Flugkraft - das Fotoprojekt gegen Krebs
Marina Proksch-Park war "nur" Hobbyfotografin, als sie 2013 "Flugkraft" ins Leben rief. Mit ihrem "Fotoprojekt gegen Krebs" unterstützt sie heute gemeinsam mit mehr als 100 ehrenamtlichen Mitarbeitern Familien, in denen ein Kind oder auch ein Erwachsener an Krebs erkrankt ist.
BRIGITTE.de: "Wir reden nicht über Krebs, wir rocken ihn!", lautet Ihr Motto. Wie machen Sie das?
Marina Proksch–Park: Familien, die sich bei uns melden, bekommen als Erstes ein individuell gepacktes „Flugkraft“-Paket: Da kann eine Eisprinzessin drin sein, wenn das kranke Kind sie mag, eine CD für den Bruder, ein Badeöl für die Mama. Dann überlegen wir weiter, was wir für diese Familie tun können. Im Zentrum stehen die Fotos, die ich bei Besuchen mache, wir bieten aber auch Whatsapp-Gruppen und Schmink-Workshops an, damit die Betroffenen in Kontakt miteinander treten können. Wir haben auch Ehrenamtliche, die einen Spielturm im Garten aufbauen, wenn das passt, oder den Rasen mähen, der schon mal kniehoch steht, wenn ein Kind an Krebs erkrankt ist. Wir geben Kraft und zeigen den Familien, dass sie nicht alleine sind.
Warum sind Fotos dabei so wichtig?
Sie sind Teil der Therapie und Erinnerung. Als außenstehende Person sehe ich die Kinder fernab von Diagnosen und Problemen, einfach als den Menschen, der vor meiner Kamera steht. Ich nehme mir viel Zeit, tobe mit ihnen und rede mit den Eltern. Wir spielen Memory oder Fußball, gehen spazieren oder auf einen Spielplatz. Die Kinder sind in ihrer normalen Umgebung und können tun und lassen, was sie möchten. So entstehen Fotos, auf denen sie lachen, bockig sind, mit den Geschwistern kuscheln oder schreiend durch den Flur rennen. Später sollen sich Kinder und Eltern an einen schönen Tag erinnern - und mit den Fotos etwas in der Hand halten können, das ihnen hilft, den Krebs nicht nur mit etwas Schlechtem zu verbinden. Es geht darum, den betroffenen Familien positive Momente zu schenken, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, besondere Erinnerungen zu schaffen, Angst zu reduzieren, Trost zu spenden und zu helfen, die Ereignisse anders zu bewerten.
Was machen Sie mit erkrankten Erwachsenen?
Vor allem für die Frauen sind Fotos wertvoll. Die Haare sind nicht mehr da, im Spiegel sehen sie nur die Krankheit. Die meisten haben gar keine Zeit, krank zu sein, und kümmern sich weiter um die Familie. Wenn sie sich dann in den Workshops schminken oder fotografieren lassen, sehen sie sich selber das erste Mal neu und können die Erkrankung oft erst annehmen. Sie können sagen: „Das bin jetzt ich.“
Was brauchen die Familien Ihrer Erfahrung nach am dringendsten?
Viele Familien haben finanzielle Probleme, da oft ein Elternteil wegen der Betreuung beruflich ausfällt. Auch da unterstützen wir und sind deshalb auf Spenden angewiesen. Ich höre auch oft, dass Familien von ihrem Umfeld ausgegrenzt werden. Manche Freunde und Verwandte wenden sich ab, manchmal traut sich selbst die Oma nicht mehr, vorbeizukommen, weil sie den Anblick des kranken Kindes nicht erträgt. Und viele wissen einfach nicht, was sie sagen sollen. Mit den Fotos können die Betroffenen zeigen, dass sie immer noch eine ganze normale Familie mit einem ganz normalen Alltag sind. So eine Therapie kann ja viele Monate dauern.
Wie kamen Sie auf die Idee mit „Flugkraft“?
Ich war Hobbyfotografin, als eine Freundin mich fragte, ob ich Bilder von ihrer zweijährigen Tochter machen könne, die an Nierenkrebs erkrankt war. Ich habe dann Fotos gemacht, wie sie mit Glatze auf dem Bett herumspringt und frech in die Kamera lacht. Damals, das war 2013, gab es solche Bilder noch nicht, höchstens von Kindern mit Mundschutz oder am Tropf. Das hat sich dann auf der Kinderkrebsstation schnell herumgesprochen, viele Familien haben sich bei mir gemeldet und ich habe gemerkt, wie groß der Bedarf ist.
Sie leben in Norddeutschland. Fahren Sie durch ganz Deutschland, um Fotos zu machen?
Nein. Mehr als zwei Stunden Fahrt wären an einem Tag mit An- und Abreise und der Betreuung nicht machbar. Manchmal entscheide ich aber auch einfach aus dem Bauch heraus. Einmal meldete sich eine Familie aus Hamburg bei mir und sagte: 'Unser Kind liegt im Sterben'. Es war ihnen extrem wichtig, Fotos zu haben. Am nächsten Morgen bin ich hingefahren.
Ist es nicht schwer, mit solchen Schicksalen klarzukommen?
Das ist natürlich nicht einfach, allein 2017 haben wir schon sechs Schützlinge verloren. Wir sprechen dann viel im Team darüber, und auch in meiner Familie werde ich wunderbar aufgefangen. Für mich ist es das Wichtigste, den Familien etwas Gutes zu tun.
Info: Die Betreuung durch "Flugkraft" ist für die Familien kostenlos. Das Angebot finanziert sich durch Spenden. "Flugkraft" beschäftigt mehr als 100 ehrenamtliche Mitarbeiter und zwei Teilzeit-Angestellte. Betroffene jeden Alters aus dem gesamten Bundesgebiet können sich melden, der Schwerpunkt liegt jedoch in Norddeutschland. Zurzeit begleitet "Flugkfraft" 62 Familien. Weitere Infos unter http://flugkraft.com und https://www.facebook.com/flugkraft/