl. Die Soldaten wissen genau, dass sie das machen dürfen, und die Generäle rechnen damit, dass im Kontext der Eroberungen Vergewaltigungen stattfinden. Wenn die Führung nicht aktiv Maßnahmen ergreift, um die sexualisierte Gewalt zu verhindern, sondern eine Atmosphäre fördert, wo Soldaten sicher sein können, dass sie keine Konsequenzen fürchten müssen, dann ist sie auch strategisch gewollt. Das sehen wir auch in der Ukraine. Es wird von russischer Seite nichts unternommen, was zur Strafverfolgung der Täter beiträgt. Ganz im Gegenteil: Putin hat die Soldaten, die in Butscha für die Gräueltaten verantwortlich waren, öffentlich geehrt. Das ist ein eindeutiger Code, dass diese Art von Gewalt begrüßt wird.

Was wissen Sie über die Situation der Frauen in den umkämpften ukrainischen Gebieten?

Wir haben ja bisher nur die Berichte aus den Gebieten, die befreit worden sind. Wo russische Soldaten auf Menschen getroffen sind, sehen wir Gräueltaten, die immer Hand in Hand mit Vergewaltigungen gehen.

Sind wenigstens die geflüchteten Frauen sicher?

Aus 30 Jahren Erfahrung mit Medica Mondiale wissen wir: In Konfliktsituationen steigt die Gefahr für Frauen, sexualisierte Gewalt zu erleben. Auch auf der Flucht. Nicht umsonst hängen in Berlin in den Auffang- und U-Bahnstationen immer noch riesige Plakate, die auf Ukrainisch warnen: "Geh nicht mit Männern mit, die dir Hilfe anbieten". Die sexuelle Ausbeutung durch mafiöse Strukturen ist in solchen Situationen massiv. Auf der Flucht haben Frauen kaum Schutzstrukturen, sie sprechen die Sprache nicht, da ist die sexuelle Ausbeutungsgefahr groß. Wir wissen, dass Mädchen und Frauen aus Flüchtlingscamps entführt oder mit angeblicher Arbeit im Ausland gelockt werden. Auch in den Geflüchtetenlagern in Deutschland erleben Frauen Gewalt durch Mitgeflüchtete und Security-Leute, wenn das Management nicht aufmerksam ist. 

In Deutschland?

Auch in Deutschland, selbstverständlich.

Die ukrainische Wissenschaftlerin Marta Havryshko sagt, sexuelle Gewalt sei in der Ukraine fast schon zur Epidemie geworden. Wie kann man die Frauen besser schützen?

In den internationalen Resolutionen der letzten 20 Jahre steht alles drin, was für die Prävention sexualisierter Gewalt notwendig ist. Aber der politische Wille fehlt, das umzusetzen. Unter anderem wäre es wichtig, die Strafverfolgung zu verbessern. Wenn Männer davon ausgehen müssten, dass sie für viele Jahre hinter Gitter kommen, wenn sie vergewaltigen, wäre die Situation eine andere. Aber ganz allgemein muss man sagen, dass wir sexuelle Gewalt auch in Friedenszeiten haben. Wir müssen die tief in den patriarchalen Gesellschaften verwurzelten Ursachen anschauen, und das sind die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Sie sind die Basis dafür, dass wir im Kriegskontext so viel Gewalt erleben. Daran muss eine Gesellschaft arbeiten, wenn sie wirkliche Prävention erreichen will. Wir brauchen Bewusstseinsarbeit und Aufklärung in allen patriarchalen Gesellschaften.

Wie kann das gelingen?

Sexualisierte Gewalt, ob im Frieden oder im Krieg, ist ein Symptom von patriarchalen Gesellschaften, und das ist veränderbar und nicht gottgegeben. Es liegt an uns allen, gewaltfreie Gesellschaften anzustreben. Politik und Öffentlichkeit können und müssen den Kampf gegen Gewalt priorisieren: Auch in Deutschland ist jede zweite bis dritte Frau von Gewalt betroffen und das hat massive Folgen für sie und die Gesellschaft. Es gibt eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, dieses Leid anzuerkennen und die Kraft zu würdigen, mit der diese Frauen überleben.

Brigitte

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