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Furzen, Kacken, Pupsen Nennen wir die Scheiße doch endlich beim Namen

Kiki alias @kikidoyouloveme
Kiki alias @kikidoyouloveme
© PR
Es ist morgens, Kiki postet zusammen mit Welpe Peppa verschlafene Grüße aus ihrem Bett an ihre Follower:innen auf Instagram. Wenig später eine neue Story: "Musste gerade dringend auf Klo – ratet mal, wessen Geschäft daneben gegangen ist!" Kiki geht offen mit ihrer Krankheit um, sie spricht über ihren Reizdarm und alles was dazu gehört – daher ist sie für uns die starke Frau des Monats.

Kiki heißt im richtigen Leben Karina. Die 24-Jährige kommt aus Hamburg und bewegt mit ihrem Instagramkanal @kikidoyouloveme mittlerweile 40.000 Menschen. Sie selbst nennt sich Kackfluencerin – warum? Weil sie über ihren Reizdarm spricht, darüber, wie stark ihre Krämpfe sind, wie sehr ihr der Hintern nach einer "Session" weh tut und dass sie absolut auf Wundheilsalbe schwört, wenn der Durchfall wieder heftig war.

Ein Reizdarm schränkt den Alltag und das Leben erheblich ein

Kiki leidet bereits seit sie 15 ist unter einem Reizdarm – wobei es sich um eine Funktionsstörung des Darms handelt. Typische Symptome sind Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall und Verstopfungen. Erst vor Kurzem konnte durch einen Test festgestellt werden, dass bei Kiki eine Fehlbesiedlung des Dünndarms vorliegt. Studien zufolge ist eine solche Fehlbesiedlung bei Zweidrittel der Betroffenen die Ursache des Reizdarms. Man hat im Prinzip zu viele Bakterien am falschen Platz.

Sie selbst hat sich jahrelang eingeschränkt, war zu sich und zu anderen nicht ehrlich, weil sie über ihre Erkrankung nicht sprechen wollte. Doch irgendwann wendete sich das Blatt. Jetzt spricht sie offen über ihren Reizdarm und freut sich zusammen mit ihren Follower:innen, wenn sie eine Wurst gekackt hat. Sie postet Bilder vom Klo, fragt, wer auch gerade eine Session hat und spricht über Notfallpläne bei langen Autofahrten – sie hat immer Tüten dabei.

Das heißt nicht "Quetschi machen", sondern "kacken"

Sie zeigt klassische Alltagssituationen, die für andere völlig normal, für Reizdarm-Betroffene aber eine große Herausforderung darstellen. Beispielsweise, wenn der Handwerker sich zwischen 9 und 12 Uhr anmeldet, was, wenn man gerade dann auf dem Klo sitzt? Oder das Wasser für eine bestimmte Zeit abgestellt werden muss? Kiki macht sich stark, für die, die es (noch) nicht können, bricht eine Lanze und stellt klar: Das heißt nicht „"Quetschi machen", sondern "kacken".

Und wessen Geschäft ging jetzt daneben? Das von der kleinen Peppa, denn wenn Welpen aufstehen, müssen sie bekanntermaßen erst einmal ihre Blase und häufig auch den Darm entleeren. Bahnt sich eine Reizdarm-Session an, dann ist ein: Ich geh noch mal kurz mit dem Hund vor die Tür, leider nicht mehr drin.

BRIGITTE: Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass mit deinem Magen und Darm etwas nicht stimmt?

Karina: Ich hatte schon immer einen sensiblen Magen-Darmtrakt, wir sind auch irgendwie eine Magen-Familie. Meine Mutter, mein Vater und meine Oma, wir alle haben einen sensiblen Magen. Die ersten Anzeichen meines Reizdarms merkte ich, als ich 15 war und ein Jahr in den USA lebte.

Was waren das für Anzeichen?

In den USA lebte ich in einer Familie, in der ich mich gar nicht wohlgefühlt habe. Ich traute mich damals aber auch nicht was zu sagen. Und da fingen die Symptome langsam an. Es fühlte sich an, als hätte ich was Schlechtes gegessen. Irgendwann traute ich mich dann auch zu sagen, dass ich mich in der Familie einfach nicht wohlfühlte und kam schnell zu einer neuen – und die waren wundervoll. Die Symptome wurden aber trotz der viel besseren Umgebung einfach nicht weniger, sondern eher schlimmer.

Wie kann man sich das vorstellen?

Es ging damit los, dass ich täglich Durchfall und Schmerzen hatte. Ich bin dann in den USA noch von Arzt zu Arzt und habe mich durchchecken lassen.

Wie hat das dein Auslandsjahr beeinflusst?

Ich bin nur noch gelegentlich zur Schule gegangen.

Kannst du denn genau benennen, wo der Ursprung deines Reizdarms liegt?

Das Problem ist, dass es auf dem Gebiet des Reizdarms einfach noch so viele Unsicherheiten gibt, dass man meistens nie genau feststellen kann, was die Ursache war. Bei mir wird es eine Mischung gewesen sein. Vor der USA-Reise war ich in der Türkei und hatte einen Magen-Darm-Infekt, der auch häufig ein Auslöser sein kann. Dann der Stress in der ersten Familie – wahrscheinlich war einfach alles zu viel.

Wie kann man sich denn als Außenstehende:r einen Reizdarm vorstellen?

Meine Symptome kommen von jetzt auf gleich – es gibt keine Ankündigung. Ich bekomme starke Bauchkrämpfe und muss sofort auf Toilette. Das ist eine Zeitspanne von 30 Sekunden. Ich bekomme auch immer direkt Durchfall. Sehr häufig wird mir die Frage gestellt, ob man da nicht was machen könnte, aber das Einzige, was in der Sekunde hilft, ist, alles rauszulassen.

Das ist für den Alltag dann wahrscheinlich sehr einschränkend.

Ja, das ist es. Ich kann nicht Bahn fahren und auch mein Studium habe ich komplett von zu Hause aus gemacht. Da spielte mir Corona dann in die Karten, weil alles auf digital umgestellt wurde. Mittlerweile bin ich da schon sehr schmerzbefreit – in Hamburg war ich wahrscheinlich schon auf jeder Toilette. Früher habe ich mich aber fast gar nicht mehr vor die Tür getraut.

Wie meinst du das?

Nach meinem Auslandsjahr in den USA war ich ein halbes Jahr nicht in der Schule. Ich war die ganze Zeit krankgeschrieben. Meine Eltern und ich haben uns dann auf die Suche nach psychologischer Unterstützung gemacht. Denn Scham war zu dem Zeitpunkt mit gerade einmal 16 Jahren ein riesiges Problem. Ich hatte überhaupt kein Selbstbewusstsein. Die einzige Möglichkeit wäre die Behandlung in einer Klinik gewesen, aber da hätte ich mir ein Zimmer und die Toilette mit jemandem teilen müssen – mein größter Albtraum. Da habe ich mich dann überwunden, zur Schule zu gehen. Es funktionierte auch irgendwann, ich wusste, wo mein Klo war. Meine engsten Freundinnen wussten Bescheid, allen anderen habe ich erzählt, dass ich eine schwache Blase habe, da hat keiner nachgefragt. Die Fehlstunden haben sich viele mit psychischen Problemen erklärt, die durch das Auslandsjahr entstanden sind.

Je weniger man sagt, desto mehr reimen sich die Menschen selbst zusammen. Irgendwann hast du dich aber doch dazu entschieden, offener und auch öffentlich mit dem Thema umzugehen, wie kam es dazu?

Bei mir haben die Krämpfe und die plötzlichen Durchfälle jahrelang ein Schamgefühl ausgelöst. Ich habe angefangen zu lügen und meinen Freunden lieber erzählt, ich hätte Migräne, als dass ich nicht vom Klo runterkomme. Ich war nie ehrlich zu meinen Mitmenschen und damit auch nie wirklich ehrlich zu mir selbst. Das war ein großer Faktor, warum ich irgendwann gesagt habe, dass man über das Kacken auch einfach mal sprechen kann. Es hilft einem auch selbst, die Krankheit besser anzunehmen.

Wie haben deine Freund:innen reagiert?

Ganz viele, vor allem Frauen, meinten: Oh mein Gott, ich habe das auch, endlich mal jemand, der darüber spricht. Egal ob man einen Reizdarm hat, einen sensiblen Magen oder eine andere Krankheit, kacken ist das normalste der Welt – jeder Mensch tut es. Gerade bei Frauen ist das Thema aber immer noch tabu.

Ja, Männer denken teilweise auch, dass uns Frauen Blumen aus dem Hintern fliegen.

Ja, das ist schlimm. Wir machen uns einfach viel zu viele Sorgen darum. Was, wenn ich beim ersten Date auf Toilette muss? Was, wenn ich mitten im Meeting muss? Was, wenn mein Magen in der stillen Vorlesung laut grummelt? Wie einfach wäre das Leben, wenn wir diese Gedanken nicht hätten und Kacken einfach das Normalste der Welt wäre. Aus Frauen kommen kein Glitzer und kein Parfümgeruch – es riecht auch nach Scheiße.

Wir sollten also endlich anfangen, vom Kacken, Pupsen und Furzen zu sprechen, als immer so schöne Verniedlichungen zu finden.

Auf jeden Fall. Je offener wir darüber sprechen, desto normaler wird das auch. Und viele Menschen reagieren auch einfach offen darauf. Wir brauchen mehr Realität im Leben. Der eine hat Neurodermitis oder Allergien, die andere leidet unter Migräne. Ein Reizdarm ist genauso eine Krankheit wie all die anderen auch, nur statt Schmerzen im Kopf hat man Durchfall – es ist alles normal und gehört zum Leben dazu.

Bei dir scheint das mit dem Daten aber geklappt zu haben. Auf Instagram sieht man deinen Freund manchmal, wie er dir eine Wärmflasche reicht, wenn du mit Krämpfen auf dem Klo sitzt.

Wir sind jetzt seit fünf Jahren zusammen. Als wir uns kennengelernt haben, war ich noch lange nicht so offen wie jetzt. Damals war ich total verunsichert und habe mich geschämt. Als er fragte, ob wir mal Essen gehen wollen, habe ich einfach nur gesagt: Nein, das geht nicht. Er hat es akzeptiert und auch nicht weiter nachgefragt. Ich habe mir Notlügen einfallen lassen und bin nachts teilweise einfach mit zusammengekniffenen Pobacken nach Hause gefahren. Ich konnte mich erst eineinhalb Monate später überwinden, mit ihm zu reden.

Und wie hat er reagiert?

Er meinte: Und das war es jetzt, was die letzten Monate war? Er war sehr verständnisvoll und für ihn war es kein Problem. Für mich am Anfang schon. Ich habe noch mal gut drei oder vier Monate gebraucht, um mich normaler zu fühlen, wenn ich bei ihm auf Toilette war. Er musste dann immer auf den Balkon mit Kopfhörern und lauter Musik, die Zimmertür musste zu sein. Mittlerweile ist die Tür offen und er steht manchmal neben mir. Teilweise muss er mich sogar halten, wenn es richtig schlimm ist.

Was würdest du heute anders machen mit dem Blick auf das Dating damals?

Ich würde offener da ran gehen. Vielleicht nicht gleich beim ersten Date, aber doch schon schnell die Karten auf den Tisch legen. Man muss dem anderen Menschen ja auch die Chance geben, damit umgehen zu können. Ich hatte einfach Glück, dass mein Freund, das alles, ohne groß zu fragen mitgemacht hat. Eine Beziehung sollte offen und ehrlich beginnen. Gerade beim Reizdarm ist es wichtig, denn er schränkt den Alltag nun mal sehr ein.

Wie gehst du im Alltag jetzt mit deinem Reizdarm um?

Wenn ich Termine habe, zum Beispiel beim Friseur, dann warne ich die Leute einfach manchmal vor und sage: Ich habe einen Reizdarm, es könnte also sein, dass ich schnell auf die Toilette muss. Im Freundeskreis sind viele sehr verständnisvoll, aber auch nicht alle.

Was meinst du damit?

Es ist einfacher, jemandem, der selbst einen Reizdarm hat, zu sagen, dass man doch erst 15 Minuten später loskommt als jemandem, der oder die diese Probleme nicht kennen.

Also könnte man als Freund:in beispielsweise fragen, ob man jetzt schon loskann oder man lieber noch ein paar Minuten abwartet.

Das ist für mich Freundschaft – wenn man auf die Bedürfnisse und die Gesundheit der anderen Person achtet und seine eigenen in diesem Fall auch mal zurückstellt. Natürlich gilt das andersrum auch für mich in anderen Situationen. Ich muss auch sagen, dass ich mich in dieser Zeit von einigen Freunden getrennt habe, weil ich gemerkt habe, dass mir diese Personen nicht guttun. Ich habe meine Grenzen erkannt. Wenn man sich mit Menschen umgibt, die einen einfach so nehmen, wie man ist, dann fällt einfach so viel von einem ab. Wenn man ständig nur hört: Warum bist du schon wieder zehn Minuten zu spät? Oder: Wir wollten doch eigentlich jetzt los? Das stresst einen noch mehr und schlägt wieder auf den Magen.

Auf Instagram sprichst du nicht nur offen über deinen Reizdarm, sondern auch über deine Panikattacken.

Bei mir kam erst der Reizdarm und dann die Panikattacken. Zum einen ist da diese ständige Angst und die Frage: Was, wenn ich jetzt muss? Oder: Wo ist das nächste Klo für den Notfall? Zum anderen habe ich meinem Körper einfach nicht mehr vertraut und auch Ärzten nicht, weil mir ständig keiner helfen konnte. Das ist bei mir so verankert, dass diese ganzen Gefühle dann zu Panikattacken führen können.

Brigitte

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