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Katja Lewina „Überraschung! Frauen wollen auch Orgasmen“

Portrait. Katja Lewina
© PR
Katja Lewina schreibt, wie es ist und räumt in unseren Köpfen auf. Im Interview geht es um weibliche Lust, Sexualität, die Verklemmtheit unserer Eltern, Sexismus in unseren Betten und warum wir alle Feministinnen sein sollten.

Teil 18 unserer Serie #du bist stark: Katja Lewina ist Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrem Mann in offener Ehe in Brandenburg. Beruflich schreibt die Journalistin vor allem über eines: Sex. Im März erschien ihr erstes Buch "Sie hat Bock". Ein Buch, das in jedes Bücherregal gehört und Augen öffnet. Im Gespräch mit Katja geht es um die Unsichtbarkeit unseres Geschlechts, Scham, Orgasmen, unser Selbstverständnis als Frauen, warum sie Vibratoren doof findet und natürlich um Sex. 

BRIGITTE.de: Liebe Katja, dein Buch „Sie hat Bock“ ist ein Appell, offener über Sex und Sexualität zu sprechen. Du selbst hast dich aber dafür entschieden, lieber unter einem Pseudonym zu schreiben. Warum?

Katja Lewina: Alles fing schon vor ein paar Jahren mit der Idee an: Ja, ich teile mein Sexleben jetzt. Bevor der allererste Text von mir veröffentlicht wurde, habe ich aber Muffensausen bekommen. Damals wusste auch noch nicht jeder in meinem Umfeld, dass ich in einer offenen Ehe lebe. Ich hatte daher ganz große Sorgen, dass Verwandte das lesen werden oder zukünftige Arbeitgeber, für die ich mich damit disqualifiziere, wenn ich offen über mein Sexleben schreibe. Die Öffentlichkeit ist einfach ein hartes Pflaster, da brauchte ich nochmal ein kleines Schutzschild. Das war dann allerdings schnell hinüber, weil die Redaktion ein Foto von mir wollte. Und dann war es auch egal. Am Ende hat sich meine Angst als nichtig erwiesen. Jetzt würde ich auch unter meinem Klarnamen schreiben, aber mittlerweile hat sich Katja Lewina einfach etabliert. Und ich bin auch froh immer noch einen kleinen Puffer zwischen mir und der Öffentlichkeit zu haben.

Warum?

Es gibt Menschen, die sehr, sehr ungemütlich werden, vor allem wenn du als Frau etwas öffentlich postulierst, wirst du oft dafür angegriffen. Ich habe nicht mal so viel Angst vor irgendwelchen Hatern, aber es gibt Menschen, die projizieren sehr viel in mich hinein und dann gibt es unglaublich viele Sexkommentare oder Angebote. Ich möchte gerne offen über all diese Dinge reden, aber ich möchte auch meinen Schutzraum haben. 

Wie gehst du mit solchen Männern um?

Für diese Männer ist das natürlich spannend. Aus deren Sicht ist weibliche Sexualität ja eine knappe Ressource und es gibt total wenige Frauen, die sich so exponieren. Diese Männer denken dann, wenn es dann eine macht, dann macht sie es natürlich mit jedem und dann macht sie es auch mit mir. Ich habe aber ehrlich gesagt keine Lust, ständig Typen zu fragen, wie sie darauf kommen, dass ich unbedingt mit ihnen ins Bett möchte? Das ist auch nicht meine Aufgabe. Meistens lösche ich solche Anfragen oder blockiere sie dann. 

Hast du das Gefühl, dass sich in unserer Gesellschaft etwas tut, gerade wenn es um die weibliche Sexualität geht.

Ja, es tut sich total viel, aber noch lange nicht genug. MeToo hat wahnsinnig viel gemacht. Bestimmte Diskurse werden plötzlich in der Öffentlichkeit geführt und männliches Verhalten und Denkmuster hinterfragt, die vorher nie hinterfragt wurden. Man muss gar nicht nur von Vergewaltigung oder sexuellen Übergriffen sprechen, sondern generell: Was ist eigentlich okay? Wo übertritt man Grenzen? Wo kann man achtsamer werden? Darüber machen sich jetzt viel mehr Männer Gedanken. Und auch Frauen – was sie eigentlich wollen, wie viel sie mit sich machen lassen möchten oder wo sie selber aktiv werden können. Trotzdem ist es noch immer nicht Common Sense. Ich habe so viele Zuschriften von Frauen bekommen, die völlig euphorisiert waren und für die das Buch ein Augenöffner war. Auf der anderen Seite gab es aber auch in feministischen Kreisen die Reaktion: „Das haben wir doch alles schon gesagt.“ Es gibt da nach wie vor eine große Schere zwischen Intellektuellen und Aufgeklärten auf der einen Seite und solchen Menschen, für die das böhmische Dörfer sind auf der anderen, und die müssen abgeholt werden. 

In deinem Buch schreibst du über die Unsichtbarkeit der weiblichen Geschlechtsteile. Und tatsächlich fängt es ja schon damit an, dem Ganzen einen Namen zu geben. In der Schule habe ich jedenfalls noch Scheide gelernt…

Ja, Penis und Scheide waren die gängigen Begriffe.

Scheide ist eigentlich ein lustiger Begriff…

Ja, als ob das zwischen unseren Beinen nur ein Loch ist, das darauf wartet mit dem Schwert des Mannes gefüllt zu werden. Die Bezeichnung unserer Geschlechtsteile ist aber ohnehin schwierig. Es gibt einfach kein Wort, dass das komplette Organ umfasst. Selbst Vagina bezeichnet streng genommen nur die Verbindung zwischen unserem äußeren Geschlechtsteil und der Gebärmutter, also dem unsichtbaren Teil. Wenn wir über unser Geschlecht sprechen, meinen wir aber meistens den sichtbaren Teil, also die äußeren und inneren Lippen, die Klitorisperle und den Vaginaleingang. Das ist die Vulva. Aber das Wort benutzt kaum jemand. Stattdessen nehmen wir eine Bezeichnung für etwas Unsichtbares, um etwas Sichtbares zu beschreiben – ein Geschlecht, dass nur in Beziehung zum Penis existiert. 

Eins von vier fünfzehnjährigen Mädchen hat keinen Begriff auf Lager, mit dem es das weibliche Genital benennen könnte – so machen uns Sprachlosigkeit und die Scham, die sie im Gepäck hat, noch heute die Beziehung zu unserem eigenen Körper schwer.

Was bringt ihr euren Kindern bei?

Im Kindergarten haben sie Muschi gelernt, aber mittlerweile haben wir bei ihnen auch Vulva und Vagina etabliert. Mit meiner 12-jährigen Tochter haben wir auch über die Petition gesprochen, bei der es um die Umbenennung der Schamlippen im Duden in Vulvalippen ging. Das ist auch wieder so eine Bezeichnung: Wofür sollen wir uns schämen? Jedenfalls kam sie aus der Schule und hat empört erzählt: „Im Aufklärungsunterricht sagen alle Schamlippen, das ist ja diskriminierend“. Also die Kinder entwickeln dafür auch ein Bewusstsein und tragen das nach außen. Je mehr Kinder von ihrer Vulva reden, desto mehr etabliert sich der korrekte Begriff. Das finde ich einen ganz schönen Gedanken. 

Im Gegensatz zur unserem unsichtbaren Geschlecht, ist der Penis schon in der Kindheit total präsent. Woran liegt das?

Jungs werden meist doch ganz anders erzogen: „Der Penis ist der ganze Stolz eines Mannes.“ Als ich mit meiner Mutter beim Ultraschall war, als sie mit meinem kleinen Bruder schwanger war, hat der Arzt nach dem Geschlecht des Babys geschaut und dann ganz stolz gesagt: „Ja und hier, hier haben wir den Leuchtturm.“ Bei mir hingegen hat nie irgendwo was geleuchtet. Das war immer die Stelle, die man nicht anfasst, die man nicht sieht und die möglichst klein sein soll. Und später kamen diese Gedanken – Habe ich zu große Schamlippen? Darf das so aussehen? Beim Mann wiederum kann der Penis gar nicht groß genug sein. Das sind wahnsinnig unterschiedliche Narrative, die wir ganz früh schon mitbekommen. 

Wie wirkt sich das auf unsere Sexualität aus?

Das spiegelt sich dort natürlich auch. Die männliche Sexualität ist eine raumgreifende. Der Mann soll ganz viel Erfahrung haben, mit möglichst vielen Frauen schlafen, er soll quasi der Stecher sein, der ständig Sex hat. Während die Frau dann als Schlampe gilt. Die soll nämlich möglichst keusch sein. Also ihre Sexualität soll, genau wie ihre Geschlechtsteile, am besten gar nicht so richtig vorkommen.

Macht das nicht Druck auf beiden Seiten?

Absolut! Männer leiden da sicher auch drunter – Was ist, wenn ich keinen hoch bekomme, oder einfach keine Lust habe? Im Grunde ist es der gleiche Druck auf beiden Seiten. Trotzdem haben Männer immer noch mehr Vorteile, einfach, weil sie Männer sind. Frauen sind definitiv mehr sozialer Ächtung ausgesetzt, wenn sie ein ausschweifendes Sexleben haben, als Männer, wenn sie keins haben.

Das ist aber nicht nur eine männliche Sichtweise oder? Slut Shaming ist unter Frauen unglaublich verbreitet. Wie erklärst du dir das?

Der Konkurrenzdruck unter Frauen ist wahnsinnig groß. Ich glaube, wenn jemand von einer anderen Frau als Schlampe abgestempelt wird, geht es ganz viel um Neid. Vielleicht auch, weil vieles selbst nicht gelebt wird. Warum verurteilt man andere? Wahrscheinlich, weil man selber viele ungelebte Sehnsüchte hat. Ein anderer Faktor ist, dass wir uns tausende Jahre im Patriarchat befunden haben und immer auf die Gunst von Männern angewiesen waren, damit wir überleben. Erst seit den 70er Jahren dürfen wir ohne Erlaubnis vom Ehegatten arbeiten und ein eigenes Konto führen. Ohne Mann war man einfach nichts. Und daraus resultierte natürlich ein großer Konkurrenzdruck, wer den besseren Mann bekommt. Es war immer wichtig, bei Männern gut anzukommen, gut auszusehen und es ist ja auch kein Geheimnis, dass eine gute Heirat besser absichert, als immer fleißig arbeiten zu gehen. Das sitzt wahnsinnig tief, das bekommt man nicht so schnell raus. Es ist aber gut, sich das immer wieder zu vergegenwärtigen.

Du schreibst, dass in unseren Köpfen der einzig wahre Sex Penis in Vagina bedeutet. Warum ist das für dich so problematisch?

Sex ist viel mehr als das. Es gibt Sex mit den Händen, Oralsex, mit den Füßen, den Brüsten, mit sich selbst. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Bill Clinton damals gefragt wurde, ob er mit Monica Lewinsky Sex hatte und er sagte „Nein“, weil sie ihm nur einen geblasen hat. Wir schränken uns damit total ein, weil wir denken, es muss immer auf Penis in Vagina hinauslaufen. Und auf der anderen Seite gibt es Missbrauchs-Situationen, wo Oralverkehr natürlich Sex ist, oder auch wenn jemand begrapscht wird. Das sind alles Dinge, die dann am Ende die Rechtsprechung beeinflussen. Warum ist es schlimmer, wenn jemand in die Vagina vergewaltigt wird, als in den Mund? Und warum wiegt es dann nochmal mehr, wenn sie Jungfrau war?

Hat das was mit dem Mythos um den vaginalen Orgasmus zu tun?

Das hängt natürlich auch noch mit daran. Viele denken nach wie vor, dass nur der vaginale Orgasmus der einzig wahre und richtige Orgasmus ist. Der mit der Hand oder dem Mund wird niemals den mit dem Penis gemachten ersetzen. Ein Bild, an dem viele Männer hängen – Also, ich muss es ihr mit meinem Schwanz besorgen, sonst ist es nicht so viel wert. Und die Frauen denken das auch. Wir lernen es ja auch so in der Schule: Sexualität funktioniert penetrativ. Es geht nicht um Lust, sondern um Fortpflanzung. Da vermischt sich vieles, also sowohl die Idee von der Fortpflanzung, als auch die Idee des omnipotenten Penis, der wirklich alles kann und können muss. Deswegen machen sich ja auch viele Frauen Vorwürfe, wenn sie beim Penetrations-Sex nicht kommen können und Männer denken, mit der Frau sei was verkehrt. Sie kann das irgendwie nicht, aber in den Pornos können das doch alle Frauen.

Ist der Porno Schuld daran?

Im Porno hat die Lust der Frau lange nicht so einen großen Stellenwert, wie die des Mannes. Es geht immer darum, wie er befriedigt wird, wo er hinspritzt, wie er sich bewegt und die Frau ist eher passives Beiwerk, die penetriert wird. Und dabei ist es schon fast egal wohin. Der männliche Orgasmus ist ihr ganzes Glück. Weibliche Orgasmen gibt es im Porno eher selten und wenn es sie gibt, kommen sie vom Schwanz. Beim Mann gibt es auch Oralsex oder einen Handjob. Das ist einerseits die Fixierung auf die männliche Lust und andererseits, die omnipräsente Männlichkeit. Der Typ, der immer steht und die Frau, die immer kniet. Oder, dass er sie würgt, ihr einen Klatscher auf den Arsch gibt oder sie seinen Penis bis zum Erbrechen im Hals stecken hat. Das macht ganz viel mit unserem Sexleben und damit, was wir für normalen Sex halten.

Du schreibst auch, dass das vor allem deshalb problematisch ist, weil die Jugendlichen heute damit aufgeklärt werden.

Genau, das ist das Erste, was sie sehen und so glauben sie natürlich auch, dass Sex so abläuft und ablaufen muss. 

Aber bei Sextoys und Hilfsmitteln ist es umgekehrt. Der Markt konzentriert sich fast ausschließlich auf die Frau. Warum ist das so?

Das liegt vor allem daran, dass das weibliche Genital so einen schlechten Ruf hat, genauso wie wir Frauen dafür bekannt sind, Orgasmus-Schwierigkeiten zu haben. Dagegen sollen Vibratoren und Co helfen. Das Problem ist aber schon in unserer Kindheit und Jugend verankert. Während Jungs ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit sich selbst machen und dann erst in den Partnerschafts-Sex gehen, ist es bei Mädchen genau andersherum. Die fassen sich selbst größtenteils überhaupt nicht an und haben ihr erstes Mal, also Petting oder Sex mit einem Jungen. Die wenigsten Mädchen schaffen es, sich selbst soweit zu erkunden, dass sie wissen, was sie tun müssen, damit es cool wird. So bin ich auch aufgewachsen. Ich hätte überhaupt nicht gewusst, was ich mit meinem Kitzler machen soll, wenn mir das mein damaliger Freund nicht gezeigt hätte. Das schlägt sich dann auch in unserer Erwachsenen-Sexualität nieder. Du weißt nicht, was du da machen sollst, oder bekommst es selbst nicht so gut hin. 

Und dann muss ein Vibrator her?

Dann hilft so eine Maschine, die es dir total krass gibt. Dafür muss man nicht mal erregt sein. Innerhalb von 15 Sekunden hast du einen Orgasmus, aber noch nicht mal die Zeit, um feucht zu werden, weil Sextoys so krass stimulieren. Das ist einerseits natürlich total toll für Frauen, die Orgasmus-Schwierigkeiten haben oder überhaupt nicht wissen, was sie machen sollen. Gleichzeitig nimmt es uns aber auch ganz viel von unserer Sexualität, weil dieses sich selbst entdecken und zu gucken, wo und wie gefällt es mir, ist eine ganz andere Nummer, die dann auch in der partnerschaftlichen Sexualität hilft.

Wie können wir das unseren Töchtern leichter machen?

Ja, vor allen Dingen indem wir an uns selbst ganz viel arbeiten. Die Verklemmtheit, mit der wir unseren Kindern begegnen, ist die Verklemmtheit unserer Eltern, die uns dazu erzogen haben, dass das da unten verbotenes Terrain ist, dass wir bloß nicht anfassen oder angucken sollen. Das wird man ja so schnell nicht los. Aber an sich selbst zu registrieren, dass man in manchen Dingen so reagiert und daran arbeiten, geht durchaus. Ich glaube, es ist Übungssache und man kann erreichen, unbefangen mit seinen Kindern über solche Dinge zu sprechen. Es geht dann oft darum, sie selbst in ihrem eigenen Tempo machen zu lassen. Und unsere Aufgabe ist es, sie darin nicht zu bremsen oder zu bewerten, sondern ihre Fragen zu beantworten. 

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Katja!

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