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Beatrice Mtetwa: Simbabwes mutigste Frau

Anwältin Beatrice Mtetwa ist Simbabwes mutigste Verteidigerin der Menschenrechte. Seit Jahren wird sie von ihren Gegnern bedroht und eingeschüchtert, erst kürzlich hielt man sie grundlos für Tage im Gefängnis fest. Mtetwas Gegenmittel: Mut und Unerschrockenheit.

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"Behinderung der Justitz" – mit dieser Begründung wurde die Anwältin Beatrice Mtetwa im März 2013 festgenommen, als sie sich auf einer Polizeiwache erkundigte, warum ihr Mandant festgehalten würde. Ihr Mandant ist ein Kopf der Oppositionspartei, Mtetwa selbst dem aktuellen Regime ein Dorn im Auge – und dieses Jahr soll in Zimbabwe eine große Wahl stattfinden. Es ist offensichtlich, welches Spiel die Regierung von Robert Mugabe treibt; auch weitere Spitzen der Oppositionspartei sitzen mittlerweile im Gefängnis. Erst nachdem Richter und Menschenrechtler öffentlich Druck ausübren, wurde Mtetwa nach sieben Tagen auf Kaution wieder freigelassen.

Überraschend ist es nicht – seit Jahrzehnten wird Beatrice Mtetwa Lesen Sie hier die Reportage von BRIGITTE-Mitarbeiterin Andrea Jeska, die Beatrice Mtetwa Anfang des Jahres in Zimbabwe traf.

Zwischen Tor und Tür liegen zehn Meter. Das können zehn Meter Leben sein. Oder zehn Meter Tod. Wenn Beatrice Mtetwa mit ihrem schwarzen Allradwagen durch das automatische Rolltor auf ihr Grundstück in einem der besseren Stadtteile Harares fährt, den Wagen parkt und auf ihr Büro zugeht, könnte von den umliegenden Dächern jeder gute Schütze auf ihren Hinterkopf oder ihren Rücken zielen. "Man muss die große Welle machen": Beatrice Mtetwa gibt vor dem Gerichtsgebäude in Harare Interviews

Aber für solche Überlegungen hat Mtetwa keine Zeit und keinen Raum. Sie ist 52 Jahre alt und hat bis hierhin überlebt. In einem Land wie Simbabwe, wo die Kritiker von Staatspräsident Robert Mugabe schnell mal einem ungeklärten Unfall zum Opfer fallen, ist das keine Selbstverständlichkeit. Und außerdem: Der Tod erschreckt sie nicht mehr. Man hat ihn ihr schon so oft angedroht, dass sie immun gegen ihn geworden ist. Oder vielleicht ist der Tod auch immun gegen sie geworden, hat man ihm diese Frau so oft präsentieren wollen, dass er inzwischen abwinkt. "Der Tod hat mir gegenüber so eine Lass-mal-stecken-Attitüde", sagt sie.

Beatrice Mtetwa lacht, wenn sie solche kleinen Scherze über ihr Leben reißt, aber es ist ein bitteres Lachen. Zu Hause wartet jeden Abend ihr 14-jähriger Sohn, und wenn sie morgens in ihr Auto steigt und zu ihrem Büro fährt, kann sie ihm nicht wirklich zuverlässig versprechen, dass sie zurückkommt. Man sagt, sie sei Simbabwes gefürchtetste Anwältin, doch da es für diese Furcht keine Messlatte gibt, sollte man sie besser mit dem Titel beschreiben, den die "New York Times" ihr gab: "Simbabwes größte Verteidigerin des Menschenrechts". Der amerikanische Botschafter für Simbabwe, Charles Ray, nannte sie "eine Löwin" - weder Furcht noch die Aussicht auf Vorteile hielten sie von ihrer Arbeit ab, sagte er.

Ihr Name lässt Leute nicken, mit diesem wissenden, ein wenig scheuen Nicken, mit dem man in Simbabwe alles kommentiert, was am Rande des politisch Erlaubten ist. Wenn man über Menschenrechte, Gerechtigkeit, Freiheit redet, dann kommen einem in diesem Land die Worte wie Seiltänzer vor, die nur mit großer Kraft die Balance halten. Mehr als drei Jahrzehnte ist Staatspräsident Robert Mugabe im Amt. Seine Diktatur erhält er durch Gewalt. Folter und willkürliche Verhaftungen gehören zum politischen Alltag, Meinungsfreiheit ist noch immer ein seltenes Gut, regierungskritische Personen werden eingeschüchtert oder getötet.

Der "Supreme Court of Zimbabwe", der oberste Gerichtshof, ist ein weißes Gebäude im Stil der englischen Kolonialzeit. Weiße Läden zieren die Fenster, Balkone und kleine Erker geben dem Bau eine elegante Note. Man könnte ihn auch für ein Hotel halten. Hier, im Saal 11, wird seit Monaten der Fall von 29 jungen Aktivisten der Oppositionspartei MDC (Movement For Democratic Change) verhandelt. Sie sind angeklagt, im Frühjahr 2011 einen Polizisten umgebracht zu haben. Die MDC ist Mugabes erzwungener Regierungspartner: Sie gewann die Präsidentschaftswahlen 2008, doch Mugabe blieb am Ruder, wenn auch mit geteilter Macht. Dieser Zwangskoalition möchte er gern entkommen - und was liegt da näher, als die Gegner auszuschalten. Den Fall hat Mtetwa wegen Überlastung eigentlich an die Kollegen in ihrer Anwaltskanzlei abgegeben. Wenn es darum geht, Plädoyers zu halten, erscheint sie jedoch persönlich. Meist in letzter Minute, mit quietschenden Reifen fährt sie vor, rennt auf ihren hochhackigen Schuhen ins Gebäude. Ein herrisches Klack-Klack ist das. Der Türsteher reißt die Tür auf, sie rauscht hindurch, die Richter heben die Köpfe, die Angeklagten grinsen erfreut, und das Publikum raunt. Gäbe es eine Königin unter den Anwältinnen dieser Welt, Mtetwa stünde sicherlich zur Wahl.

Die Beweislage gegen die jungen Männer ist dünn. Die Kollegen des ermordeten Polizisten, angeblich Augenzeugen der Tat, verstrickten sich in Widersprüche, die Spuren taugen nichts, die meisten der Angeklagten haben ein Alibi. Diese Verhandlung sei eine Farce, wettert Mtetwa. Sie spöttelt und macht zynische Witze, der Richter hat schon funkelnde Augen, der Staatsanwalt steht kurz vor dem Wutausbruch, und als er dann lostobt, lehnt sich Mtetwa zurück und lächelt fein.

"Sie diskreditieren sich selbst", sagt sie nach dem Verhandlungstag zufrieden. "Ich muss gar nicht viel machen. Ich muss sie nur zur Weißglut treiben." Dass sie dieses Treiben perfekt beherrscht, demonstriert sie sogleich ein weiteres Mal. Auf der Treppe des Gerichtsgebäudes kommt ihr ein hoher Polizeibeamter entgegen, bekannt für seine brutalen Verhörmethoden. "Na", sagt Mtetwa im freundlichsten Plauderton, "wen haben Sie heute gefoltert?" Der Polizist erstarrt, Mtetwa läuft leichtfüßig weiter, äußerst zufrieden mit sich.

Verschleppt und gefoltert

Beatrice Mtetwa ist eine kraftvolle Frau. Ihr Äußeres ist anwaltlich korrekt: Kostüm, Pumps, strenge Haare, nur die Gesichtszüge sind mädchenhaft weich und zeigen eine Verletzlichkeit, die sie durch eine dunkle Brille zu verbergen versucht. So leicht ihr ein lockerer Spruch über die Lippen kommt, so schwer nimmt sie manchmal ihren Beruf. Im Dezember 2008 wurde die ehemalige Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Jestina Mukoku aus ihrem Haus verschleppt und gefoltert. Niemand wusste, wo sie war. Mtetwa informierte die lokale Presse und einige ausländische Journalisten, rückte mitten in der Nacht mit diesen im Gefolge bei der Polizei an und verlangte, man solle nach Mukoku suchen. "Man muss die große Welle machen", erzählt Mtetwa. "Die Obrigkeit in diesem Land soll nicht glauben, dass sie mit ihren Rechtsverletzungen davonkommt. Das ist mein erstes Anliegen in so einem Fall."

Mukoku kam frei, aber wurde gleich danach wegen Hochverrats angeklagt. Ein Verbrechen, auf das in Simbabwe die Todesstrafe steht. Letztendlich aber musste sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Mukoku erinnert sich, dass Mtetwa weinte, als sie ihr Verteidigungsplädoyer hielt. "Tränen rollten über ihr Gesicht, als sie beschrieb, wie es um die Freiheit steht. Sie argumentierte mit dem Herzen", sagt Mukoku. Wenn man die Anwältin auf diesen Fall anspricht, scheint Mtetwas schnelle innere Uhr plötzlich langsam zu werden, ganz schwer werden ihre Bewegungen. Es sei eine traumatische Zeit gewesen, sagt sie, vor allem in der Periode, als niemand wusste, ob Mukoku noch lebte. Auch andere Fälle sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Der des weißen MDC-Politikers Roy Bennett, designierter Minister, etwa, der 2008 aus einem Flugzeug entführt wurde und dem der Tod wegen Hochverrats drohte. Mtetwa erlangte seine Freilassung 2010, seither lebt er im Exil.

Und ihr eigener Fall. Wegen angeblicher Trunkenheit am Steuer wurde sie 2003 verhaftet, in Polizeigewahrsam geprügelt und gewürgt. Nach einigen Stunden entließ man sie wieder. Doch schon nach drei Tagen, kaum fähig zu gehen, noch immer unfähig zu sprechen, hatte sie genügend Beweise gesammelt und erstattete Anzeige gegen die prügelnden Polizisten. Ohne juristische Konsequenzen zwar, aber Mtetwa hatte gezeigt, dass sie sich nicht zum Opfer machen lässt. 2008 verprügelten Polizisten sie erneut. Doch, beide Male habe sie Angst gehabt, sagt sie. Aber die Wut sei größer gewesen. "Wut ist ein nützliches Gefühl, wenn es darum geht zu überleben."

Mtetwa wurde als Tochter eines Viehbauern im armen Swaziland geboren. Sie und ihre Schwestern mussten schon als Kinder hart arbeiten. "Ich wollte keine Tomaten auf dem Markt verkaufen, und ich wollte kein Wasser auf meinem Kopf tragen. Meinen Weg konnte ich damals nicht ahnen, aber dass er mich aus der Armut führen würde, das habe ich immer gewusst." Mtetwa tat, was alle Kinder in Afrika tun, die der Armut entfliehen wollen: Sie lernte und lernte. Nach dem mit Stipendien finanzierten Studium in Swaziland und Botswana verliebte sie sich in einen Simbabwer und zog 1983, drei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung des Landes, in dessen Heimat. "Damals glaubten wir noch, dass Freiheit und Recht sich durchsetzen würden." Als sich Robert Mugabes Regierung zur Diktatur entwickelte, spezialisierte sie sich auf Menschenrecht - "ich war entsetzt über die Rechtsprechung hier. Ich betrachte Gesetze wie eine Religion, so sehr glaube ich an sie".

"Madame Mtetwa", sagte kürzlich ein Richter zu ihr, "ist es Ihnen nicht unangenehm, dass Sie ständig Menschen verteidigen, die als Staatsfeinde gelten?" - "Wo keine Ordnung ist, kann man nicht stören", hat Mtetwa geantwortet. "Und wenn Sie nicht wollen, dass ich Menschen verteidige, dann müssen Sie die Gesetze abschaffen und die Gerichte schließen."

Mtetwa außerhalb des Gerichtssaals zu treffen ist nicht leicht. Dreimal verschiebt sie kurzfristig das Treffen. Als sie dann doch kommt, in ihr schmuckloses Büro eilt, wo sich Aktenordner stapeln, ist sie so müde, dass sie Mühe hat, die Augen offen zu halten. Sie schlafe oft an ihrem Schreibtisch ein, sagt sie, sie will es leicht klingen lassen, aber ihre Stimme krächzt - sie hat mal wieder einen Richter angebrüllt. "Manchmal muss ich schreien, nur das hilft." Sie kippt zwei Tassen Kaffee und sagt: "So." "So" ist die Einleitung zu einem rasanten Monolog über Gerechtigkeit und die Macht der Gesetze. Diese ließen sich nämlich nicht unendlich beugen. Und am Ende sei die Wahrheit stärker als jede Lüge, daran glaube sie ganz fest. Und nicht sie, Beatrice Mtetwa, sei der Grund für ihre Erfolge, sondern die Gesetze. "Sie sind ja da. Ich nutze sie einfach. Manchmal suche ich wochenlang in den Büchern. Aber am Ende finde ich immer ein Gesetz, mit dem ich sie schlagen kann."

Morgan Tsvangirai, der Premierminister des Landes und Führer der Oppositionspartei, ist ein guter Bekannter von ihr. Ihr Mut, ihre Unerschrockenheit seien beispielhaft, hat er einmal gesagt. Wenn sie wollte, könnte sie eine politische Position bekleiden und viel Geld verdienen. Lockt sie das nicht? "Geld interessiert mich nicht", faucht sie. "Ich bin gern der Stachel im Fleisch, und das kann ich nur sein, wenn ich außerhalb der Dinge bleibe." Nur in einem Punkt ist sie bereit, sich dem System zu nähern: Ihr Ruf ist inzwischen so gut, dass die Ehefrauen der regierenden Parteimitglieder sich an sie wenden, wenn sie die Nase voll haben von ihren betrügerischen, fremdgehenden Ehemännern. "Sie tun das, weil sie wissen, ich hole das Beste für sie raus. Und weil sie ihre Männer kaum schlimmer treffen können, als wenn ich ihr Gegner bin."

Text: Andrea Jeska BRIGITTE Heft 6/2013

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