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Schnäppchenpreise - und die Ausbeutung dahinter

Mehrere Wochen war Gisela Burckhardt von der "Kampagne für Saubere Kleidung" mit Textilarbeiterinnen aus Bangladesch unterwegs, um auf die schwierige Situation der Frauen aufmerksam zu machen. Sie weiß, welche Auswirkungen unser Einkaufsverhalten hat - und was wir besser machen können.

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BRIGITTE.de: Wo kaufen Sie Pullis und Hosen?

Gisela Burckhardt: Bei mir ist es eine Mischung. Ich kaufe öfters in Dritte-Welt-Läden oder bei der Welthungerhilfe. Auch zu Hess Natur gehe ich manchmal, die haben in Hamburg einen Laden. Aber da gefällt mir die Kleidung nicht immer. Oft gehe ich auch in ganz normale Geschäfte und kaufe, was mir gefällt. Aber dann frage ich immer nach, wo und unter welchen Bedingungen die Kleidung hergestellt wurde. Wenn die Verkäuferin dann pampig wird, gehe ich schon mal, ohne etwas zu kaufen. Es gibt auch immer mehr kleine Läden, die sozial verträglich produzieren lassen, weltweit und auch in Deutschland. Aber die sind etwas teurer, für Leute mit wenig Geld ist das schwierig.

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BRIGITTE.de: Ist es ein Unterschied, ob ich bei einem Textildiscounter wie KiK einkaufe oder bei Geschäften wie H&M oder Esprit?

Gisela Burckhardt: Für die Textilarbeiterinnen, die die Kleidung nähen, macht es keinen Unterschied. Der Anteil der Lohnkosten an einem fertigen Kleidungsstück ist immer gleich niedrig, egal für wen sie arbeiten. Er liegt nur bei etwa einem Prozent. Ein Hungerlohn, von dem die Arbeiterinnen nicht leben können. Allerdings sind Discounter wie KiK, Lidl und Aldi die größten Preisdrücker. Und wenn man die Situation der Angestellten hier berücksichtigt, ist KiK besonders schlimm. Bei Aldi und Lidl wird zwar nach und über Tarif gezahlt, aber dafür müssen die Beschäftigten unbezahlte Überstunden machen.

BRIGITTE.de: Sie haben an einer Studie mitgearbeitet, für die 136 Arbeiterinnen und Arbeiter aus Textilfabriken in Bangladesch befragt wurden. Die Studie konzentriert sich auf Lieferfirmen von KiK und Lidl. Warum ausgerechnet diese beiden?

Gisela Burckhardt: Lidl, Aldi und KiK gehören mittlerweile zu den größten Textilhändlern in Deutschland. Auch wenn man bei Lidl und Aldi vor allem an Lebensmittel denkt, sie machen mit Bekleidung jeweils über eine Milliarde Euro Umsatz pro Jahr, genauso viel wie KiK. Und es sind vor allem diese Discounter, die mit ihren Billigkonzepten die Preise am meisten drücken. Die anderen Textilhändler ziehen dann nach. Zu Aldi gibt es bereits eine Studie, deshalb haben wir uns diesmal auf KiK und Lidl konzentriert.

BRIGITTE.de: Sie sagen, die Discounter verursachen auch in Deutschland Armut. Inwiefern?

Gisela Burckhardt: Bei KiK wird zum Beispiel weit unter Tarif bezahlt. Das Dortmunder Arbeitsgericht bezeichnete die Löhne als sittenwidrig und verdonnerte KiK im Frühjahr in einem Urteil dazu, den Lohn einer Mitarbeiterin von 5,20 Euro die Stunde auf 8,21 Euro hochzusetzen. Bei KiK werden überwiegend Aushilfskräfte (auf 400-Euro-Basis) eingesetzt, um zu sparen. Die Aushilfen müssen immer mit Handy rumlaufen und jederzeit abrufbereit sein. Gäbe es einen Tarifvertrag, wäre das nicht möglich. Dann müssten rechtzeitig Dienstpläne erstellt werden, damit die Mitarbeiter wissen, wann sie arbeiten müssen und wann nicht. Die offizielle Arbeitszeit beginnt bei KiK um 8 Uhr, die Mitarbeiter müssen aber schon um 7.30 Uhr da sein, um alles vorzubereiten. Für diese Zeit werden sie nicht bezahlt. Auch Staubsaugen und Fensterputzen gehört zum Teil mit zu ihren Aufgaben. Die Frauen haben Angst um ihren Job und wehren sich nicht. Sowohl KiK als auch Aldi-Süd und Lidl verhindern die Bildung von Betriebsräten.

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BRIGITTE.de: Wie wirkt sich das Preisdrücken der Discounter auf die Arbeiterinnen in Bangladesch aus?

Gisela Burckhardt: Sie bekommen zu wenig Lohn. Die Textilarbeiterin Suma Sarker zum Beispiel, die mit uns in Deutschland unterwegs war, bekommt umgerechnet 29 Euro im Monat. Sie ist eine qualifizierte Kraft und liegt deshalb mit ihrem Einkommen schon über dem Mindestlohn von 18 bis 24 Euro. Trotzdem kann sie von dem Geld nicht leben. Offiziell arbeiten die Frauen in den Fabriken von 8 bis 17 Uhr. In Sumas Fabrik ist es Alltag, dass die Arbeiterin täglich zwei Überstunden machen, unbezahlt. In Spitzenzeiten arbeitet sie auch bis 22 Uhr, manchmal sogar ganze Nächte. Die geleisteten Überstunden werden nicht korrekt bezahlt, die Frauen haben das Gefühl, betrogen zu werden, da es keine transparente Abrechnung gibt.

BRIGITTE.de: Warum lassen sich die Frauen das gefallen?

Gisela Burckhardt: Etwa die Hälfte der Arbeiterinnen sind Analphabeten, die ihre Rechte nicht kennen. Sie sind sich gar nicht bewusst, dass sie sich auch wehren können und fügen sich in ihr Schicksal. Betriebsräte gibt es nicht. Versuchen einige Frauen, sich zu organisieren, fliegen sie sofort raus. Für die Vertreter und Vertreterinnen der Gewerkschaften ist es schwierig, mit ihnen überhaupt ins Gespräch zu kommen. Sie können sie nur nachts zu Hause besuchen.

Suma hat durch die Reise nach Deutschland ihren Job verloren. Wer 10 Tage nicht erscheint, fliegt automatisch. Auch ihren letzten Monatslohn hat sie nicht mehr bekommen. Die Löhne werden bewusst erst mit drei Wochen Verspätung ausgezahlt. Wer vorher geht, bekommt kein Geld mehr, obwohl ihnen der Lohn zusteht. Damit stellen die Firmen sicher, dass die Frauen nicht weglaufen.

BRIGITTE.de: Warum schützt die Regierung die Arbeiterinnen nicht?

Gisela Burckhardt: Die Einkäufer, die für Unternehmen wie KiK und Lidl arbeiten, gehen immer dahin, wo die Löhne am niedrigsten sind. Das weiß auch die Regierung. Sie hat die Mindestlöhne bewusst so niedrig festgelegt, um die Aufträge zu sichern.

Die Kampagne für saubere Kleidung fordert deshalb unsere Regierung auf, die Textilhändler in Deutschland rechtlich in die Schranken zu weisen. Zum Beispiel indem die deutschen Unternehmen bei Verletzungen von Menschen- und Arbeitsrechten in ihrer Zuliefererkette haften und regelmäßig über die Umsetzung von Sozialstandards berichten müssen.

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BRIGITTE.de: Wie kann ich verhindern, dass für meine neue Hose Arbeiterinnen ausgebeutet werden?

Gisela Burckhardt: Am besten fragt man im Laden immer nach, wo und unter welchen Bedingungen die Ware hergestellt wurde. Am besten, wenn andere Kundinnen zuhören. Oft führt die Frage zu Diskussionen. Und je häufiger die Verkäuferinnen gefragt werden, desto mehr wird den Unternehmen klar, dass das die Kunden interessiert. Nicht umsonst gibt es inzwischen immer mehr kleine Firmen, die sozial- und umweltverträglich herstellen.

BRIGITTE.de: Aber die Verkäuferin wird das nicht wissen.

Gisela Burckhardt: Dann sage ich ihr, dass sie das bitte im Einkauf recherchieren soll und dass ich in zwei Tagen wiederkomme. Um mehr über das Unternehmen zu erfahren, gibt es auch einige hilfreiche Internetseiten: Auf www.fairwear.org findet man alle Mitglieder, die sich zu fairem Einkauf verpflichtet haben. In Deutschland ist Hess Natur allerdings bislang das einzige Unternehmen, das dort gelistet ist. Wer auf einen Blick wissen will, ob er lieber zu Benetton oder zu H&M gehen soll, wird auf www.evb.ch fündig. Dort sind "Vorreiter", "Mitläufer" und "Ignoranten" in Sachen Unternehmensverantwortung aufgeführt. Wer mehr wissen will, findet auf www.fashioncheck.net Hintergrund-Informationen über die Firmen.

Zur Person:

Gisela Burckhardt, 57, arbeitet ehrenamtlich im geschäftsführenden Ausschuss der Kampagne für Saubere Kleidung. Sie vertritt dort die Organisationen Terre des Femmes e.V. und das Netz Bangladesch. In Ihrem eigentlichen Beruf bewertet sie als selbständige Gutachterin Entwicklungshilfeprojekte. Sie hat viele Jahre im Ausland gelebt, unter anderem in Nicaragua und in Pakistan.

Interview: Monika Herbst Fotos: NETZ (3), iStockphoto.com, privat

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