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Ifo-Studie zeigt: Womöglich deutlich mehr häusliche Gewalt im Lockdown als gedacht

Eine Frau sitzt im Hintergrund auf dem Boden, vorne ist eine Faust zu sehen
© Doidam 10 / Shutterstock
Die Polizeistatistik der vergangenen Pandemie-Jahre hatte den Anstieg der häuslichen Gewalt bereits gezeigt. Doch Wissenschaftler des Ifo-Instituts befürchten jetzt, dass die Zahl der Betroffenen noch einmal deutlich höher liegt.

Das Bundeskriminalamt hatte zuletzt eine Zunahme von 4,4 Prozent der häuslichen Gewalttaten verzeichnet. Doch handelt es sich hierbei nur um die tatsächlich angezeigten Fälle, viele Taten innerhalb einer Partnerschaft bleiben lange oder sogar für immer unentdeckt. „Das dürfte nur eine Untergrenze des tatsächlichen Anstiegs darstellen“, sagte Helmut Rainer, Autor einer nun veröffentlichten Ifo-Untersuchung.

Studie zeigt: Möglicherweise ist die Häufigkeit der häuslichen Gewalt deutlich höher als gedacht

Rainer sowie seine Kollegen Dan Anderberg und Fabian Siuda stützen sich bei ihren Erkenntnissen auf Zahlen aus London. Untersuchungsgrundlage waren kombinierte Daten der Londoner Polizei mit anonymisierten Daten zu häufig gesuchten Begriffen bei Google.

Ihr Ergebnis: Im März 2020 wurde in London etwa 40 Prozent häufiger nach Schlagwörtern gesucht, die für Betroffene häuslicher Gewalt relevant sein könnten. Das bedeutet einen sieben- bis achtmal so starken Anstieg wie die Polizeidaten, heißt es in der Studie.

Basis der Daten waren Google-Suchbegriffe, die auf häusliche Gewalt hindeuten

Die von den Statistikern verwendeten Suchbegriffe stammen bereits aus einem langfristigen Vergleich, in dem zwischen 2015 und 2020 herausgefunden wurde, dass es klar erkennbare Zusammenhänge der Häufigkeit von Google-Suchbegriffen und amtlichen Kriminalstatistiken der London Metropolitan Police gab. Insgesamt wurden 35 Suchbegriffe genutzt, die auf die Suche nach Hilfe bei häuslicher Gewalt hinweisen. Vergleichbar sind diese beiden Datensätze, weil sie tagesaktuell abrufbar sind. Diese Suchbegriffe wurden bei der Ifo-Untersuchung erneut als Grundlage verwendet.

Nach dem ersten Corona-Lockdown sei die Zahl der Suchanfragen deutlich gestiegen, die Zahl der Anzeigen bei der Polizei hingegen nicht so stark. Was darauf schließen lässt, dass deutlich mehr Menschen von häuslicher Gewalt betroffen sind, als es die offiziellen Daten wiedergeben.

Zur Einordnung ist es jedoch wichtig, dass die Größenordnung der Ergebnisse aus London nicht so einfach auf Deutschland übertragbar sei, so Rainer. Allerdings habe man durchaus zeigen können, dass polizeiliche Statistiken den tatsächlichen Anstieg der häuslichen Gewalt wahrscheinlich unterschätzen. "Man darf davon ausgehen, dass das auch in Deutschland der Fall war", so Rainer.

Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich deutlich höher als die angezeigten Taten

Das BKA hatte bei der Vorstellung ihrer Zahlen bereits vor einer hohen Dunkelziffer gewarnt. Die Behörde sowie das Familien- und das Innenministerium planen daher weitere Untersuchungen. Der Weiße Ring hatte bereits von einer Erhöhung der häuslichen Gewalt um sechs Prozent gesprochen, die Grundlage waren eigens erhobene Daten. Frauenhäuser- und notrufe hatten während der Pandemie von einem noch deutlicheren Plus berichtet.

Häusliche Gewalt richtet sich in den meisten Fällen gegen Frauen und Kinder. Das BKA betont ebenfalls, dass viele Taten jedoch nicht angezeigt werden. Es handelt sich bei Partnerschaftsgewalt noch immer um ein Tabuthema in Gesellschaft. Die Sorgen, was eine Anzeige nach sich ziehen könnte, seien häufig zu groß – was passiert mit den Kindern? Wie kann ich meinen Lebensunterhalt bestreiten? Dieses Tabu muss unbedingt gebrochen werden.

Wer von häuslicher Gewalt betroffen ist, kann sich an jede Polizeistation wenden. In akuten Bedrohungslagen sollte die 110 gerufen werden. Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ist rund um die Uhr unter 08000 116 016 erreichbar. Weitere Hilfe finden Betroffene beim Weißen Ring. Telefonisch sind die Helfer:innen täglich von 7 bis 22 Uhr unter 116 006 erreichbar. Weitere Informationen bietet die Beratungsseite der Polizei.

Verwendete Quellen: Studie: Der Einfluss der Covid-19-Pandemie auf häusliche Gewalt – neue Ansätze zur Quantifizierung mittels Google Suchdaten, rnd.de

slr Brigitte

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