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Im Kampf gegen die Mafia

Schatten von Männern auf der Straße
© Oleg Elkov / Shutterstock
Tief in Italiens Süden haben sich vierzig mutige Menschen zu einem Projekt zusammengeschlossen, das unter dem Namen "Addiopizzo" gegen die Schutzgeld-Erpressungen der Mafia kämpft. BYM.de stellt euch Gründungsmitglied Francesco Galante im Interview vor und informiert euch über die aktuelle Mafia-Situation, die nicht nur Italien betrifft
Makaberes Mafiaritual: Findet man einen toten Fisch im eigenen Haus, sollte man sich von seinen Lieben verabschieden. Denn bald wird man da sein, wo die Fische normalerweise sind: Unter Wasser.
Makaberes Mafiaritual: Findet man einen toten Fisch im eigenen Haus, sollte man sich von seinen Lieben verabschieden. Denn bald wird man da sein, wo die Fische normalerweise sind: Unter Wasser.
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Mafia: Zwischen Mythos und Realität

Wer an Italien denkt, denkt an die Toskana. Oder an Gondeln. Oder an Rom. Wer an Sizilien denkt, denkt zuerst an die Mafia. Daran ist nicht zu rütteln. Und manch einer, der nach Palermo fährt, bekommt den gut gemeinten Rat, abends besser nicht auf die Straße zu gehen. Viel zu gefährlich. Da wird noch geschossen.

Natürlich ist das übertrieben. Im Gegenzug bedeutet das aber nicht, dass sich die gepflegten Herren in den schwarzen Anzügen ihre sizilianische Mütze ins Gesicht gezogen haben und nun in der Sonne vor sich hindösen. Die Mafia existiert. Sie ist nicht mit Don Corleone untergegangen, sondern hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder der sich stets verändernden Realität angepasst.

Im Kampf gegen die Mafia
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Vielleicht wird heute nicht mehr mit dem abgesägten Gewehr, der "Lupara", geschossen, sondern mit einer Maschinenpistole. Was macht das schon für einen Unterschied. Bedroht und erpresst werden Mafia-Gegner jedenfalls noch immer. Und zwar massiv. Vor sechzehn Jahren wurden die palermitanischen Richter Falcone und Borsellino ermordet. Noch heute muss manch ein Staatsanwalt rund um die Uhr bewacht und mit einer Eskorte zum Gericht gefahren werden. 80 Prozent der Händler und Geschäftsinhaber in Palermo zahlen Schutzgeld. Jeder, der in diesen Läden einkauft - und man wird sich schwer tun, das zu vermeiden - wirft der Mafia sein Geld in den Rachen.

Wer das Schutzgeld nicht rechtzeitig zahlt, muss mit Konsequenzen rechnen
Wer das Schutzgeld nicht rechtzeitig zahlt, muss mit Konsequenzen rechnen
© Addiopizzo

Im Kampf gegen die Mafia: "Addiopizzo" in Palermo

Genau das wollen sich ein paar mutige Palermitaner nicht mehr gefallen lassen. Im Jahr 2004 gründen sie unter dem Namen "Addiopizzo" eine Organisation, die sich zum Ziel macht, schonungslos Aufklärungsarbeit zu leisten. Heute kann Gründungsmitglied Francesco Galante auf vierzig Männer und Frauen blicken, "allesamt einfache Bürger", wie er im Interview betont, die "durch ihre gleichen Wertevorstellungen vereint sind".

Gemeinsam überzeugen sie Händler und Geschäftsinhaber von ihrer Idee eines freien Palermos, in dem keiner mehr "pizzo", also Schutzgeld, zahlen muss. Kinder und Jugendliche in den Schulen ganz Siziliens werden über die kriminellen Machenschaften der Mafia informiert. So erhoffen sich Galante und sein Team, von Grund auf ein neues Bewusstsein in der italienischen Gesellschaft zu schaffen.

Die Mitglieder von "Addiopizzo"
Die Mitglieder von "Addiopizzo"
© Addiopizzo

Dass das Thema Mafia auch in Deutschland brisant ist, zeigen nicht zuletzt die Morde an sechs Italiener im August 2007. Sie wurden vor einem italienischen Restaurant in Duisburg mit siebzig Schüssen regelrecht hingerichtet. Im Kino läuft gerade die sehenswerte Verfilmung von Roberto Savianos Bestseller "Gomorrha", der uns die schockierende, brutale Realität Süditaliens vor Augen führt.

Mafia - das ist schon längst nichts mehr, was nur Italien angeht. Das stellt auch Francesco Galante von "Addiopizzo" im folgenden Interview deutlich heraus.

Gegen "Pizzo" - Ändere Dein Konsumverhalten!
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© Addiopizzo

Schutzgeld: Historischer Kontext

BYM.de: Können Sie für unsere Leser in Deutschland kurz erklären, was das Wort "pizzo" bedeutet?

Francesco Galante: "Pizzo" ist eine gewisse Summe Geld, die Verbrecher den Ladenbesitzern und Händlern abnötigen. Bei diesen Verbrechern handelt es sich für gewöhnlich um Personen, die mit dem Stadtviertel, in dem sie 'tätig' sind, eng verbunden sind. Im Gegenzug zu ihren festgelegten Zahlungen garantieren die Verbrecher den Ladenbesitzern und Händlern den Schutz ihrer Geschäfte, Stände und auch der eigenen Person vor möglichen 'Unfällen'. Provoziert werden diese 'Unfälle' im Fall einer ausbleibenden Zahlung. "Pizzo" ist sozusagen eine Art Steuer, durch die die Mafia ihren Herrschaftsbereich in einem bestimmten Gebiet markiert.

BYM.de: Seit wann existiert in Palermo das Phänomen "pizzo"?

Francesco Galante: Nachdem sich in den 1960er Jahren die Aktivität der Mafia-Familien nach Palermo verlagert hat, ist das Phänomen "pizzo" hier sicherlich massiv geworden. Fälle von Erpressung gab es auch in den Jahrzehnten zuvor. Man kann generell sagen, dass es Mafia ohne Erpressungen gar nicht gibt.

BYM.de: Wie ist die Situation jetzt? Wer zahlt? Gibt es eine bestimmte Prozentzahl an Läden in Palermo, die Schutzgeld zahlen?

Francesco Galante: Wir leben hier in Palermo in einer besonderen historischen Situation. Sicherlich zeigen die jüngsten Verhaftungen großer Persönlichkeiten mafioser Organisationen, dass sich das Klima positiv verändert. In Palermo zahlen 80 Prozent der Händler Schutzgeld. Der Durchschnitt in der Region Palermo liegt bei 70 Prozent. Nach Angaben der italienischen Händlervereinigung "Confesercenti" beläuft sich die Zahl der Erpressungs-Opfer auf ca. 50.000 (160.000 in ganz Italien).

Touristisches Mafia-Highlight: Kitschige Souvenirs aus Palermo
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© J. Windhövel

Wie man zur Schutzgeld-Zahlung "überredet" wird

BYM.de: Ist das ein Problem, das nur Palermo betrifft, oder ist das auch in anderen italienischen Städten zu beobachten?

Francesco Galante: Das ist ein Problem, das Palermo genauso wie alle anderen sizilianischen Städte betrifft. Auch das Hinterland ist davon nicht ausgeschlossen. Es ist auch im Rest Italiens verbreitet, ebenso in anderen Ländern wie Deutschland oder den USA. Die Mafia hat sich mit der Zeit verändert. Sie hat sich den verschiedenen sozialen Kontexten angepasst, in denen sie heute ihren Herrschaftsbereich beansprucht.

BYM.de: Wie müssen wir uns die Situation vorstellen, wenn ein Händler gezwungen wird, Schutzgeld zu bezahlen? Kommt dann jemand ins Geschäft oder ins Restaurant hereinspaziert und fordert den Besitzer unmissverständlich auf?

Francesco Galante: Auf welche Art und Weise sich ein Mafioso einem Händler nähert, ist unterschiedlich. Für gewöhnlich wird eine Person geschickt, die dann mit ganz unterschiedlichen Begründungen nach Geld fragt. Es gibt tatsächlich auch Händler, die nach nur einem Anruf von irgendeinem Erpresser, der sie anhielt, jeden Monat eine bestimmte Summe abzudrücken, angefangen haben, Schutzgeld zu bezahlen.

BYM.de: Wann und wie ist die Organisation "Addiopizzo" entstanden?

Francesco Galante: "Addiopizzo" ist Anfang 2004 entstanden, nachdem eine Gruppe von sieben Jugendlichen ganz Palermo mit Aufklebern übersäte, auf denen stand: "Ein ganzes Volk, das Schutzgeld bezahlt, ist ein Volk ohne Würde". An diesem Punkt wurde das Interesse der Medien geweckt, das noch immer besteht: Vom nächsten Tag an wurde aufgrund der Bemühungen eines Vertreters der Händlervereinigung eine kostenlose Telefonhotline angeboten, mit dem Ziel, anonyme Anzeigen zu sammeln.

Im Kampf gegen die Mafia
© Addiopizzo

Wer macht mit bei "Addiopizzo"?

BYM.de: Wie viele Händler sind schon bei "Addiopizzo" dabei?

Francesco Galante: Momentan sind 294 Händler Mitglied bei "Addiopizzo", einige von ihnen haben mehrere Geschäfte, so dass wir sogar auf über 300 Läden kommen, die bei uns mitmachen.

BYM.de: Ist die Organisation "Addiopizzo" jemals bedroht worden?

Francesco Galante: NEIN.

BYM.de: Ist jemals einem der Händler etwas passiert? Gab es jemals Gewaltanschläge auf privates Eigentum (Läden, Autos, Häuser etc.)?

Francesco Galante: Als die Mitglieds-Liste zum ersten Mal veröffentlicht wurde, zählte sie bereits über einhundert Aktive. Auf diese Weise stand niemand allein da. Im ersten Jahr hat die Polizei den Mitgliedern zu ihrem Schutz eine Streife zugesichert. Es ist nichts passiert, so dass man sich entschied, in Zukunft auf die Streife zu verzichten - sie war nicht mehr nötig. Im Juli 2007 wurde dann auf Befehl des Mafia-Bosses von San Lorenzo, Salvatore Lo Piccolo, eine Firma von Roberto Guajana abgefackelt. Es handelte sich hierbei um eine Eisenwarenhandlung, die sich schon immer gegen die Schutzgelderpressungen aussprach und erst seit kurzem auf der Liste von "Addiopizzo" stand. Für Guajana und einige wenige andere Händler mit 'problematischem' Hintergrund wurde ein Geleitschutz eingerichtet.

Wird alles anders?
Wird alles anders?
© J.Windhövel

Kampf gegen die Mafia: Wird alles anders?

BYM.de: Was sind eure Wünsche für die Zukunft? Was habt ihr für Projekte?

Francesco Galante: Die Bereiche, in denen wir heute arbeiten, sind unterschiedlich. Es geht vornehmlich um den Aufbau eines Kontaktnetzes zwischen den Händlern. Diese Vernetzung hat zum einen das Ziel, den Konsumenten mit Hilfe der "Addiopizzo"-Mitglieds-Liste die Wahl ihrer Einkaufsläden zu erleichtern. Zum anderen sollen in den Mitglied-Geschäften Waren günstiger angeboten werden, als in jenen Geschäften, die noch immer Schutzgeld zahlen. So können mehr Leute "pizzo"-frei einkaufen und unseren Mitgliedern wird geholfen, standhaft bleiben zu können. "Addiopizzo" ist auch an Schulen mit der Organisation von Projekten aktiv. Hierbei handelt es sich um Projekte, die sich der Verbreitung einer "Kultur der Legalität" widmen.

BYM.de: Seid ihr davon überzeugt, etwas verändern zu können?

Francesco Galante: Uns ist bewusst, dass eine solch große Veränderung viel Zeit braucht, aber uns ist auch bewusst, dass man irgendwo anfangen muss. Nach Jahren, in denen sogar das Wort "pizzo" ein Tabu war, sehen wir uns jetzt ersten Anzeigen und der ersten palermitanischen Anti-Verbrecher-Vereinigung "Libero Futuro" gegenüber. Wir denken, dass wir angefangen haben, die Dinge zu verändern.

Text & Interview Julia Windhövel

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