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Kenia: Konflikt zwischen den Volksstämmen

Wochenlang beherrschten die brutalen Ausschreitungen im Urlaubsparadies Kenia die Medien. Auslöser war die Präsidentschaftswahl Ende Dezember: Der amtierende Staatschef Kibaki hatte sich zum Sieger erklärt - und damit den Willen des Volkes ignoriert, das sich größtenteils für einen Machtwechsel ausgesprochen hatte. Doch was auf den ersten Blick wie ein politischer Konflikt anmutet, ist in Wirklichkeit eine tiefgreifende Stammesfehde: In dem Land leben über 40 verschiedene Volksstämme. Kibaki gehört zu den Kikuyu, dem größten Stamm in Kenia; sein Herausforderer Odinga steht den Luo und Kalenjin nahe.
Die Massai: Einer der vielen Volksstämme in Kenia.
Die Massai: Einer der vielen Volksstämme in Kenia.
© Pixelio

Die Ausschreitungen: Was ist passiert?

Am 30. Dezember 2007 fand in Kenia die Präsidentschaftswahl statt. Als Kandidaten traten der amtierende Staatspräsident Mwai Kibaki und sein Herausforderer Raila Odinga an. Bereits im Vorfeld der Wahl geriet Kibaki in die Kritik: Er bestimmte, wer Mitglied in der Wahlkommission wurde - und damit wer über den Ablauf der Wahl wacht. Unmittelbar nach Verkündung des Wahlergebnisses, erklärte sich Kibaki zum Sieger. Ein fragwürdiger Schritt, denn EU-Wahlbeobachter verwiesen auf Unregelmäßigkeiten bei der Wahl - sowohl auf Seiten der Regierung als auch der Opposition. So betrug die Wahlbeteiligung in einem Wahlkreis etwa 115 Prozent, andernorts verschwanden ausgefüllte Wahlzettel. Nachdem Kibaki eine Nachrichtensperre verhängt und Odinga ihm Wahlmanipulation vorgeworfen hatte, gingen die Anhänger beider Lager auf die Straße. Schnell entbrannte ein heftiger Konflikt zwischen Kibakis Stamm den Kikuyu einerseits und Odingas Luo und den Kalenjin andererseits. Die Kibaki nahestehende Polizei schlug die Proteste gewaltsam nieder. Insgesamt kamen bei den Ausschreitungen bisher etwa 1000 Menschen ums Leben, 500.000 Menschen flüchteten. Die Regierung wird verdächtigt, politische Gegner gezielt zu töten. Kenias Wirtschaft steht mittlerweile am Rande des Kollapses; Odinga hat zum Wirtschaftsboykott aufgerufen.

Lest auf der nächsten Seite, wer die Kontrahenten sind.

Die Kontrahenten

Kenia: Konflikt zwischen den Volksstämmen
© Party of National Unity (www.pnuparty.com)

Mwai Kibaki: Mwai Kibaki ist seit 2002 Staatspräsident Kenias. In den sechziger Jahren trat er der kenianischen Einheitspartei KANU bei, die 1963 - dem Jahr der Unabhängigkeit Kenias von der britischen Kolonialherrschaft - an die Macht kam. Nach Einführung des Mehrparteiensystems gründete er 1991 die Democratic Party. Im Gegensatz zu seinen beiden autoritären Amtsvorgängern Jomo Kenyatta und Daniel arap Moi verfolgte Kibaki zunächst eine "Politik der langen Leine": Er wollte eine kostenlose Grundschulbildung einführen und die Armut und Korruption im Land bekämpfen. Doch die Hoffnung, die die Bevölkerung in ihren Präsidenten gesetzt hatte, wurde enttäuscht: Kibaki hielt seine Versprechen nicht. Im Gegenteil: Er bereicherte sich selbst durch Korruption und erhöhte die Gehälter seiner Abgeordneten, während sein Volk Hunger litt. Außerdem versuchte er durch eine Verfassungsreform, seine Machtposition weiter auszubauen. Ein ursprünglich geplantes Premierministeramt nach britischem Vorbild umging er stets geschickt: Es hätte seine Macht zu stark eingeschränkt. Ranghohe Positionen besetzte er mit seinen Kikuyu-Stammesgenossen, die ohnehin Politik und Wirtschaft im Land dominieren und in der Geschichte Kenias stets übervorteilt wurden: So bekamen sie vom ersten Staatspräsidenten Kenyatta günstiges fruchtbares Land zugeteilt und kamen in den Genuss zahlreicher Privilegien wie Bildung und Reichtum. Dies schürte die Wut der Luo und Kalenjin, die nun zum Ausbruch kommt - ein Grund, weshalb ein schnelles Ende der Unruhen, auch bei einer politischen Lösung, eher unwahrscheinlich ist.

Oppositionsführer Raila Odinga (rechts) und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.
Oppositionsführer Raila Odinga (rechts) und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.
© UN Photo / Eskinder Debebe

Raila Odinga: Raila Odinga gehört der Partei "Orange Democratic Movement" an und ist der Sohn des ersten Vizepräsidenten Kenias. Ihm wird oft eine Nähe zum kommunistischen Lager nachgesagt, obwohl er mittlerweile ein reicher Unternehmer ist, der nach eigenen Angaben voll hinter der Marktwirtschaft steht. Sein Studium hat der 62-Jährige in der DDR absolviert. Generell gilt Odinga als wankelmütig: Sechs Mal wechselte er die Partei. Dass der ehemalige Staatspräsident Moi ihn wegen eines angeblichen Putschversuchs verhaften ließ, hinderte Odinga nicht daran, 2001 ein Parteienbündnis mit Moi einzugehen. Für welche politischen Ziele Odinga steht, ist ungewiss. Fakt ist, dass der begnadete Redner vor allem der armen Bevölkerung versprochen hat, mehr für sie zu tun. Experten halten es jedoch auch für möglich, dass Odinga - einmal gewählt - diktatorische Züge annehmen könnte. Odinga gehört dem Stamm der Luo an und wird von den Kalenjin unterstützt, die zusammen 25 Prozent der Bevölkerung stellen und in den letzten Wochen äußerst brutal gegen die Kikuyu vorgegangen sind. Zwischen Odinga und Kibaki schwelt ein alter Streit: So hatte Kibaki 2002 seinem ehemaligen Bündnispartner versprochen, ihn im Falle eines Wahlsieges als starken Premierminister einzusetzen. Kibaki verhinderte jedoch die Einführung eines solchen Amtes und Odinga ging leer aus.

Lest auf der nächsten Seite etwas zum politischen System Kenias und wie es im Konflikt weitergehen soll.

Kenia: Politisches System und geschichtlicher Hintergrund

Kenia war früher eine Kronkolonie von Großbritannien und ist seit 1963 unabhängig. In dem ehemaligen Einparteienstaat wurde 1992 unter westlichem Druck ein Mehrparteiensystem eingeführt. Zwar gilt Kenia heute als eines der demokratischsten Länder Afrikas, dennoch gibt es dort noch immer Korruption und extreme Armut (60 Prozent der Einwohner Nairobis leben in Slums). Das Parteiensystem ist instabil: Politiker wechseln schnell die Ämter und Gesinnungen. Außerdem vereinigt der Staatspräsident die gesamte Macht in einer Hand - ein Grund, weshalb Kibaki und seine Vorgänger durchaus auch die Medien und staatlichen Institutionen kontrollieren konnten. Die kenianische Gesellschaft ist in über 40 verschiedene Stämme aufgeteilt, denen eine entscheidende Bedeutung im Land zukommt.

Wie geht es weiter?

Der EX-UN-Generalsekretär Kofi Annan vermittelt in dem Konflikt.
Der EX-UN-Generalsekretär Kofi Annan vermittelt in dem Konflikt.
© UN Photo / Paulo Filgueiras

Mittlerweile haben sich die UNO und deren ehemaliger Generalsekretär Kofi Annan eingeschaltet. Letzte Woche gab es bereits Gespräche zwischen Regierung und Opposition, die diese Woche in Nairobi fortgesetzt werden. Das von Kibaki verhängte Verbot für Live-Berichterstattungen wurde wieder aufgehoben; Demonstrationen sind jedoch nach wie vor nicht erlaubt. Annans Friedensplan sieht sowohl kurzfristige Schritte (Herstellung der Menschenrechte, Stopp der Gewalt) als auch langfristige Ziele vor, wie die Bekämpfung der Armut. Außerdem steht zur Debatte, die Macht zwischen Kibaki und Odinga zu teilen (etwa mit einem neu zu schaffenden Premierministeramt). Experten bezweifeln, dass Neuwahlen eine Lösung sind: Dann würde vermutlich die Gewalt im Land erneut ausbrechen.

Lest auf der nächsten Seite ein Interview mit Laura Barth, die lange Zeit in Kenia gelebt hat.

Interview mit Laura Barth

Laura Barth hat gemeinsam mit ihrem Mann drei Jahre in Kenia gelebt und als Lehrerin an einer deutschen Schule in der Hauptstadt Nairobi gearbeitet. Im BYM.de-Interview erzählt uns die 34-Jährige wie sie das Land erlebt hat und an welche Regeln sich ausländische Touristen in Kenia unbedingt halten müssen.

Kenia: Konflikt zwischen den Volksstämmen
© Privat

BYM.de: Durch Filme wie "Jenseits von Afrika" haben wir ein sehr romantisches Bild von Kenia: Das Land galt lange Zeit als Urlaubsparadies. Jetzt sind viele von den brutalen Unruhen im Land überrascht. Du auch?

Laura: Ich bin auf jeden Fall überrascht, dass die Situation dort so eskaliert ist. Ich muss aber auch sagen: Es gibt in Kenia im Nachhinein betrachtet Potenzial für Gewalt. Wir haben uns auch damals manchmal unsicher gefühlt und immer wieder von Überfällen gehört. Uns ist allerdings nie was passiert, wahrscheinlich auch dadurch weil wir uns an gewisse ungeschriebene Regeln gehalten haben.

BYM.de: Welche Regeln waren das?

Laura: Man braucht in Kenia unbedingt einen Wachdienst vor dem Haus. Außerdem sollte man abends nicht mehr überall in der Stadt unterwegs sein, immer ein Handy dabei haben und bestimmte Gebiete meiden. Dazu zählen die Slums in Nairobi, wo jetzt auch viele gewalttätige Demonstrationen sind, und zum Beispiel die Küstenstrecke von Malindi nach Lamu, ein bekannter Ferienort oder die Nähe zur somalischen Grenze. Generell gilt: Unbedarfte Touristen, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort unterwegs sind, sind ein besonders beliebtes Opfer. Weiße sind in Kenia

das

Symbol für Reichtum.

BYM.de: Welche Rolle spielen die einzelnen Stämme in Kenia?

Laura: Es gibt über 40 verschiedene Stämme, die sich außer durch ihre Stammessprache von Außenstehenden kaum unterscheiden ließen; mit Ausnahme der allen Touristen bekannten Masai-Krieger. Wir lernten Kenianer aus vielen verschiedenen Stämmen kennen, die friedlich zusammen arbeiteten und lebten. Mit der jetzigen Krise scheinen sich aber gerade die unterschwelligen Unterschiede bemerkbar zu machen. Ich glaube, dass sich die Konflikte zwischen den Stämmen in Zukunft noch weiter verschärfen können.

Laura in Kenia
Laura in Kenia
© Privat

BYM.de: Welchen Ruf hat Staatspräsident Kibaki im Land?

Laura: Die Bevölkerung hat sich viel von Kibaki versprochen. Er ist mit dem Ziel angetreten, die Korruption im Land zu bekämpfen und eine kostenlose Grundschulbildung für alle durchzusetzen. Er hatte viele Pläne und letztendlich wenig davon umgesetzt. Korruption ist nach wie vor ein großes Problem im Land: Die alten Regierungen werden auch nach einem Machtwechsel nie ganz ausgetauscht, und die Polizei ist bestechlich. Ich glaube auch, dass Kibaki eher eine Marionette ist und von seinen alteingesessenen Beratern geführt ist. Er selbst ist sehr krank und tritt selten öffentlich auf.

BYM.de: Wie hast du die Kenianer kennen gelernt?

Laura: Wir haben dort viele Freundschaften geschlossen. Die Kenianer sind sehr offen und herzlich, und wir wurden oft eingeladen. Von den Gästen wird dann allerdings auch erwartet, dass sie kleine Geschenke mitbringen (lacht).

BYM.de: Wie erleben deine Freunde in Kenia die Unruhen?</frage Laura: Sie sind alle sehr angespannt und sprechen von "Horrormeldungen". Sie hoffen natürlich, dass sich die Lage nicht noch weiter verschlimmert. Bis jetzt spricht keiner meiner Freunde davon zurückzukommen, aber es schwebt bei einigen vielleicht doch in der Luft. <frage name = "BYM.de">Was glaubst du, wie es in Kenia weitergehen wird?

Laura: Ich bin schon skeptisch, dass es wieder so wird, wie es mal war. Die Unruhen haben Probleme im Land freigesetzt, die die Regierung früher im Griff hatte: Alte Stammesfehden zum Beispiel oder der große Graben zwischen Arm und Reich. Im Moment erinnert mich das Land an ein Pulverfass, das jeden Moment explodieren könnte.

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