Anzeige

Unsere Serie zur Bundestagswahl – Teil 4 Jutta Allmendinger im Interview: "Wählen Sie bewusst Frauen!"

Jutta Allmendinger: Soziologieprofessorin Jutta Allmendinger
Jutta Allmendinger ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit der Chancengleichheit von Frauen und Männern beschäftigt sie sich seit mehr als 30 Jahren – und mischt sich dabei auch immer wieder in die Politik ein.
© David Aussenhofer / PR
In puncto Gleichstellung findet die Soziologieprofessorin Jutta Allmendinger die Wahlprogramme aller Parteien enttäuschend. Sie rät daher zu einer anderen Strategie.

BRIGITTE: Was hat sich in den letzten Jahren positiv verändert und welche Partei hat sich dafür eingesetzt?

Jutta Allmendinger: Die Einführung der Vorstandsquote, das ElterngeldPlus, das Entgelttransparenzgesetz – das alles sind sinnvolle Schritte in meinen Augen. Sie sind von der SPD vorangetrieben worden, CDU/CSU haben sie dann – manchmal zögerlich – mitgetragen. Viel wichtiger aber: Mir gehen sie nicht weit genug. Um wirkliche Chancengleichheit zu erreichen, müssen wir sechs Themen völlig neu regeln.

Welche Themen wären das?

Wir brauchen eine neue Verteilung der Elternmonate, damit Väter von Anfang an mehr Kinderbetreuung übernehmen. Eine Reform des Ehegattensplittings, damit es sich für Frauen mehr lohnt, erwerbstätig zu sein. Ein strengeres Entgelttransparenzgesetz, um die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen. Umfassendere und schärfere Quotengesetze für Firmen, damit der Druck steigt, mehr Frauen in Führung zu bringen. Paritätsgesetze, um den Frauenanteil in den Parlamenten zu steigern. Und nicht zuletzt brauchen wir eine Diskussion darüber, wer in unserer Gesellschaft die Pflegearbeit übernimmt und wie wir sie bezahlen können.

Was davon müsste eine neue Regierung nach der Wahl als Erstes anpacken?

Die ungleiche Verteilung der unbezahlten Arbeit. Ändern wir die, kippt vieles andere wie Dominosteine weg: die Lohnunterschiede, die schlechteren Karrierechancen, die kulturellen Zuschreibungen, was Frauen können und dürfen.

Welcher Partei würden Sie das am ehesten zutrauen?

Schwer zu sagen. Zum einen finde ich in keinem Wahlprogramm ein klares Konzept, wie man die Gleichstellungsdefizite, die wir in der Pandemie so klar wie nie zuvor gesehen haben, lösen will. Das ist erstaunlich, aber vor allem enttäuschend. Zum anderen weiß ich aus meiner Zusammenarbeit mit Politikerinnen: Frauen, die diese Themen mit Leidenschaft vorantreiben, gibt es in jeder Partei – mit Ausnahme der AfD. Könnten sich diese Frauen parteiübergreifend gegen die oft eher bremsenden Männer durchsetzen, wäre vieles einfacher. Mein Rat wäre deshalb: Wählen Sie bei der Bundestagswahl bewusst Frauen – etwa über die Liste der Direktkandidat*innen. Welcher Partei sie angehören, ist gar nicht so wichtig.

20/2021 Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel