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Marine Tanguy: "Kim Kardashian zu folgen, kann dich krank machen!"

Teil 2 unserer Powerfrauen-Serie #dubiststark: Marine Tanguy. Die 29-Jährige gehört schon jetzt zu den Frauen, die die Welt verändern. Im Interview mit BRIGITTE.de erklärt sie die Vorteile einer Visual Diet.

2019 wird das Jahr der starken Frauen! Heute kommt der zweite Teil unserer Powerfrauen-Serie #dubiststark! Darin stellen wir jeden Monat eine bewundernswerte Frau vor, die uns bewegt, inspiriert und Mut macht. So wie Marine, die sich gegen den Schönheitswahn auf Social Media ausspricht. Checkt auch unseren Instagram-Kanal, auf dem ihr noch mehr über unsere Powerfrauen erfahrt!

Haben wir alle eine Visual Diet (dt. visuelle Diät) nötig? Laut Marine Tanguy (29) lautet die Antwort: Ja! Die gebürtige Französin ist Gründerin der MTArt Agency, einer Agentur, die Künstler unterstützt, die die Welt bereichern. Marine wurde vergangenes Jahr von Forbes zu den "30 unter 30 in Europa" im Bereich "Kunst und Kultur" gewählt. Damit gehört sie zu den einflussreichsten JungunternehmerInnen Europas.

Gemeinsam mit dem britischen Fotografen Rankin und der Agentur M&C Saatchi hat Marine die Ausstellung Visual Diet zusammengestellt. Das Ziel des Projekts ist es, zu untersuchen, wie Bilder um uns herum unsere Psyche beeinflussen.

Jüngst haben Forscher der Royal Society of Public Health in der groß angelegten Studie #StatusOfMind herausgefunden, welche negativen Effekte soziale Medien – wie etwa Instagram, Facebook, Twitter oder YouTube – auf die Gesundheit junger Menschen (14- bis 24-Jährige) haben. Der ständige Vergleich mit anderen, sowie die Kluft zwischen Körperidealen und der Realität schaden der Psyche vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Demnach weisen viele von ihnen Symptome von Depressionen auf. Der Vergleich mit künstlich bearbeiteten Bildern schürt bei den Betroffenen Ängste (Sorgen, Nervosität), nicht "genug wert" zu sein. Sie fühlen sich minderwertig.

Visual Diet: Marine und Künstlerinnen
Vor der Visual Diet-Ausstellung: Marine Tanguy (rechts) mit den Künstlerinnen Adelaide Damoah, Clemence Vazard und Mimi Gray von der Werbeagentur M&C Saatchi London (v.r.n.l.).
© MTArt Agency

Zu Marines Visual Diet-Ausstellung hat neben den Künstlerinnen Adelaide Damoah, Clemence Vazard und Camila Gonzales auch Rankin ein Fotoprojekt beigesteuert. Der Brite, der unter anderem schon die Rolling Stones, Kate Moss und die Queen vor der Linse hatte, fotografierte 15 Jugendliche und bat sie anschließend, ihre eigenen Fotos "Instagram-gerecht" zu gestalten.

Nach nur fünf Minuten Bearbeitungszeit haben die Jugendlichen radikal veränderte Porträts abgegeben: Sie kaschierten ihre Nasen schmaler, schummelten sich dünnere Gesichter, ließen ihre Sommersprossen verschwinden, vergrößerten Augen sowie Lippen und griffen zu virtuellem Make-up.

Wie erschreckend radikal die Teenager ihre eigenen Fotos bearbeitet haben, zeigt folgendes Video:

Visual Diet Faces by Rankin

Im Interview mit BRIGITTE.de verrät Marine Tanguy, wie das Projekt Visual Diet zustande kam und wie sie damit die digitale Welt zu einem besseren Ort machen will.

BRIGITTE.de: Marine, du bist die Gründerin der MTArt Agency und hast das Konzept Visual Diet entwickelt. Wie bist du auf diese Idee gekommen?

Marine Tanguy: Als ich die MTArt Agency gegründet habe, hielt ich eine Rede bei der Royal Society of Arts. Es ging darum, dass visuelle Künstler mehr Einfluss bekommen müssen . Ich war gerade aus Los Angeles zurückgekehrt, wo ich meine erste Kunstgalerie geführt hatte. Dadurch hatte ich Kontakt zu den Top-Agenturen in Hollywood und bekam mit, welche Einflussnahme sie ihren zukünftigen Stars ermöglichten.

In dieser Rede habe ich folgenden Vergleich angeführt: Kim Kardashian hat 120 Millionen Follower auf Instagram – das Louvre Museum in Paris hingegen nur eine knappe Million. Mir schien es notwendig, unserem Kulturgut eine stärkere Stimme zu verleihen. Diese Sichtweise wurde das Herzstück unserer Agentur: Wir wollen, dass unsere Künstler so viele Menschen wie möglich mit ihrer Kunst inspirieren. Dafür zeigen wir ihre Kunstwerke überall: in der Öffentlichkeit, digital, über Markenkampagnen und Ausstellungen.

Kim Kardashians Content ist nicht nur oberflächlich, sondern schadet auch unserer mentalen Gesundheit

Um beim Beispiel zu bleiben: Kim Kardashians Content ist nicht nur oberflächlich, sondern schadet auch unserer mentalen Gesundheit. Unsere Untersuchung zeigte, dass solch narzisstischer, sexualisierter und konsumorientierter Inhalt sogar Depressionen auslösen kann – wie man sie heute bei jungen Menschen immer häufiger sieht. Zudem macht dieser Inhalt sie süchtig, die Oberflächlichkeit und Unnatürlichkeit dieser Bilder aber gleichzeitig unzufrieden. Der Name des Projekts Visual Diet vermittelt die Botschaft, dass wir auf uns selbst Acht geben müssen, indem wir nur gehaltvolle Bilder posten, wie etwa Kunst.

Welche Intention steckt hinter deiner Kampagne?

Das Ziel der Kampagne ist es, ein Bewusstsein für jeglichen visuellen Content zu wecken, den wir tagtäglich konsumieren. Wir wollen zeigen, wie Bilder unsere mentale Gesundheit beeinflussen. Viele von uns konsumieren im Internet – vor allem auf Instagram und Snapchat – das, was das Äquivalent zur Fast Food-Ernährung darstellt. Es ist an der Zeit, dieser Gewohnheit ein Ende zu setzen. Ich möchte sicherstellen, dass sich mehr Menschen an visueller Kunst bereichern – und nicht an dem narzisstischen Content, der die sozialen Medien zur Zeit dominiert. Auf diese Weise möchte ich die mentale Gesundheit der Menschen verbessern.

Es ist an der Zeit, ein Bewusstsein für visuellen Content zu wecken

Zudem geht es uns auch darum, zu zeigen, dass Künstler einen wahren Wert für uns sowie unsere Gesellschaft haben und mit ihren Werken einen gehaltvollen kulturellen Content erschaffen. Langfristig wollen wir mit der Visual Diet eine Art Fair-Trade-Label erschaffen: Etwas, dass man in Anspruch nehmen kann, wenn man diese Richtlinien respektiert – sei es als Kunstschaffender oder als Unternehmen.

Wie genau beeinflussen Bilder unsere mentale Gesundheit?

Heutzutage konsumieren wir Bilder mehr denn je. Diese Bilder beeinflussen uns genau so, wie unsere Freunde und Menschen, die uns umgeben: Sie spielen eine große Rolle bei dem, was beziehungsweise wer aus uns wird. Wenn wir geboren werden, verstehen wir unsere Umwelt in erster Linie durch das, was wir sehen. Visuelles ist elementar für uns. Wächst du in einer negativen visuellen Umgebung auf, wirkt es sich negativ auf deine mentale Gesundheit aus. Das gleiche gilt für öffentliche Plätze.

Warum kreieren wir nicht eine Bilderlandschaft, die visuell inspirierend ist?

In den vergangenen Jahrhunderten wurde Kunst als Therapie gesehen. Die kanadische Regierung schreibt inzwischen Museumsbesuche für Menschen vor, die mental geschwächt sind. Wenn wir das also wissen: Warum kreieren wir nicht eine digitale Landschaft, die visuell inspirierend ist?

Welche negativen Symptome können Social Media-Kanäle – wie Facebook, Instagram oder Pinterest – hervorrufen?

Social Media-Kanäle können fantastische Plattformen sein! Ich habe viele Freunde über Instagram kennengelernt und eine unterstützende Community aufgebaut.

Gleichzeitig bergen diese Kanäle auch eine große Gefahr. Durch den riesigen Echo-Raum, den sie bilden, beeinflussen sie uns. Wir sehen, dass die Top 5 Influencer der Welt alle ähnlichen Content verbreiten und dadurch eine monotone digitale Landschaft für uns alle erschaffen.

Wir sind es, die die Macht darüber haben, wie die digitale Landschaft aussieht

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir es sind, die die Macht haben; dass wir sind es, die mitentscheiden, ob und wie diese Landschaft variiert. Wir alle können diese Landschaft gehaltvoller für uns machen – wir müssen es nur wollen. Jeder Follow, jedes Like zählt – und momentan folgen und liken wir Menschen, die vor allem der jungen Generation schaden.

Wird dieser Effekt nicht auch von Werbung hervorgerufen, die oft sexualisiert wird und gleichzeitig vorgibt, natürlich zu sein?

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, wie wir wissen. Es kann Erstaunliches in uns hervorrufen – oder unsere tiefsten Unsicherheiten aufdecken. Werbeanzeigen manipulieren uns auf diese Weise seit Jahrhunderten: Du glaubst, du könntest nur „sein“, wenn du bestimmte Dinge kaufst oder dich auf eine bestimmte Art verhältst. Werbung formt uns. Jeder kennt das Gefühl, sich einige Bilder anzugucken und sich wenige Minuten später miserabel zu fühlen. Die gute Nachricht ist: Du kannst das Gefühl zunichte machen. Das Problem bist nicht du, sondern der Content, den du konsumierst.

Es ist an der Zeit, jene Helden hervorzuheben, die unsere Kinder dringend brauchen

Das ist auch der Grund, warum ich mit der Werbeagentur M&C Saatchi zusammenarbeite, um die Visual Diet zu lancieren. Werbung verändert sich zur Zeit – wie auch die neuesten Nike- und Gillette-Werbespots zeigen. Die Marken realisieren langsam, welchen Einfluss sie ausüben. Sie müssen die Verantwortung dafür übernehmen, wen sie berühmt machen. Das Wunderbare an Social Media Kanälen ist ja, dass jeder Einfluss darauf ausüben kann. Viele Marken haben unsere Künstler engagiert, weil sie die authentische Nachricht ihrer Werke überzeugt hat – und weil sie glauben, dass sie inspirierende Vorbilder sind. Es ist an der Zeit, jene Helden hervorzuheben, die unsere Kinder dringend brauchen.

Wie können wir die nicht enden wollende Ausbreitung narzisstischer und sexualisierter Fotografie stoppen?

Zwecks der Recherchen für eine Rede habe ich ein Foto von meinem Hinterteil im Bikini auf Instagram gepostet. Dieses Foto bekam 75 Prozent mehr Views als meine üblichen Posts!

Jetzt stell dir ein 16-jähriges Mädchen vor, dass bemerkt, dass ihrem Körper mehr Wert zugesprochen wird als ihren Klausurnoten. Als natürliche Reaktion wird sie mehr Körperbilder von sich posten.

Meine Schlussfolgerung: Wir müssen aufhören, solche Bilder zu liken – es wird das Leben der Menschen verändern.

Sollten also sexualisierte, narzisstische Fotos auf Social Media Kanälen verboten werden?

Natürlich könnten wir solche Bilder verbieten. Allerdings glaube ich, wir sollten uns mehr auf die Bildung konzentrieren. Es wäre weitaus effektiver, wenn wir den Menschen jene Informationen vermitteln, die sie brauchen, damit sie besser verstehen, was sie dort eigentlich konsumieren. Je mehr Menschen darüber Bescheid wissen, desto mehr Menschen werden die richtigen Entscheidungen treffen.

Der britische Fotograf Rankin hat Fotos von Teenagern aufgenommen und sie darum gebeten, sie "Social Media-reif" zu bearbeiten (s. Video oben). Kein einziger ließ sein Foto unbearbeitet. Was ist die Nachricht hinter Rankins Kunst?

Der interessanteste Aspekt von Rankins Projekt ist eigentlich folgender: Den Teenagern wurden im Anschluss beide Fotos gezeigt – das natürliche und das von ihnen überarbeitete. Eigentlich bevorzugten alle das natürliche Foto von sich – gleichzeitig würden sie aber das bearbeitete posten. Was Rankin mit seinem Projekt zeigt, ist, wie enorm heutzutage Fotos bearbeitet werden und wie angsteinflößend das eigentlich ist. Denn es zeigt auch, was wir am meisten wahrnehmen: unsere Unvollkommenheit und Unsicherheiten, die jeden von uns aber einzigartig machen.

Wie kann man dieser Sucht, auf Social Media-Kanälen immer perfekt aussehen zu wollen, entkommen?

Ich würde allen raten, nur denjenigen Accounts zu folgen, die einen glücklich machen und den eigenen Tag bereichern! Folgt Künstlern, schaut euch schöne Naturfotos an – und falls ihr Menschen auf Instagram & Co. folgt, die ihren Wert selbst zerstören, dann folgt ihnen nicht mehr.

Wenn du eine einzige Sache an Social Media ändern könntest – was wäre es?

Ich würde die Bilder-Landschaft inspirierender machen! Ich kann es kaum erwarten, bis sie sich dahingehend ändert.

Marine Tanguy, vielen Dank für das Interview.

Video: Rankin Photography Ltd.

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