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Kopfkarussell Ich habe keine Lust mehr, die starke Frau zu sein

Starke Frau
© Pablo Calvog / Shutterstock
Die starke Frau ist das Idealbild der Female-Empowerment-Bewegung. Reicht jetzt auch mal, findet unsere Autorin. Und sehnt sich nach Schwäche.

In das Rollenbild der starken Frau bin ich buchstäblich hineingeboren worden. Meine Mutter ist alleine vom Land in die Stadt gezogen, hat sich von Kirche und Dorfleben emanzipiert und Karriere gemacht. Letzteres tat sie auch noch, als ich auf die Welt kam. Mein Vater blieb zu Hause, für damals eine fortschrittliche, für mich ganz normale Lösung. Meine Mama war die Powerfrau. Ist sie heute noch.

Auf dem Weg ins Erwachsenenleben begegneten mir immer mehr starke Frauen. Meine Grundschullehrerin, die nach einem Unfall mit Gehbehinderung und halbblind ihren Schüler:innen noch immer humorvoll ihr Glasauge zeigte. Meine Großcousine, unsere Nachbarin, die beste Schulfreundin. Mit Eintritt in die Medienwelt haben sich die Vorbilder gewandelt.

Starke Vorbilder

Da waren die Frauen, die ein Unternehmen gegründet haben. Die Frauen, die seit Jahren Tag und Nacht für ihre und die Rechte anderer kämpften. Die Frauen, die nach einem Verlust erst ihre wahre Stärke entdeckten und Bücher darüber schrieben. Und die, die das Leben als Single-Frau propagierten und zeigten, dass man keine:n Partner:in braucht, um glücklich zu sein – schon gar nicht einen reichen Mann. 

Ich bewundere all diese Frauen auch heute. Der Punkt ist: Ich habe keine Lust mehr, diese starke Frau zu sein.

Starke Frauen sind, na ja, stark. Sie sind selbstständig, erfolgreich, kämpferisch. Sie fallen hin, stehen vor allem wieder auf. Und wir feiern sie dafür. Ist doch toll. Oder?

Wir sehen den Phoenix, ich sehne mich aber nach dem Brand.

Das alles klingt so unglaublich hart. Und anstrengend. Und voller Druck für die, die sich gerade so gar nicht stark fühlen. Je mehr starken Frauen ich begegnet bin, je mehr ich interviewt habe, desto mehr habe ich eine Veränderung in meinem Aufmerksamkeitsradius beobachtet. Ich hatte genug Geschichten gelesen und geschrieben von Frauen, die wieder aufgestanden sind. Ich wollte die sehen, die noch fallen. Und die dabei gar nicht wussten, wie stark sie eigentlich auf mich wirkten.

Denn ja, die Stehauffrauen unserer Gesellschaft sind es, die uns den Mut geben, weiterzumachen, die uns inspirieren und aufzeigen, was alles möglich ist. Um unter ihrem Druck, etwas "schaffen" zu müssen, um eine starke Frau zu sein, nicht zu versinken, brauche ich aber die Schwachen unter uns. Die, die mir in Erinnerung rufen, dass zu Stärke eben auch Schwäche gehört. Wie Yin und Yang.

In all der Feierei der starken Frau haben wir Stärke mit Härte verwechselt. Wir haben gelernt, eine "Da-muss-man-eben-durch"-Mentalität zu entwickeln, um uns stark zu fühlen. Immer positiv zu bleiben, immer daran zu denken, dass wir jeden Rückschlag in einen Fortschritt verwandeln können. Dabei manchmal aber auch verlernt, im Moment zu leben. Danach zu leben, wonach wir uns jetzt gerade fühlen, nicht woran wir gerade möglicherweise wachsen könnten. Nicht aus jeder Tragödie müssen wir ein Buch schreiben. Und nicht jeden Schicksalsschlag feiern, nein, manchmal ist er einfach nur Mist. Das auszusprechen, finde ich mutig.

Ich finde schwache Frauen ziemlich stark.

Viele starke Frauen, die wir bewundern, haben mit Sicherheit ebenfalls eine schwere Zeit hinter sich. Wir sehen sie jedoch oft erst, wenn diese überwunden ist, sehen, was aus ihnen geworden ist, sprechen von Phoenixen, aber selten von Asche. Ich sehne mich aber nach dem Brand. Dem Unperfekten, dem Fiesen, Hässlichen, dem Verletzlichen, dem lodernden Feuer, das nicht nur Zuversicht, sondern auch Zweifel in sich trägt.

Denn die Schwäche ist es, die uns das Gefühl gibt, im selben Boot zu sitzen. Die uns ein Gefühl von Zusammenhalt vermittelt. Die uns zeigt, dass wir den Brand nicht alleine löschen müssen. Die uns normal macht. Ich finde schwache Frauen ziemlich stark.

Brigitte

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