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Kinderehe "Ich habe mich aus einer Hölle befreit"

Irina Badavi wurde mit 16 Jahren in Deutschland zwangsverheiratet. Nach einem achtjährigen Martyrium hat sie sich aus ihrem Gefängnis befreit - und ermutigt nun andere Frauen mit ihrer Geschichte, denselben Schritt zu tun.
Irina Badavi
Aus Angst vor ihrem Mann hat Irina Badavi ihr Buch unter einem Pseudonym veröffentlicht. Auf Fotos zeigt sie sich nur verfremdet und mit Sonnenbrille.
© Susanne Feyll

Die Jesidin Irina Badavi wächst in Georgien auf und kommt mit 16 Jahren nach Deutschland. Wenig später wird sie mit einem Mann verheiratet, der sie acht Jahre lang schlägt, vergewaltigt und demütigt. Aus eigener Kraft schafft sie es, sich zu befreien und mit ihren beiden Kindern in ein Frauenhaus zu fliehen.

Heute ist sie selbst Vorstandsvorsitzende eines Frauenhauses und arbeitet als Traumaberaterin und in der Flüchtlingsarbeit. Gemeinsam mit der Autorin Angela Kandt hat sie nun ein Buch über ihr Schicksal geschrieben: „Wenn der Pfau weint: Wie ich mich als Jesidin aus der Gewalt einer Parallelgesellschaft in Deutschland befreien konnte.“

BRIGITTE.de: Sie beschreiben Jesiden als archaische Clans, die ihre Frauen versklaven. Die Mädchen werden von ihren Vätern an wildfremde Männer verschachert, sie haben keinerlei Rechte. Ist das die Normalität?

Irina Badavi: Nein. Es gibt auch Jesiden, die liberal und weltoffen sind. Aber in meiner Familie und in meiner angeheirateten Familie ist das oft passiert. Das Patriarchat wird bei den Jesiden leider immer noch großgeschrieben.

1996 kamen Sie mit Ihrer Familie nach Deutschland, da waren Sie 16 und hofften auf ein freieres Leben. Doch Ihr Vater, der „Dämon“, machte Ihnen einen Strich durch die Rechnung … 

Ja, und dabei war er sehr effektiv. Er hat aufgepasst, dass meine Schwester und ich „nicht auf die schiefe Bahn geraten“, wie er sagte. Damit meinte er Bildung, Freunde, Entjungferung. Er hat uns mit aller Gewalt in seinem Korsett gehalten und wollte uns mit Männern verheiraten, die genauso waren wie er.

Sie durften kein Deutsch lernen, Ihr Vater verweigerte jegliche Integration: „Die sind für sich, und wir sind für uns“, pflegte er zu sagen. 

Wir haben damals ja Unterstützung bekommen, doch mein Vater hat sich massiv gegen alle Angebote gewehrt. Und die Sozialarbeiter, die zu uns nach Hause kamen, haben es darauf beruhen lassen, und so konnten wir keinen Deutschkurs besuchen. Man sollte genauer hinschauen und zuhören, gerade bei den Frauen. Man muss Migranten das Gefühl geben: Ihr dürft eure Kultur ausüben, aber es gibt auch das Grundgesetz und andere Gesetze, an die ihr euch halten müsst. Und man muss Sprach- und Integrationskurse verpflichtend machen und die Frauen über ihre Rechte aufklären. Ich selbst lasse bei meiner Arbeit nicht locker: Ich beharre darauf, dass die Leute die Kurse besuchen. Und wenn die Männer sagen, wir wollen nicht, dass unsere Frauen mit fremden Männern zusammen lernen, organisieren wir eben separate Kurse, und schon funktioniert die Ausrede nicht mehr. Ich bestehe darauf: Ihr Kind kommt in die Kita und muss Deutsch lernen. Ich mache Druck, da bin ich schmerzfrei.

Schon bald verheiratet Ihr Vater Sie. Einer der vielen schlimmen Momente im Buch ist die Hochzeitsnacht, als die Verwandten kommen, um sich das blutige Laken anzusehen, den Beweis Ihrer Jungfräulichkeit – kurz, nachdem Sie oben im Schlafzimmer brutal vergewaltigt wurden und alle das wissen mussten. „Wie ein Stück Vieh hatte er mich erlegt und brüstete sich mit dem Beweis seiner Kraft vor seiner Mutter“, schreiben Sie. Gibt es gar keine Solidarität unter den Frauen?

Nein. Es geht um die Ehre der Familie. Und die Familie ist hochgeehrt, wenn der Mann eine Jungfrau nach Hause bringt. Alle sind stolz, und das Laken wird ungewaschen aufbewahrt. Meine Mutter hat sich auch nie gewehrt, durch die Schläge meines Vaters ist sie eine gebrochene Frau. Sie sagt: „Es ist so und es bleibt so. Soll ich aus der Reihe tanzen?“ Sie stand nie hinter mir, stattdessen klagt sie mich an: „Du bist die Ausreißerin, du bist allein. Denkst du, ein Jeside wird deine Tochter heiraten?“ Aber das will ich ja gar nicht! Ich verurteile meine Mutter und meine Schwiegermutter dafür. Wenn meine Schwiegermutter mitbekam, dass ihr Sohn mich schlug, sagte sie nur zu mir: „Was provozierst du ihn auch?“

Die Männer in Ihrem Buch prügeln ihre Frauen krankenhausreif, oft ist der Suizid ihr einziger Ausweg. Auch Sie wollen sich umbringen, und Ihr Sohn kommt mit Schäden auf die Welt, weil Ihr Mann Sie hochschwanger brutal geschlagen hat. Wie haben Sie das ausgehalten?

Ich bin fast verrückt geworden. Ich war total gereizt, ein Nervenbündel, ich wusste gar nicht, was Entspannung ist, ich konnte nicht schlafen. Jede Bewegung hat mich nervös gemacht, ich bekam fast Wahnvorstellungen. Ich wurde krank und dick, war völlig am Ende.

Trotzdem erwacht in Ihnen der Widerstand. Sie lernen heimlich Deutsch und nehmen die Pille, besorgen sich ein Konto, entziehen sich zunehmend der Kontrolle Ihres Mannes. Woher kam der Mut?

Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Ich wusste, er wird mich schlagen und beschimpfen, egal, was ich tue. Ich liebe meine Kinder so sehr und hatte mir geschworen, dass sie liebevoll aufwachsen sollen. Als mein Sohn Logopädie brauchte, spürte ich, wie abhängig ich von meinem Mann bin. Ich konnte nichts ohne ihn tun, weil ich kein Deutsch konnte. Das musste sich ändern!

Haben Ihnen die Kinder das Leben gerettet?

Ja! Am Tag X, als ich beschloss, zu gehen, wusste ich, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Ich muss weg oder wir werden sterben. Mein Mann drückte mir das Messer an den Hals, aber das Schlimmste waren seine Augen, so teuflisch, so dämonisch, und ich spürte: Eine falsche Bewegung oder ein falsches Wort, und er wird mich umbringen. Ich überlegte, mich mit den Kindern vor den Zug zu werfen. Doch dann war der Gedanke da: Warum habe ich diese Kinder auf die Welt gebracht – um ihnen das Leben zu nehmen? Nein! Dank meiner Kinder lebe ich, es ist so.

Sie flüchten in ein Frauenhaus und haben panische Angst, dass Ihr Mann Sie findet. Schließlich spürt er Sie tatsächlich auf ... warum bleiben Sie trotzdem dort?

Es war für mich unvorstellbar, diesen Ort zu verlassen. Wegen Margarete, meiner Betreuerin im Frauenhaus. Sie hat mir beigebracht, dass man nicht aufgeben darf, sie hat mich gestärkt und ich habe ihr vertraut. Es war das erste Mal, dass mir jemand zugehört und mir geglaubt hat. Und die Kinder haben dort angefangen zu lachen, sie waren das erste Mal fröhlich, sie gingen in eine tolle Kita und in eine tolle Schule und hatten ihre ersten Freunde.

2005 beginnt der Sorgerechts-Prozess. Ihr Mann versucht, Sie in der Verhandlungspause aus dem Fenster und auf dem Bahnhof vor den Zug zu stoßen. Er versucht, Ihre Tochter zu entführen und ist trotzdem auf freiem Fuß. Haben Sie immer noch Angst vor ihm?

Zuletzt, als wieder ein Brief vom Jugendamt kam. Das Gericht hatte meinem Mann eingeräumt, dass er einmal im Jahr anfragen darf, ob die Kinder ihn sehen wollen, dazu müssen sie sich dann äußern. Ich fing wieder an zu zittern und dachte: „Du Mistkerl, welche Macht du immer noch über mich hast!“

Fühlen Sie sich trotzdem frei?

Ich fühle mich frei, wenn ich sehe, wie glücklich meine Kinder sind, dass ich einen tollen Beruf und Freunde habe - nachdem ich jahrelang in einem Käfig voller Gewalt gelebt habe. Doch das Misstrauen bleibt. Er hat zu mir gesagt: „Dein Kopf wird eines Tages in meinen Händen sein.“ Sein Sohn ist alles für ihn, er ist das Einzige, was er hinbekommen hat - und das habe ich ihm genommen.

Warum haben Sie jetzt ein Buch über Ihr Leben geschrieben?
 Weil ich zeigen will: So etwas gibt es, und es darf nicht bagatellisiert werden. Und ich will deutlich machen, wie wichtig die Arbeit der Frauenhäuser ist. Es sind übrigens nicht nur Jesidinnen betroffen, die Frauenhäuser sind auch voll mit deutschen Frauen. Ich will den Frauen sagen, dass man nicht lebenslang Opfer bleiben muss und dass man ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Ich will ihnen sagen: Nehmt die Hilfe an! Haltet durch!

Info: Jesiden sind eine religiöse Minderheit, die vorwiegend aus dem nördlichen Irak, Nordsyrien und dem Südosten der Türkei stammt. Durch Vertreibung und Verfolgung sind Jesiden auch in anderen Ländern verbreitet. Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, die Mitgliedschaft ergibt sich ausschließlich durch die Geburt. Im Zentrum des jesidischen Glaubens steht der „Engel Pfau.“ Seit 2014 werden Jesiden auch durch den „Islamischen Staat“ verfolgt.

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