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Jugendliche und Alkohol: "Eltern müssen eingreifen"

Wie lehrt man Jugendliche einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol? Ein Interview.

23.000 Jugendliche - mehr als je zuvor - haben sich im Jahr 2008 krankenhausreif getrunken, so der aktuelle Bericht der Bundesdrogenbeauftragten. Ein Interview mit dem Leiter der Jugend-Drogenambulanz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Professor Dr. Rainer Thomasius, über Jugendliche und Alkoholkonsum.

BRIGITTE: Professor Thomasius, wie sollten Eltern mit dem Thema "Alkoholkonsum" umgehen?

Rainer Thomasius: Bis zum 14. Lebensjahr muss Alkohol tabu sein. Danach sind absolute Verbote unrealistisch. Heranwachsende müssen lernen, mit Alkohol umzugehen. Eltern sind dabei ein entscheidendes Vorbild. Hilfreich sind Rituale, die an einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol heranführen: Früher war es üblich, am Tag der Konfirmation das erste Glas Wein trinken zu dürfen. Heute überlassen Eltern den Einstieg in den Alkoholkonsum leider meist dem Zufall, statt ihn bewusst zu gewähren und mit zu gestalten.

BRIGITTE: Eines Tages steht mein Kind trotzdem torkelnd vor der Tür. Was dann?

Rainer Thomasius: Es ist noch kein Problem, wenn Jugendliche mal betrunken nach Hause kommen. Das Problem beginnt, wenn Eltern nichts dazu sagen. Wenn mein Kind sich betrinkt, muss ich das thematisieren, wenn es sich wieder betrinkt, muss ich das problematisieren und Grenzen setzen.

BRIGITTE: Ab wann reichen Reden und Regeln nicht mehr?

Rainer Thomasius: Spätestens wenn ein Jugendlicher regelmäßig trinkt, sollte man mit ihm zur Suchtberatung gehen - auch gegen seinen Widerstand. Es ist die Verantwortung der Eltern, einzugreifen.

BRIGITTE: Sind Jugendliche aus sozial schwachen Familien gefährdeter als andere?

Rainer Thomasius: Nein, unsere Klienten kommen aus allen sozialen Kontexten. Unter den Cannabiskonsumenten stammt sogar eine leichte Mehrheit aus den wohlhabenden Vierteln Hamburgs, dort fällt das Taschengeld höher aus als woanders: Illegale Drogen muss man sich leisten können. Viele konsumieren beides - manche fast alles, was der Drogenmarkt bietet: Die so genannten "Mischkonsumenten" bilden die Mehrheit.

BRIGITTE: Wie helfen Sie und Ihre Mitarbeiter?

Rainer Thomasius: Wir klären ab, in welchen psychischen und sozialen Zusammenhängen sich welche Form von Suchtverhalten entwickelt hat. Dann behandeln wir die Sucht - und mögliche andere psychische Störungen: Die Jugendlichen müssen Fähigkeiten in sich entdecken, die ihnen helfen, Alltag und Probleme nüchtern zu bewältigen. Oft gilt es, einen psychischen Entwicklungsrückstand aufzuholen. Dass ein suchtkranker 17-Jähriger sich hinsichtlich seiner seelischen Reife auf dem Stand eines 14-Jährigen befindet, ist ein typisches Phänomen: Alkohol- und Drogenmissbrauch behindert die Persönlichkeitsentwicklung.

BRIGITTE: Müssen die Jugendlichen bereit sein, mit dem Trinken aufzuhören, damit ein Therapiebeginn Sinn macht?

Rainer Thomasius: Würden wir Abstinenz voraussetzen, würden die meisten gleich wieder Reißaus nehmen: Fast alle, die zu uns kommen, wollen ihren Konsum nur reduzieren. Auf Dauer gelingt das aber nur wenigen, die sich nicht dazu entschließen können, ganz auf Alkohol zu verzichten. Als Therapieziel gibt es nur eine einzige sinnvolle Lösung: Aufhören!

Professor Dr. Rainer Thomasius ist Ärztlicher Leiter des Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ), der Ambulanz für Jugendliche und Jungerwachsene mit Suchtstörungen und der kürzlich eröffneten Jugend-Suchtstation am UKE

Interview: Julia Karnick Foto: iStockphoto.com

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