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Mobbing-Prozess: Tina Feser will Gerechtigkeit

Tina Feser jagte Steuersünder in der Bankenmetropole Frankfurt - bis die engagierte Beamtin mit Mitte 30 zwangspensioniert wurde. Tina Feser sieht sich als Opfer eines Komplotts von Staat und Politik. Das hessische Finanzministerium hält das für abwegig. Nun kommt der Fall vor Gericht.

In diesen Tagen erhält Tina Feser vielleicht ihre Würde zurück. Denn im November entscheidet ein Gericht darüber, ob das Gutachten, das die ehemalige Steuerbeamtin für psychisch krank erklärte, ärztlichen Standards entspricht, oder ob die aufmüpfige Beamtin zu Unrecht als "dienstunfähig" kaltgestellt wurde. Doch selbst wenn der Gutachter verurteilt wird - eine Wiedergutmachung für all die Jahre, in denen sich Tina Feser vom Staat gedemütigt und verfolgt fühlte, kann es nicht sein. Das Vertrauen in ein System, dessen Teil sie selbst einst voller Stolz war, hat sie endgültig verloren. "Das, was mir passiert ist, war jenseits meiner Vorstellungskraft", sagt Tina Feser. "Der Staat hat mir das genommen, was ich am allerliebsten gemacht habe: Ich war von ganzem Herzen Beamtin."

Wenn sie heute in die Nähe des Frankfurter Finanzamtes V kommt, zieht sich ihr Magen zusammen, die Hände werden feucht, der Hals eng. Tina Feser gehörte zur Steuerfahndung der Bankenteams. "Steuerfahndung - das ist wie Krimi. Es war mein Traumjob", sagt sie. In Deutschlands Finanzmetropole gab es schon immer reichlich illegale Bankgeschäfte. Oft konnten Tina Feser und ihre Kollegen kriminelle Auslandsgeschäfte oder Steuerhinterziehungen nachweisen. Für den Staat holten sie Millionen nicht gezahlter Abgaben zurück. Tina Feser war stolz darauf, bei den Guten mitzuspielen und dazu beizutragen, dass es in Deutschland ein Stück gerechter zugeht. Doch dann kommt das Jahr 2001, und Tina Fesers Vertrauen in die Gerechtigkeit des Staates bekommt erste Risse.

Die neue Amtsverfügung verstieß gegen das Gesetz: Davon war Tina Feser überzeugt

In einem verschlossenen Umschlag erhalten alle Steuerfahnder eine geheime Amtsverfügung vom Amtsleiter. Ab sofort sollen sie in der Regel Verdachtsfällen nur noch dann nachgehen, wenn es Belege gibt für Einzelüberweisungen von mindestens 300 000 DM oder ein Gesamtvolumen mehrerer Überweisungen von mindestens 500 000 DM. "Das erschien mir völlig absurd", erinnert sich Tina Feser. "Wer eine Straftat begangen hat, muss verfolgt werden, da kann man nicht willkürlich Grenzen setzen." Zumal die Stückelung in kleine, unauffällige Summen eine sehr häufig angewandte Methode zur Vertuschung von Steuerhinterziehung ist. Die Beamtin befürchtet Strafvereitelung im Amt, viele der Kollegen im Team sehen das genauso. Sie protestieren, sprechen mit dem Vorgesetzten. Doch ihre Bedenken werden abgetan. Offiziell soll die Verfügung die Flut der Fälle, die die Fahnderteams bearbeiten, eindämmen. Einige Beamte befürchten aber, dass noch ganz andere Gründe hinter dieser Maßnahme stecken. Nicht jedem mächtigen Wirtschaftsunternehmen dürften die Schnüffeleien der Steuerfahnder geschmeckt haben. Und welche Bank ist schon begeistert, wenn die über sie getätigte Transaktion als illegal auffliegt?

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Der Koordinator der Bankenteams greift zur schärfsten Waffe, die ein Beamter einsetzen kann: Er remonstriert, widerspricht dem Vorgesetzten schriftlich und offiziell. Der erfahrene Fahnder wird prompt abgestraft: Nur vier Tage später muss er in einem anderen Finanzamt antreten. "Erst waren wir geschockt", sagt Tina Feser, die auch als Personalrätin aktiv war, "dann haben wir uns zusammengeschlossen." 48 Fahnder treffen sich privat, unterschreiben einen Brandbrief an Ministerpräsident Roland Koch. Sie hoffen, dass er den unhaltbaren Zuständen Einhalt gebietet, wenn er nur davon erfährt. Doch ihr Versuch, sich an Koch zu wenden, fliegt auf, bevor die Post abgeschickt wird. Viele ziehen daraufhin ihre Unterschrift zurück, auch Tina Feser wird unter Druck gesetzt, doch sie - und ein paar andere Kollegen - bleiben standhaft. "Ich habe auf die Verfassung geschworen und diesen Eid immer sehr ernst genommen. Das, was hier geplant war, verstieß einfach gegen geltendes Recht." Was damals niemand ahnte: Die Landesregierung ist längst informiert, kennt die Amtsverfügung. Doch sie greift nicht ein. Das fand die hessische SPD heraus, die sogar einen Untersuchungsausschuss zu der Affäre ins Rollen brachte. Im Finanzamt wird das "Problem" schließlich auf andere Art geregelt.

Sie wird zwangsversetzt. Genau wie ihr Mann und die anderen Beamten, die weiterhin protestieren

Tina Feser wird - wie all die anderen, die weiterhin gegen die Verfügung protestieren - versetzt. Sie landet zusammen mit sechs anderen hoch bezahlten Beamten in der neu geschaffenen "Servicestelle Recht". "Eine absolute Luftnummer", sagt Feser. "Wir hatten nichts zu tun, keine Fälle, keine Zuständigkeit." Die qualifizierte Beamtin, die vorher Durchsuchungen und Vorladungen anordnen konnte, Zeugen vernahm und für die Ausbildung zuständig war, strickt drei Monate lang Pullover, sortiert Urlaubsfotos, guckt aus dem Fenster. Dann wird ihre alte Stelle neu ausgeschrieben. "Damit war jedem, aber auch wirklich jedem im Finanzamt klar: Unsere Versetzung war eine reine Strafaktion - wer aufmuckt, muss mit Ähnlichem rechnen." Im hessischen Finanzministerium heißt es hingegen, dies sei Teil von "umfangreichen Strukturreformen" gewesen, die erst 2010 abgeschlossen werden sollen und von denen, so der Sprecher des Finanzamtes, "hunderte weitere Beschäftigte" betroffen seien.

Von ihrem neuen Chef, den die Abteilung nach Monaten bekommt, fühlt sie sich schikaniert, gekränkt, entwertet. "Jetzt hatten wir ein paar Fälle, aber jedes Schreiben bekam ich zurück. Entweder war ein Komma falsch, oder ein Satz sollte an eine andere Stelle." Selbstzweifel und Albträume quälen sie, der Magen schmerzt, es fällt ihr oft schwer, sich zu konzentrieren. Immer wieder fragt sie sich: Was läuft hier eigentlich? Wie kann es sein, dass sie vom Staat dafür abgestraft wird, dass sie sich an die Gesetze halten will? Was steckt wirklich dahinter? War sie einfach zu aufmüpfig? Oder sollte eine "Steueroase Hessen" geschaffen werden? Ist so etwas in unserem Land möglich?

Selbst zu Hause ist nur noch die Arbeit Thema, denn ihr Mann Heiko war ebenfalls Steuerfahnder in einem der Bankenteams. Auch er wurde zwangsversetzt, muss Hilfsjobs übernehmen und fühlt sich behandelt, als hätte er "eine ansteckende Hautkrankheit". Eines Morgens kann Tina Feser nicht mehr aufhören zu weinen: "Ich war nervlich völlig am Ende."

Tina Feser kann nicht mehr. Ihr Arzt spricht das erste Mal von Mobbing

Sie geht zum Arzt, der spricht das erste Mal von Mobbing. Nach monatelangem Zermürbungskrieg - beide werden viele Male krankgeschrieben -, erneuten Bewerbungen und einem sechswöchigen Aufenthalt in einer auf Mobbing spezialisierten Klinik fordert die Behörde ein psychologisches Gutachten - für Tina und Heiko Feser und zwei weitere Steuerfahnder. Die Fesers übergeben dem Gutachter Dr. H. die Untersuchungsergebnisse aus der Klinik. Darin heißt es, sie seien wieder leistungsfähig, und nun sollten "alle Möglichkeiten der beruflichen Förderung ausgeschöpft werden". - "Jetzt wird alles gut", denken Tina und Heiko Feser. Doch alles wird noch schlimmer.

Das Urteil kommt per Post: dienstunfähig. Nach dem einstündigen Gespräch stand für den Gutachter fest: Tina Feser leide an einer "Anpassungsstörung" mit "partiell paranoiden Symptomen", bei Heiko Feser handle es sich um eine "paranoid-querulatorische Entwicklung". Beide seien nicht therapierbar. "Das war wie ein Todesstoß", so Tina Feser, "persönlich, wirtschaftlich, beruflich." Am 1. Februar 2007 wird sie mit 36 und ihr Mann mit 37 verrentet.

Jetzt, nach fast drei Jahren, dürfen Tina und Heiko Feser zumindest darauf hoffen, dass eine staatliche Stelle ihnen sagt: Ihr wart nicht schuld. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ließ im Sommer die Praxis von Dr. H. durchsuchen. Doch zunächst muss sich der Gutachter im November vor dem Berufsgericht Gießen verantworten. Kläger ist die Hessische Landesärztekammer. Ihr Menschenrechtsbeauftragter Dr. Ernst Girth hat das Verfahren in Gang gebracht. Nachdem er die vier ähnlich lautenden Gutachten von den geschassten Beamten erhalten und gelesen hatte, war ihm "sofort klar, dass hier gegen ärztliche Standards verstoßen worden ist". Dr. Girth spricht von "Gefälligkeitsgutachten" - Dr. H. will sich zu den Vorwürfen nicht äußern.

Norbert Schmitt, finanzpolitischer Sprecher der hessischen SPD, hat sich intensiv mit der Affäre befasst und ist erschüttert: "Die Art, wie hier hoch engagierte Beamte knallhart gemobbt und fertiggemacht wurden, erinnert an totalitäre Systeme." Mit einem Berichtsantrag nimmt er den CDU-Finanzminister gerade wieder in die Zange: "Die ganze Sache riecht - und zwar gewaltig." Das Finanzministerium entgegnet: "Dieser Vorwurf ist abwegig. Die Betroffenen sind von niemanden gemobbt worden." Es bestehe kein Zusammenhang zwischen der Amtsverfügung und den späteren Personalentscheidungen.

Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass die Gutachten tatsächlich nicht mit der geforderten Sorgfalt erstellt wurden, dürfte der Fall noch höhere Wellen schlagen. Das Strafmaß geht von Ermahnung bis zur "Berufsunwürdigkeit" - was einem Berufsverbot für Dr. H. gleichkäme. Für Tina Feser, die inzwischen Malerei studiert, wäre dies ein gerechtes Ende: "Ich hatte schon immer ein ganz starkes Gottvertrauen und bin tief davon überzeugt, dass es für alles, was man im Leben macht, einen Ausgleich gibt."

Wird der Gutachter verurteilt? Lesen Sie hier, wie der Prozess ausging

Text: Silke Baumgarten Fotos: Nadine Bracht BRIGITTE Heft 24/2009

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