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Katrin Göring-Eckardt: "Glaube hilft durch die Krise"

Seit Samstag ist Katrin Göring-Eckardt Chefin des evangelischen Kirchenparlaments. BRIGITTE-Redakteurin Claudia Kirsch sprach mit der grünen Politikerin über Glauben und Religion.

BRIGITTE.de: Ich bekenne: Mir persönlich ist jede Art von Glauben völlig fremd. Warum sollte es einen Gott geben, der sich für unser individuelles Handeln interessiert?

Katrin Göring-Eckardt: Ich finde es im Gegenteil völlig logisch, dass da noch was sein muss: Es gibt Dinge, die wir nicht sehen, Zusammenhänge, die wir nicht begreifen, und doch sind sie da. Und es gibt Wunder. Damit meine ich jetzt gar nicht weinende Madonnen oder Wunderheilungen. Ich meine diese besonderen Momente, in denen etwas Unerwartetes geschieht, etwas, das keiner Logik folgt. Wir begegnen zum Beispiel einem Menschen hundert Mal und beim 101. Mal wird genau dieser Mensch total wichtig für uns. Klar, man kann versuchen, das alles zu begründen, man kann auch den eigenen Lebensweg als logische Abfolge sehen. Aber das erklärt nicht die Zusammenhänge. In meinem Leben gab es so viel, wozu weder ich noch die Umstände beigetragen haben, da muss es noch etwas anderes gegeben haben...

BRIGITTE.de: Zum Beispiel?

Katrin Göring-Eckardt: Meine Mutter starb, als ich 18 war. Das war für mich eine schreckliche Katastrophe. Sie fehlt mir bis heute. Und trotzdem glaube ich, dass ich durch den Tod meiner Mutter eine Entwicklung genommen habe, die ich sonst so nicht gemacht hätte. Ich musste sehr früh selbst entscheiden, musste mich durchkämpfen. Ich meine das nicht eindimensional: Weil meine Mutter früh starb, wurde ich so taff. Aber ich habe ein Gefühl dafür entwickelt, dass ein Verlust auch einen Sinn haben kann. Es ist mehr so eine Ahnung von Zusammen-hängen...

BRIGITTE.de: Stärkt der Glaube an Gott in einer globalen Krise, wie wir sie jetzt gerade erleben?

Katrin Göring-Eckardt: Nicht unmittelbar, aber ich denke, langfristig schon. Auf uns kommen Zeiten zu, in denen wir weniger von vielem haben werden: Weniger Rohstoffe, weniger Geld, wahrscheinlich weniger bezahlte Arbeit. Dazu werden wir die Auswir-kungen der Klimakrise spüren. Wir werden auf manches verzichten müssen - und sollten uns auf Werte verständigen, die ein Leben mit weniger nicht als Verlust empfinden lassen. Dabei können natürlich christliche Werte hilfreich sein.

BRIGITTE.de: Sie haben Theologie studiert, haben sich in der kirchlichen Friedensbewegung engagiert, Ihr Vater war Pfarrer...

Katrin Göring-Eckardt: Nein, mein Vater war Tanzlehrer. Pfarrer, das stand mal in einem Artikel und seitdem taucht es immer wieder auf. Meine Familie war nicht sehr religiös.

Das hatte viel mit der DDR zu tun

BRIGITTE.de: Wie kamen Sie zum Glauben? Gab es ein Erlebnis?

Katrin Göring-Eckardt: Das hatte viel mit der DDR zu tun. Mein Erlebnis war die Erfahrung in der jungen Gemeinde, der kirchlichen Jugendorganisation: Hier konnte ich frei denken, konnte sagen, was ich will, ohne dass mir etwas passierte oder dass meine Eltern einbestellt wurden. Diese Freiheit war für mich als Jugendliche ganz großartig - und sie war an das Christentum gekoppelt.

BRIGITTE.de: Das beschreibt ja eine eher politische Dimension christlicher Werte. Wie steht es denn mit dem Glauben an Gott?

Katrin Göring-Eckardt: Bei allem, was mich gerade umtreibt, beschäftigt, mich wahnsinnig macht oder freut, gibt es immer etwas, was davon unabhängig und höher ist. Das ist ein beruhigendes Gefühl. Klar, ich weiß, es kommt auch auf mich persönlich an. Gerade in meinem Job, da wird ja alles, was man macht, sagt, unterlässt oder verpatzt, auch noch bekannt. Aber trotzdem gibt es immer dieses Netz, das mich auffängt. Manche Freunde sagen, ich hätte auch im größten Stress eine unglaubliche Gelassenheit. Wenn das stimmt, hat das mit dem Glauben zu tun.

BRIGITTE.de: Zweifeln Sie manchmal?

Katrin Göring-Eckardt: Die Zweifel gehören zum Glauben dazu. Ich bin ja Protestantin, das heißt, es gibt keinen Papst, der sagt, wo es lang geht. Darüber bin ich gerade als Frau sehr froh. Was mich bisweilen zweifeln lässt, ist die Frage: Wie ist die Verbindung zwischen Mensch und Gott? Ist sie so eng, dass wir wirklich wissen was wir tun? Wenn ich zweifle, frage ich nicht: Wie konnte Gott das oder jenes zulassen? Mich treibt in kritischen Situationen die Frage nach dem Warum.

BRIGITTE.de: Kann man Glauben lernen?

Katrin Göring-Eckardt: Lernen? Nein! Glauben lässt sich nicht intellektuell erfassen, das sagt ja das Wort schon. Ich denke, es finden nicht nur Menschen zum Glauben, sondern der Glaube sucht sich auch Menschen. Man muss nur offen dafür sein.

Interview: Claudia Kirsch Foto: Pressefoto

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