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Kinderarbeit gibts in Deutschland nicht? Oh doch: So viele Kinder arbeiten für Klicks und Familie

Kind mit Kamera
© sergo321 / Adobe Stock
Einem aktuellen Bericht des Hilfswerk "Terre des hommes" zufolge arbeiten Kinder in Deutschland häufiger unter schädlichen Bedingungen als bislang bekannt. Vor allem im familiären Raum, in der Pflege, dem Betrieb der Eltern – aber auch als Werbemittel für Social Media.

In Deutschland arbeiten nach Einschätzung der Kinder-Hilfsorganisation "Terre des hommes" mehr Kinder und Jugendliche unter schädlichen Bedingungen als bislang bekannt. Dies zeigt die kürzlich veröffentlichte Studie "Kinderarbeit? In Deutschland?". Unter schädlichen Bedingungen verstehe das Hilfswerk laut Vorstandssprecher Joshua Hofert, Umstände, die "die Entwicklung, Gesundheit, Sicherheit und Bildung beeinträchtigen".

Dunkelziffer vermutlich sehr hoch

Aus einer nicht repräsentativen Befragung von 37 arbeitenden Kindern und Jugendlichen aus diversen sozialen Schichten in Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ergaben sich 14 Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen, die eindeutig gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz verstießen. Dazu zählen unter anderem zu lange Arbeitszeiten, Alkoholausschank, Security-Tätigkeiten oder der Umgang mit gefährlichen Werkzeugen wie etwa großen Landmaschinen. Auch das Mindestalter von 13 Jahren wurde vielfach unterschritten. Dabei melden die zuständigen Aufsichtsbehörden pro Jahr lediglich 60 Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz. "Angesichts von über 14 Millionen Minderjährigen in Deutschland ist das eine verschwindend geringe Zahl. Sie verweist auf eine große Dunkelziffer", so Hofert.

Kinderarbeit meist im familiären Bereich

Die meisten dieser Verstöße geschehen dem Hilfswerk zufolge innerhalb der Familie oder in Familienbetrieben: zu Hause, in Gaststätten, landwirtschaftlichen Betrieben, auf dem Bau und bei der Gebäudereinigung. Keine dieser Tätigkeiten war einem Jugendamt oder der Gewerbeaufsicht bekannt.

Problematisch dabei: "Wichtige Akteure wie Schulen, Kinderärzt:innen oder Jugendämter erkennen die Risiken für Kinder nicht. Die Jugendhilfe und die Gewerbeaufsichtsämter arbeiten nicht systematisch zusammen", sagt der Vorsitzende des Hilfswerks Hofert.

480.000 Kinder und Jugendliche pflegen Angehörige

Das Bundesfamilienministerium schätzt zudem, dass rund 480.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland nahe Angehörige pflegen, die chronisch körperlich oder psychisch krank sind oder eine Behinderung haben. Die sogenannten Young Carers nehmen sich dabei einer Studie der Universität Witten-Herdecke zufolge meist selbst nicht als pflegende Angehörige wahr. Sich um Familienmitglieder zu kümmern, die ihre Hilfe benötigen, ist für sie selbstverständlich. Dennoch sind sie dabei häufig überfordert. Solche Belastungen können dabei außerdem negative Folgen für die mentale Gesundheit, aber auch das soziale und schulische Leben und damit einhergehend die Zukunftschancen der jungen Pflegenden haben.

Kinderarbeit für Klicks

Eine neue Form der Kinderarbeit innerhalb der Familie sei die Mitwirkung von Kindern in digitalen Kanälen sogenannter Familieninfluencer:innen, die ihre Kinder für Werbezwecke, Klicks und Reichweite nutzen, um Geld zu verdienen. Umso kleiner das Kind, desto größer ist in der Regel die Resonanz. Was für das Millionenpublikum auf Instagram, TikTok und Co wie normaler Alltag erscheinen soll, ist für die Kinder in der Regel harte Arbeit. Stillsitzen, posen, lächeln – und das so lange, bis das Foto oder das Video perfekt ist. 

Für Unternehmen ein lukratives Geschäft. Die Kinder hingegen sind ungeschützt verschiedenen Risiken ausgesetzt. So wird nicht nur ihre Privatsphäre missachtet, auch ihr Zuhause ist kein sicherer Raum. Denn meist kann schnell und einfach rausgefunden werden, wo die Kinder wohnen. Ihre Namen sind bekannt, genauso wie ihr Lieblingsessen und das Kuscheltier, mit dem sie abends einschlafen.

Hier sehen wir auch Unternehmen in der Pflicht, keine Werbung in Kanälen zu schalten, in denen Kinder solchen Risiken ausgesetzt sind.

Sowohl deren aufwachsen, als auch deren Gesundheitsverlauf, Toilettengänge und Schlafroutinen sind oftmals bis ins Detail im Netz nachvollziehbar, das Familienleben durchgehend inszeniert. Es bestehe daher nicht nur eine Gefahr für die Sicherheit der Kinder, sondern auch für deren Gesundheit, sowie Bindungs- und Entwicklungsstörungen. 

Behörden und Unternehmen in der Pflicht zu handeln

"Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention ist das Wohl eines Kindes vorrangig zu berücksichtigen. Dies ist hier nicht der Fall. Das Jugendarbeitsschutzgesetz erlaubt keine Tätigkeiten für Kinder unter drei Jahren. Deshalb appellieren wir an die zuständigen Behörden, die Einbeziehung von Babys und Kleinkindern in digitalen Kanälen kommerziell arbeitender Familieninfluencer:innen umgehend zu stoppen. Auch Beiträge, die die Privatsphäre älterer Kinder verletzen oder ihre persönliche Sicherheit gefährden, sollten beendet werden. Hier sehen wir auch Unternehmen in der Pflicht, keine Werbung in Kanälen zu schalten, in denen Kinder solchen Risiken ausgesetzt sind", so Joshua Hofert.

Quellen: Terres des Hommes, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

jba Brigitte

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