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Merkel, Obama und das Opel-Desaster: Chronik einer Verletzung

Geplatzter Opel-Deal: Eine Stunde vor ihrem Abflug aus den USA wurde Angela Merkel von Obama und General Motors brüskiert - und muss nun versuchen, ihr Gesicht zu wahren.

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Es wirkt vertraut, fast zärtlich, wenn Barack Obama bei gemeinsamen Auftritten seine Hand auf Angela Merkels Rücken legt. Man glaubt zu spüren, wie sehr der amerikanische Präsident in der deutschen Bundeskanzlerin die zuverlässige Partnerin schätzt. So mag es auch am Morgen des 3. November gewesen sein: Eine Stunde lang reden Obama und Merkel miteinander. Wenn es Unstimmigkeiten zwischen den beiden in den ersten Amtsmonaten gegeben haben sollte, dürften die längst ausgeräumt sein. Ein gutes Gespräch, vertrauensvoll und wertschätzend. So sieht es aus. So muss es auch auf Merkel gewirkt haben.

Unmittelbar danach spricht Merkel im Kongress, eine große Ehre für eine deutsche Politikerin. Merkel trifft den richtigen Ton, als sie offen über den Mauerfall und ihre persönlichen Erlebnisse spricht. Sie erntet Standing Ovations. Ein großer Tag für Merkel. Ein großer Tag für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Den Abschluss dieses Besuchs soll ein Mittagessen mit führenden Wirtschaftsexperten bilden.

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Und mittendrin platzt die Bombe! Während des Essens verlässt Jens Weidmann, der wirtschaftspolitische Berater der Kanzlerin, die illustre Runde. Er telefoniert mit Fritz Henderson, dem neuen Chef des Autokonzerns General Motors. Der Konzernchef teilt mit, dass GM Opel behalten will. Der Plan, den die Bundesregierung in monatelangen Verhandlungen erarbeitet hatte - mit einem Schlag zunichte gemacht. Ein Hammer, ein Desaster, eine Brüskierung, die ihresgleichen sucht.

Weidmann kehrt in den Speisesaal zurück, sagt nichts zur Kanzlerin. Erst auf dem Weg zum Auto packt er aus. Der sicher geglaubte Deal ist geplatzt. Die Kanzlerin steht vor einem Scherbenhaufen.

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Auf dem Rückflug spricht Angela Merkel mit Journalisten. Sie hält sich bedeckt, so wie man es von ihr kennt, spricht von Bedauern und Verärgerung über die Entscheidung von GM, aber sie zeigt keine Wut.

Dabei hätte sie allen Grund dazu. GM lässt Magna nach monatelangen Verhandlungen abblitzen - und die Bundesregierung gleich mit. Hinterrücks, ohne ihr ein Signal zu geben. Was wusste Obama, als er Merkel ein paar Stunden zuvor im Weißen Haus empfing? Wusste er nichts? Das spräche nicht für ihn. Wusste er Bescheid? Das spräche noch weniger für ihn.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Während Merkel die USA in den höchsten Tönen lobt, werden im Hintergrund die Messer gewetzt. Man führt sie öffentlich vor. Die Kanzlerin, die noch vor wenigen Wochen freudestrahlend den Verkauf von Opel an Magna verkündet hat, steht als Loserin da. Stilloser und unfairer hätte man sie nicht vorführen können.

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Spielte eine Rolle, dass sie eine Frau ist? Hätte Barack Obama mit einem Nicolas Sarkozy ein offenes Wort unter Männern geredet? Wäre GM-Konzernchef Henderson mit dem spanischen Staatschef Zapatero wirklich auch so umgesprungen? Muss eine Frau, und sei sie noch so mächtig, in Verhandlungen damit rechnen, dass man ihr statt knallharter Konfrontationen Pseudogespräche zumutet? Ja, wahrscheinlich hätte man einen Mann genauso behandelt, denn hier ging es um knallharte amerikanische Interessen.

Sicher aber ist, dass mächtige Frauen besonders gnadenlos beobachtet und beurteilt werden. Ein Desaster wie der geplatzte Opeldeal wird da leicht zum Beleg für vermeintlich weibliche Schwäche. Egal, als wie stark und durchsetzungsfähig die Kanzlerin sich in der Vergangenheit gezeigt hat. Das macht die gescheiterte Rettungsaktion noch schmerzhafter. Doch genauso schlimm ist der Vertrauensbruch. Den können auch die herzlichsten Umarmungen nicht überdecken.

Text: Claudia KirschFotos: Getty Images

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