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Magersucht: "Schön sein heißt schlank sein - verheerend!"

Wann hört Diät auf und fängt Magersucht an? Ist Magersucht genetisch veranlagt? Und wie nützlich ist eine Psychotherapie? Ein Gespräch mit der Therapeutin Monika Gerlinghoff.

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BRIGITTE: Was ist eigentlich eine Ess-Störung?

Monika Gerlinghoff: Unter Ess-Störungen im medizinischen Sinn verstehen wir Magersucht, Ess-Brech-Sucht (Bulimie) und Ess-Sucht. Für jede dieser Krankheiten gibt es festgelegte Diagnosekriterien. Die Übergänge von harmlosen Diäten oder einzelnen Ess-Gelagen zu Ess-Störungen sind fließend.

BRIGITTE: Wann fängt die Ess-Störung an? Woran können Angehörige erkennen, dass etwas nicht stimmt?

<antwort name = "Gerlinghoff"> Im Frühstadium gibt es keine Anhaltspunkte, die deutlich machen, dass die Grenze z. B. zur Magersucht überschritten wurde. Doch irgendwann fallen Verhaltensweisen und Beschwerden auf, die eine an Magersucht erkrankte Jugendliche von denen unterscheidet, die harmlose Diäten machen, aber gesund bleiben.

Es sind dies in Verbindung mit Hungern und Gewichtsabnahme über ein vernünftiges Maß hinaus: Vermeiden gemeinsamer Mahlzeiten; auffallende Essgewohnheiten, wie extrem langsames Essen, Löffeln von Flüssigkeiten, Abwiegen von Nahrungsmitteln, Umstellung der Nahrungsmittel auf vegetarische Kost oder Rohkost; vermehrter Umgang mit Nahrung, wie Einkaufen, Kochen und Backen, Mästen der Familie bei eigener Nahrungsverweigerung; Gewichtsabnahme trotz reichhaltiger Nahrungszufuhr, wobei der Verdacht des Erbrechens nahe liegt; Verschwinden von Nahrungsmitteln im Übermaß; Klagen über Appetitlosigkeit, Völlegefühl, Übelkeit, Verstopfung, Frieren, Ausbleiben der Menstruation; vor allem aber fanatisches Weiterhungern trotz Bitten und Ermahnungen der Eltern.

Weitere, eher allgemeine, aber für die Entwicklung einer Magersucht typische Phänomene in Kombination mit übermäßigem Hungern sind Leistungssteigerung, übertriebene sportliche Aktivitäten, vermehrter Bewegungsdrang, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmungen sowie Gereiztheit und Rückzug in die Isolation.</antwort>

BRIGITTE: Was sind die Ursachen?

Gerlinghoff: Fachleute gehen heute davon aus, dass es eine genetische Disposition für die Krankheit gibt. Aber die allein ist es nicht. Manche Charaktereigenschaften, zum Beispiel mangelnde Selbstsicherheit oder ein extremer Leistungsanspruch, begünstigen die Entwicklung einer Ess-Störung. Außerdem spielt die Umgebung eine große Rolle. Damit ist nicht nur die familiäre Konstellation gemeint, sondern auch unsere Gesellschaft und ihre Ideale. Um als Frau akzeptiert zu sein, muss man schön sein und etwas leisten. Und schön sein bedeutet für viele schlank sein. Diese Überzeugung kann verheerend wirken.

BRIGITTE: Wie kann man Ess-Störungen heilen?

Gerlinghoff: Am ehesten gelingt das mit Psychotherapie, und zwar im Rahmen von Einzel-, Gruppen- und Familiensitzungen. Besonders wichtig ist die Verhaltenstherapie. Der Begriff "Heilung" ist hier allerdings problematisch. Langfristig überwinden 50 bis 70 Prozent der Patientinnen und Patienten ihre Krankheit oder kommen damit zurecht. Bei den übrigen wird die Ess-Störung chronisch, oder sie geht in andere psychische Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen über. Und trotz aller Bemühungen sterben immer wieder junge Menschen an den Folgen ihrer Ess-Störung. Die Prognose könnte deutlich verbessert werden, wenn Betroffene wesentlich früher als üblich eine notwendige Psychotherapie wahrnehmen würden.

BRIGITTE: Was ist das Besondere an Ihrer Behandlungsmethode?

Gerlinghoff: Das von uns entwickelte Therapie-Konzept besteht aus mehreren zeitlich aufeinander folgenden Abschnitten. Kernstück ist eine tagklinische Phase, bei der die Patientinnen morgens in die Klinik kommen und am Abend wieder nach Hause gehen. Unsere Therapie ist verhaltenstherapeutisch orientiert und findet in der Gruppe statt. Wir beziehen Eltern, Geschwister, Partner und Kinder in die Therapie mit ein. Unser Ziel ist es, dass unsere Patientinnen wieder lernen, ungestört und frei von Angst zu essen und ein normales Körpergewicht zu akzeptieren. Außerdem üben wir Strategien ein, mit deren Hilfe sie ihr normales Leben möglichst eigenverantwortlich und selbständig bewältigen können.

Dr. Monika Gerlinghoff ist die Leiterin des Münchner Therapie-Centrums für Ess-Störungen. TCE - Therapie-Centrum für Ess-Störungen, Schleißheimer Str. 267, 80809 München, Tel. 089/356 24

Interview: Jana Kerlen

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