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Andrea Nahles: "Für Abgeordnete gibt's keine Elternzeit"

Nach einer kurzen Babypause ist SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, 41, schnell in den Job zurückgekehrt - wie viele andere Mütter auch. Ein Gespräch über Tabus und fiese Briefe.

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BRIGITTE: Vor der Geburt haben Sie gesagt, Sie würden nur kurz aussetzen, weil Ihr Job Begehrlichkeiten weckt. Wie wurden Sie wieder aufgenommen?

Andrea Nahles: Ich bekomme viel Rückendeckung und Unterstützung - ich kann mich nicht beschweren. Aber natürlich erlebe auch ich die Doppelbelastung Beruf und Familie. Direkt nach meiner Rückkehr zum Beispiel gab es Phasen, da hätte vermutlich keiner mit mir tauschen wollen - die ganze Sarrazin-Debatte... (lacht). Aber die massiven Reaktionen auf das letzte BRIGITTE-Interview haben mich schon sehr überrascht. Es gab fiese Briefe von wegen Egotrip, karrieregeil und so. Überwiegend von Männern.

BRIGITTE: Hat Sie das sehr getroffen?

Andrea Nahles: Nicht wirklich. Ich hatte mich auf solche Reaktionen innerlich vorbereitet, und das hat mich geschützt. Offensichtlich habe ich mit meiner Äußerung an einem Tabu gerührt: Mutter sein und eine Führungsaufgabe wahrnehmen ist offenbar immer noch eine gesellschaftliche Kampfzone. Jedenfalls wenn die Kinder noch klein sind. Viele Frauen haben mir von eigenen Erfahrungen berichtet. Das Thema ist längst nicht ausgefochten. Allein wie oft ich in Interviews danach gefragt werde, bei Männern erlebe ich das nicht. Ich werde jedenfalls weiterhin solche Probleme ansprechen und dafür kämpfen, dass wir als SPD unsere Vorstellungen eines besseren Miteinanders von Familie und Beruf realisieren können.

BRIGITTE: Ihre Tochter ähnelt Ihnen sehr - nur die Frisur scheint vom Vater zu stammen...

Andrea Nahles: Finden Sie? Ich dachte, sie ähnelt ihrem Papa. Na ja, auf jeden Fall ist der Kahlkopf von mir. Ich hatte tatsächlich bis zum dritten Lebensjahr keine Haare. Aber egal, wem sie ähnelt. Sie ist einfach wunderbar - war von Anfang an sehr vergnügt, schläft durch, weint wenig, wächst und gedeiht.

BRIGITTE: Hat sich die Beziehung zu Ihrem Mann durch das Kind sehr verändert?

Andrea Nahles: Ja und nein. Es ist alles intensiver geworden - auch die Beziehung. Wir hatten von Anfang an besprochen, dass wir uns alle Aufgaben mit dem Kind teilen wollen. Ich habe zwar gestillt, aber wir waren nie eine Mutter-Kind-Einheit, bei der sich der Vater irgendwo auf einer Planeten- Umlaufbahn befindet. Diese gemeinsame Erfahrung und ein neues Gefühl von gemeinsamer Verantwortung empfinde ich als Vertiefung unserer Partnerschaft.

BRIGITTE: Hätten Sie gern Elternzeit genommen?

Andrea Nahles: Ja. Was ich vorher nicht wusste: Abgeordnete dürfen keine Elternzeit nehmen. Einerseits ist das verständlich, weil wir für vier Jahre gewählt werden und davon nicht drei Jahre in Elternzeit gehen können. Aber sechs Monate halte ich für machbar. Ich werde mich parteiübergreifend dafür einsetzen, dass auch Abgeordnete ein paar Monate Elternzeit machen können. Vor dem Problem stehen ja Mütter und Väter aller Parteien und aller Parlamente.

BRIGITTE: Nehmen Sie Ihre Tochter auch mal ins Büro mit, wenn es nicht anders geht?

Andrea Nahles: Klar, das wird sicher passieren. Zum Beispiel, wenn mein Mann mal krank ist. Hier im Willy-Brandt-Haus hatten Mitarbeiterinnen angeregt, für Notfälle einen Arbeitsplatz mit Spielzimmer einzurichten. Den werde ich bestimmt auch nutzen.

BRIGITTE: Aber vorerst bleibt Ihr Mann zu Hause?

Andrea Nahles: Ja, er nimmt Elternteilzeit, arbeitet 23 Stunden, auch in Heimarbeit. Und er macht es mit der Kleinen einfach richtig gut! Ich arbeite ebenfalls einen Tag in der Woche zu Hause. Meine Eltern kümmern sich zusätzlich um unsere Tochter. Das funktioniert prima, und Ella scheint sehr gut klarzukommen. Natürlich versuche ich, die Wochenenden mit meiner Familie zu verbringen. Wenn das nicht klappt, nehme ich mir einen anderen Tag Zeit für Ella. Und natürlich vermisse ich sie manchmal - normal!

BRIGITTE: Und wie lautet Ihr Fazit?

Andrea Nahles: Kind und Karriere geht - auch wenn man manchmal hin- und hergerissen ist. Mit dem Blick auf das Kind konzentriere ich mich stärker auf das Wesentliche, privat und beruflich. Das hat Vorteile für beide Seiten. Bei meiner Arbeit, die mir nach wie vor sehr viel Spaß macht, gucke ich jetzt genau: Macht das Sinn? Durch das Kind verschleudere ich nicht mehr so viel Kraft für Unnötiges, und davon profitieren alle.

Interview: Silke Baumgarten Foto: Jens Passoth BRIGITTE Heft 16/2011

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