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Melodie Michelberger "Wir sind so viel mehr als unser Fettanteil!"

Melodie Michelberger: Frau poiert in Unterwäsche
© Julia Marie Werner / sonstige
Teil 3 unserer Serie #dubiststark: Melodie Michelberger. Die 42-Jährige gehört schon jetzt zu den Frauen, die die Welt verändern. Im Interview mit BRIGITTE.de erklärt sie, warum sie sich auf Instagram in Unterwäsche zeigt.

2019 wird das Jahr der starken Frauen! Heute kommt der dritte Teil unserer Serie #dubiststark! Darin stellen wir jeden Monat eine bewundernswerte Frau vor, die uns bewegt, inspiriert und Mut macht. So wie die Body-Positivity-Aktivistin Melodie Michelberger aus Hamburg, die ihren runden, weiblichen Körper provokant in Unterwäsche auf Instagram zeigt, um gängige Schönheitsideale zu brechen. Checkt auch unseren Instagram-Kanal, auf dem ihr noch mehr über inspirierende Frauen erfahrt!

Muss eine Frau sich heutzutage wirklich noch ausziehen, um die Welt zum Besseren zu verändern? Wenn es darum geht, die Doktrin einer männlich geprägten Welt voller "Du musst schlank sein"-Schönheitsideale zu brechen: Ja. 

Sich nicht von erdrückenden Körperidealen bestimmen zu lassen, sich nicht schwach zu hungern für eine schlanke Figur, sondern sich stattdessen darauf zu besinnen, was einem gut tut, was einen stark und gesund macht, und seine Energie darauf zu verwenden, zu realisieren, was einen glücklich macht – das ist der Gedanke, der Melodie Michelberger alias Melanie-Jasmin Jeske antreibt. 

Eine Frau in Größe 42, die stolz und selbstbewusst ihren Körper zeigt

Eigentlich arbeitet die 42-jährige Mutter eines Sohnes als PR-Expertin in Hamburg, kümmert sich um die Kunden ihrer PR-Agentur "Michelberger PR". Doch ihre Bilder als Melodie Michelberger, ihr Kampf um einen positiveren Umgang mit unserem Körper, nimmt ständig mehr Raum in ihrem Leben ein. Schon 36.000 Menschen folgen Melodie auf Instagram.

Auf ihren Fotos zeigt Melodie sich oft und gerne in leuchtend farbenfroher Unterwäsche – eine Frau in Größe 42, die stolz ihren Körper zeigt, wie er ist, mit weichen Kurven und einer ganz eigenen, sachten, selbstbewussten Schönheit. 

Unter einem von Melodies Bildern steht zu lesen:

Das bin ich, wie ich einen Scheiß darauf gebe, was die Gesellschaft meint, was ich tragen sollte und was nicht.

Es gebe Menschen, die meinen, sie sei zu "fett", um für Selbstliebe einzustehen. "Diese Leute verstehen einfach nicht, dass jeder Mensch mit seinem verdammten Körper tun kann, was immer er möchte." 

Auf den neuesten Bildern ihrer starken Fotoserie "More Than A Body" zieren deutliche Botschaften Melodies Haut. Auf einem der Fotos ist in schwarzen Lettern zu lesen:

Ich bin stolz auf die Frau, die ich heute bin, denn ich weiß, durch welche Hölle ich gehen musste, um sie zu werden.

Melodie will mit ihren Fotos Sehgewohnheiten verändern: "Ich will ein Stopper sein, wenn man durch Instagram scrollt. Dann sieht man 25 Menschen, die der Schönheitsnorm entsprechen, und dann komme ich, eine, die die Wampe da so stolz über der Hose daher trägt, das will ich, genau das bezwecke ich." 

"Als ich schlank war, war mein Leben eine Qual"

Die Selbstsicherheit für solche Bilder war Melodie allerdings lange Zeit verloren gegangen, nachdem vor vielen Jahren ihr Schwarm zu ihr sagte: "Du schiebst aber eine ganze schöne Wampe vor dir her." Da war Melodie gerade 11, 12 Jahre alt. Es folgten Jahre der Magersucht.

Melodie erzählt: "Ich war damals der Überzeugung, dass mein Körper nicht richtig ist, weil er nicht wie das sehr dünne Ideal aussah. Ich habe jeden Zentimeter an mir gehasst und mich in wenigen Monaten auf unter 45 Kilo runtergehungert. Mit jedem verlorenen Kilo habe ich auf diesen erlösenden Moment gewartet, auf dieses Gefühl, dass ich endlich gut genug bin. Rückblickend war es eine hilflose und furchtbare Zeit, in der ich mich sehr alleine gefühlt habe. Ich habe meinen Selbstwert von meinem Gewicht abhängig gemacht und erst Jahre später erkannt, dass mein Selbstwert nicht automatisch mit den verlorenen Kilos steigt." 

Extrem traurig findet Melodie es im Rückblick betrachtet, dass sie gerade in dieser schlimmen Zeit die meisten Komplimente bekam. "Es ging mir so schlecht, ich war immer kurz vor einer Ohnmacht, bin ständig umgekippt in der Schule, weil ich einfach unfassbar wenig gegessen habe, aber das brannte sich ganz tief in mein Bewusstsein ein: Wenn man dünn ist, ist man anerkannt, wird man gelobt und gilt als gesund, während ich tatsächlich genau das Gegenteil von gesund war." Gefühlt hatte Melodie schon mit 16 alle Diäten hinter sich, die man machen kann. "Wie schlimm ist das?", fragt sie heute traurig mit dem Gedanken an das junge Mädchen, das so verzweifelt war.

Erst mit ihrer Schwangerschaft mit 30 Jahren kann Melodie wieder ein positives Verhältnis zu ihrem Körper aufbauen und die Magersucht besiegen. "Ich hatte zwischendrin zwar auch gute Jahre, wo das weniger war, aber das hat mich schon immer begleitet, dieses Gefühl, einfach nicht genug zu sein. Ich habe nie normal gegessen. Essen war für mich eher ein Feind, etwas, das man eben machen muss, um zu überleben, aber es war nichts, was mir Genuss bereitet oder worauf ich mich gefreut habe."

Der große Wunsch nach einem Kind verändert schließlich ihr Leben. "Ich wollte unbedingt schwanger werden, konnte das aber gar nicht so einfach, ich musste erst eine Hormontherapie machen. Als ich dann schwanger war, wollte ich die Schwangerschaft natürlich nicht riskieren und habe angefangen, wieder normal zu essen. Ich habe so sehr gestaunt, was mein Körper alles macht, ohne, dass ich irgendetwas dafür tue. Es hat mich extrem beeindruckt, wozu mein Körper fähig ist, obwohl ich so viele Jahre Raubbau an ihm betrieben und gar nicht auf ihn geachtet habe." 

Melodie gewinnt die Freude am Essen zurück, schließlich erreicht sie wieder ihr Ursprungsgewicht – und fühlt sich seither gesünder und besser als jemals zuvor. "Es hat sich so gut angefühlt, meinem Körper Gutes zu tun und ihn zu stärken, statt ihn immer nur weniger sein zu lassen. Ich habe in der Schwangerschaft etwa 25 Kilo zugenommen, was an sich ja nicht ungewöhnlich ist, aber wenn man so klein ist wie ich, ist das schon deutlich, und habe das dann eben nie wieder abgenommen, was auch voll in Ordnung ist. Mir geht es damit super."

Melodie ernährt sich übrigens schon immer vegetarisch, isst "wahnsinnig viel Gemüse, aber auch gerne mal Nudeln oder ein Stück Kuchen" – und genießt das inzwischen völlig ohne schlechtes Gewissen. "Das ist echt etwas, was viele Leute wieder lernen müssen, dass man nicht schon während man das Stück Kuchen isst, die Kalorien zählt."

Beruflich leidet Melodie allerdings noch eine ganze Weile unter den erdrückenden Botschaften der idealisierten Model-Bilder. Sie arbeitet als Moderedakteurin für Frauenmagazine. Schon immer liebte sie es, sich mit schönen Kleidern und starken Farben zu beschäftigen.

Doch zu dem Job gehört auch, die gängigen Schönheitsideale zu bedienen. Melodie produziert selbst die Bilder der schlanken Frauen, die damals sie selbst und bis heute sehr viele Frauen unter permanenten psychischen Druck setzen. "Ich habe für genau die Bilder gesorgt, die mir und anderen Frauen so ein negatives Körperbild zurückgespielt haben. Mir ist damals nie in den Sinn gekommen, auch mal ein Model auszusuchen, das nicht dem Schönheitsideal entspricht. Und auch ich fühlte mich als Moderedakteurin nur gut, als ich extrem schlank war. Damals war ich einfach noch nicht so weit, es gab noch nicht so ein Umdenken wie heute." 

Mit Mitte 30 rutscht Melodie in ein Burnout

Melodie wechselt in die PR, doch auch da begleitet sie das Thema. Schließlich hält sie es nicht mehr aus, mit Mitte 30 rutscht Melodie in ein Burnout, es folgt eine Zeit der Verzweiflung, im Privaten eine Trennung und viel Traurigkeit.

Ich war zwei Jahre krankgeschrieben und habe in dieser Zeit viel darüber nachgedacht, wie ich eigentlich arbeiten möchte und wie ich mit meinem Körper und meiner Psyche umgehen will. Da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, dass ich irgendwann umkippen musste, weil auch ich mein ganzes Leben lang diesem Schönheitsideal hinterhergehechtet bin.

Was der seither alleinerziehenden Mutter damals am meisten hilft, ist die große Unterstützung der Frauen in ihrem Umfeld – mit liebevollen Worten, Kinderbetreuung, Zeit und auch finanzieller Unterstützung. "In dem Moment, wo es mir so schlecht ging, gingen ganz viel Türen auf und viele Frauen sagten: Komm, ich helfe dir." In der Folge gründete Melodie das feministische Netzwerk trustthegirls.org, zu deutsch "Vertrau auf die Mädchen", mit dem sie sich heute für Feminismus, Diversität, Gleichberechtigung und Freiheit einsetzt. Und sie postet die ersten Fotos auf Instagram, Melodie Michelberger entsteht. Melodie ist ein alter Spitzname von Melanie, Michelberger steht für ihren Wohnort, auf einem Berg neben dem Hamburger "Michel", einer großen Kirche. 

Die überwältigenden Reaktionen auf eine Fotokampagne für ein Bademodenlabel führen schließlich dazu, dass Melodie realisiert, wie groß der Bedarf an echten, unveränderten Fotos von Frauen mit weiblicher Figur ist, die sich nicht dafür schämen, vermeintlichen Idealen nicht zu entsprechen. Zum ersten Mal zeigt sie sich damals gemeinsam mit anderen Frauen mit sehr unterschiedlichen Figuren im Bikini und bekommt dafür überwältigend positives Feedback. Große Zeitungen berichten mit Titeln wie "Jetzt ist die Unterwäsche-Revolution!" oder "Das ist die Bikini-Revolution". 

Melodie erinnert sich: "Das hat mich sehr bestärkt, einfach weiterzumachen. Dadurch habe ich gemerkt, dass das etwas ist, das gar nicht so normal ist, dass Frauen in meiner Größe sich wohlfühlen und so zeigen." Das ist jetzt drei Jahre her. Seitdem lautet Melodies Maxime: Ermutigung statt Konkurrenz. Und mit jedem ihrer Fotos in Unterwäsche kommt sie ihrem Ziel ein Stück näher. Sie retuschiert nichts: "Ich lege keine Filter auf die Bilder, mache höchstens mal ein Bild hell oder dunkel." Jede ihrer weichen Kurven ist in ihrer ganz eigenen, weiblichen Schönheit zu sehen.

Wann fing das eigentlich an, dass wir unseren Wert von der Zahl auf der Waage oder dem Umfang des Bauchs abhängig gemacht haben? Seit wann zählen wir Speckrollen und nicht Umarmungen?

Dass immer mehr Menschen diese Bilder sehen wollen, liegt auch an den nachdenklich-inspirierenden Botschaften, mit denen Melodie ihre Fotos ergänzt. Es sind Worte wie diese, die das Herz berühren und das Denken verändern:

"Wann fing das eigentlich an, dass wir unseren Wert von der Zahl auf der Waage oder dem Umfang des Bauchs abhängig gemacht haben? Seit wann zählen wir Speckrollen und nicht Umarmungen? Warum danken wir nicht täglich unseren Herzen fürs unermüdliche Schlagen, fürs Lieben, fürs Pumpen in jeder einzelnen Sekunde unseres Daseins? Warum danken wir nicht unseren Armen, dass sie umarmen, halten, heben, tragen und noch so viel mehr können? Warum sind so genannte 'Frauen'-Magazine voller Übungen gegen dicke Oberarme, aber nicht voller Plädoyers für mehr Umarmungen? Warum sehen wir dicke Beine und nicht Beine, die uns täglich durchs Leben tragen, die zum Lieblingssong tanzen, die hüpfen, laufen, springen und noch so viel mehr können? Wir sind so viel mehr als unser Fettanteil, unsere Speckrollen, unser Hüftspeck, unsere schwabbeligen Oberarme. Wir sind wir und das ist ganz schön gut so."

Oft werden Melodies Fotos als mutig bezeichnet. Doch sie selbst mag diese Beschreibung gar nicht: "Ich finde es sehr traurig, dass man sagt, es sei mutig, dass man sich so zeigt, wie man ist. Ich bin so geboren, genau so, wie ich bin. Ich kann überhaupt gar nichts für meinen Körper. Der war immer schon so rundlich, ich hatte immer schon einen dicken Bauch, einen dicken Hintern. Warum gehört Mut dazu, dass ich mich so zeige, wie ich bin? Ich weiß natürlich, woher das kommt, dass man das für mutig hält, und wahrscheinlich gehört auch ein bisschen Mut dazu, weil es ja etwas ist, dass in unserer Gesellschaft nicht total normal und anerkannt ist, dass man sich abseits der Schönheitsnormen stolz zeigt. Aber ich hoffe natürlich, dass es irgendwann hinfällig ist, dass das mit Mut verbunden wird."

Das viele positive Feedback der Frauen und auch Männer, die Melodie folgen, beweist, dass wir auf einem guten Weg sind. Melodie erzählt: "Ich bekomme sehr viele private Nachrichten, in denen mir besonders Frauen ihre persönlichen Geschichten erzählen. Gerade letzten Sommer habe ich viele solcher Nachrichten bekommen. Die älteste Frau war 70. Sie schrieb mir, dass sie jetzt zum allerersten Mal einen Bikini angezogen hat, weil sie durch meine Posts so viel Selbstbewusstsein gesammelt hat – und dass sich das total gut angefühlt hat."

"Wir sprechen nicht mehr negativ über andere Frauen"

In Melodies PR-Büro gibt es übrigens eine bemerkenswerte Regel. "Wir haben vor zwei Jahren beschlossen, dass wir nicht mehr negativ über andere Frauen sprechen wollen. Das ist total unnötig und spielt immer negativ auf uns selbst zurück. Wenn wir dann abends auf dem Sofa sitzen, haben wir genau diese negativen Gedanken im Kopf und dann fallen sie auf uns zurück. Wenn man den ganzen Tag gesagt hat, diese oder jene Frau hat aber einen dicken Arsch, dann denkt man genau das auch über sich selbst." Stattdessen versuchen Melodie und ihre Kolleginnen gerne einmal Komplimente zu verteilen, die nicht auf die Figur abzielen, zum Beispiel: "Wow, du hast so ein schönes Lächeln" oder "Du siehst heute so selbstbewusst aus". 

Und mit jedem dieser positiven Worte und jedem der stärkenden Bilder von Melodie finden mehr Frauen und auch Männer ihren Weg hin zu einer wertschätzenden und liebevollen Selbstwahrnehmung und einem freieren Leben, ohne den Druck der Schönheitsnormen. 

Ein großes Danke dafür, liebe Melodie!

Nehmen wir uns alle ein Beispiel daran. 

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