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Casting-Show für afghanische Models Laila Hamidi: "Jetzt müssen die Frauen aufstehen"

Laila Hamidi bei einem Mode-Casting
© Streetstyleshooters / Kontributor / Getty Images
Als Kind hat sie den Krieg in Afghanistan erlebt, mit 15 Jahren kam sie nach Europa. Heute gilt Laila Hamidi, 40, als Deutschlands erfolgreichste Stylistin. Prominente wie Nazan Eckes, Franziska Knuppe, Verona Pooth und Liz Mohn vertrauen seit vielen Jahren auf ihr Beauty- und Fashion-Gespür.

Während der Corona-Zeit, als die Stars zu Hause blieben, anstatt sich für den roten Teppich schön machen zu lassen, hatte Laila Hamidi den Wunsch, sich anderweitig nützlich zu machen, wie sie erzählt. Sie wollte ihrer alten Heimat etwas "zurückgeben", sich für die Sichtbarkeit der Frauen in Afghanistan einsetzen. Also produzierte Hamidi, die von afghanischen Frauen auf der ganzen Welt in den sozialen Netzwerken als Influencerin gefeiert wird, eine Casting-Show mit afghanischen Models.

Wie der Wiederaufstieg der Taliban ihre Pläne torpedierte und warum sie gerade jetzt weiterkämpfen will, erzählt sie hier.

BRIGITTE: Wie halten Sie Kontakt zu Ihrer Community?

Laila Hamidi: Wir sind durch Social Media verbunden. Internet und Social Media sind immer noch erlaubt in Afghanistan. Aber ich weiß nicht, wie lange noch.

Sind in Ihrer Community auch Frauen, die in Afghanistan leben?

Ja, ich bekomme auch Nachrichten von Frauen aus Afghanistan, die mir schreiben, dass sie diesen Traum von Fashion haben. Aber sie glauben, dass das immer ein Traum bleiben wird. Meine meisten Follower sind afghanische Mädchen und Frauen, die in der zweiten oder dritten Generation in Europa geboren wurden.

Was sehen diese Frauen in Ihnen?

In der afghanischen Gesellschaft herrscht immer noch die Vorstellung, dass Frauen über 30 alt und verbraucht sind. In Gesprächen höre ich immer: Unsere Zeit ist vorbei. Dagegen habe ich immer gekämpft. Ich selbst bin eine verheiratete Frau, bin jetzt 40 geworden, ich habe einen großen Sohn, aber trotzdem arbeite ich. Deshalb bin ich eine Art Vorbild.

Vor eineinhalb Jahren waren Sie in Kabul und haben dort eine Art Aufbruchstimmung unter den Frauen verspürt. Was ist davon geblieben?

Das ist komplett zurückgegangen in das Dunkel. Die Frauen sind derzeit am meisten betroffen. Die Männer kommen vielleicht irgendwann klar mit der Situation, aber Frauen nicht. Es gibt so viele Witwen in Afghanistan. Wenn die nicht arbeiten, weil die Taliban den Frauen das Arbeiten verbieten, dann haben sie nichts mehr zu essen. Oder sie müssen ihren Schwager heiraten. Das ist wie im Mittelalter. Wir haben so viel versucht aufzubauen. Wir wollten, dass die Mütter Bildung bekommen und selbstbewusst werden, damit sie ihre Kinder gut erziehen können. All das ist jetzt wieder weg. Die Zukunft sieht schlimm aus.

Sie haben in Kabul mit einer Parfümeriekette zusammengearbeitet, die Ihre Kosmetik-Produkte verkauft. Wie sieht es jetzt damit aus?

Am Tag, als die Taliban kamen, habe ich mit denen telefoniert. In der Parfümerie und in den Straßen drum herum hingen große Plakate mit meiner Kampagne, die ein afghanisches Model zeigen. In der Parfümerie haben sie mir gesagt, dass sie diese Plakate schon zwei, drei Tage zuvor abgenommen hatten. Die ganze Werbung. Das tut mir weh. Das ganze Land will sich schützen, indem es die Frauen versteckt.

Sie haben in den vergangenen 14 Monaten an einer TV-Show gearbeitet: ein Casting-Format namens "LAILA HAMIDI’s Beauty Face", wo Sie ein neues Gesicht für Ihre eigene Kosmetik-Kampagne suchen. Der erste Preis ist es, auf genau solchen Plakaten in Kabul zu sehen zu sein sowie im Online-Shop von Douglas in Deutschland. Das erste fällt jetzt gezwungenermaßen weg.

Ich habe sehr viel investiert in diese Show. Das afghanische Fernsehen wollte die Sendung ausstrahlen. Doch als schon alles fertig produziert war, hat der Sender im April plötzlich abgesagt. Die waren schon auf die Taliban vorbereitet! Ich habe meine sechs Folgen dem Chef des Senders präsentiert, und er hat nur gesagt: Da ist viel nackte Haut zu sehen, das können wir nicht nehmen. Wie bitte? Nur in Folge sechs haben meine Top 4 Abendkleider angezogen, ohne Ärmel. Das ist die einzige nackte Haut, die man sieht. Denn eigentlich geht es in der Show ja um die Gesichter. Aber der Chef des Fernsehsenders hat mich überhaupt nicht ernst genommen. Ich war sehr sauer.

Sie konnten im Frühling also schon sehen, dass es in Afghanistan viele Männer gibt, die vor den Taliban zurückweichen und sich nicht wehren würden.

Ja, leider. Meine Erfahrung ist: Die Männer schreien für die Freiheit der Frauen. Aber für die eigene Tochter, Schwester oder Frau wollen sie sie nicht. Das ist so schlimm.

Was ist Ihr Anliegen mit der Show?

Ich hatte solche Hoffnung, dass ich diesem Land mit meiner Produktion etwas zurückgeben kann. Aber sie haben mich eiskalt im Stich gelassen. Sie wollten nicht die Modernisierung von Afghanistan zeigen, sondern sich lieber darauf einstellen, mit den Taliban zu kooperieren. Mein Ziel war es, Frauen als Geschäftsfrauen zu präsentieren. Ich wollte die Mädels sehr hochwertig zeigen und ihnen eine Tür öffnen in dieser Branche. Ich habe alle meine Kontakte da reingeholt. Es ist ein Frauenprojekt für die Frauen.

Was ist anders als bei anderen Casting-Formaten?

Die jungen Mädchen schreiben mir immer, dass sie Models werden wollen. Bei "GNTM" ist es so, dass Heidi ein Model castet, weil sie selbst ein Model ist. Ich habe keine Macht, aus den Kandidatinnen Models zu machen. Aber ich kann ein Model für mich selbst aussuchen! Ich habe eine Brand, ein Kosmetiklabel, und dafür suche ich jedes Jahr ein Kampagnengesicht. In der Show zeige ich den Prozess, was ein Model dafür braucht, wie in einem Workshop. Ich möchte nicht, dass die Mädels in Afghanistan ausgenutzt werden. Ich konnte selbst sehen: Die Macht hinter der Kamera haben dort die Männer. Und die Männer wollen die Frauen als ihr Spielzeug.

Wie lief das Casting?

Ich habe einen Aufruf über Instagram gemacht. In weniger als 24 Stunden haben sich mehr als tausend Mädchen gemeldet. Wir haben 33 Mädchen zum Casting nach Hamburg eingeladen. Das war kurz vor der zweiten Welle letztes Jahr, im Oktober. Ich war mir nicht sicher, ob jemand kommen würde. Ich habe mir gesagt, wenn 15 Mädchen kommen, dann drehen wir! Ich war sehr aufgeregt, hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Doch an dem Tag, kurz vor zwölf Uhr, war die Straße voll! Über 300 Mädchen. Die waren von überall, von Holland und von Dänemark, von Schweden und von England angereist. Das hat mir gezeigt: In der jüngeren Generation gibt es selbstbewusste Mädchen!

Und dann?

Der Fernsehsender hatte mir anfangs gesagt: Such Drama, such Drama! Aber ich wollte kein Drama zeigen. Ich wollte nicht das Vertrauen der Mädchen ausnutzen und jemanden so darstellen, dass alle lachen. Ich will alle stark zeigen! Ich habe sogar die Musik so ausgesucht, dass sie etwas Kämpferisches hat. (lacht)

Um welches Schönheitsideal geht es?

Viele orientalischen Frauen sind beeinflusst von diesem Kardashian-Look: aufgespritzte Lippen, operierte Wangenknochen, Fake Lashes, Extensions. Ich wollte mit meiner Sendung zeigen, dass Natürlichkeit immer noch das Gute ist. Ich habe am Ende ein natürliches Mädchen ausgesucht. Ganz modern. Keine billige Pose, sondern High Fashion. Damit wollte ich etwas Positives weitergeben, das ich hier im Westen gelernt habe. Ich wollte spielerisch modernisieren.

Wie haben Sie auf die Absage des TV-Senders reagiert?

Ich habe mir gesagt: Ich lasse mich nicht runterziehen! Deshalb habe ich mich Anfang August entschieden, die Show auf YouTube zu veröffentlichen. So eine teure Produktion einfach umsonst hochzuladen, das hat wehgetan. Die erste Folge war sehr erfolgreich, sie wurde 100.000 Mal angeschaut, obwohl mein YouTube-Kanal anfangs null Abonnenten hatte. Es lief nur über meinen Instagram-Account. Das war ein Risiko. Mittlerweile sind drei Folgen gelaufen. Dann kamen die Taliban, und ich habe eine Pause eingelegt. Ich dachte, das ist nicht die Zeit, um ein Model zu suchen. Es kommt aber bestimmt der Moment, wo alle wieder aufstehen und denken, dass Frauen wichtig sind.

Gar nicht so einfach, in diesen Zeiten Hoffnung zu verbreiten.

Das ist wirklich schwierig. Aber ich glaube, wir müssen das machen. Ich glaube, jetzt sind wirklich die Frauen dran. Die Männer haben jahrelang versagt. Jetzt müssen die Frauen aufstehen.

Und wie geht es für Sie persönlich weiter?

Ich habe so viel gelernt in den vergangenen Monaten. Ich war an allen Schritten der Produktion beteiligt. Ich habe mich eingearbeitet, habe die Fachausdrücke gelernt, die Programme gelernt, damit ich dem Team genau sagen kann, was ich möchte. Ich kann jetzt sogar Filme schneiden. Den Job als Producer habe ich richtig drauf. Für die zweite Staffel bin ich also gut vorbereitet.

Sie wollen sich das nochmal antun?

Ich spare bereits das Geld. (lacht) Wenn man kämpfen möchte, dann muss man weitermachen. Und wenn wir eine zweite Staffel herausbringen, dann wird unsere Stimme noch stärker.

Brigitte

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