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Ildikó von Kürthy: Hauptsache, schön?

Es ist gemein, ungerecht und leider nicht zu ändern: Schöne Menschen haben es leichter im Leben. Und was ist mit dem Rest? Der kann mit dem Schicksal hadern. Oder sich das Diktat der Schönheit zunutze machen, meint Bestseller-Autorin Ildikó von Kürthy.

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Er kann den Blick nicht von mir wenden. Ab und zu fällt ihm das selbst auf, dann schämt er sich ein wenig und schaut hastig weg. Aber nie lange. Er kehrt immer wieder zu mir zurück. Vorbei an der Schulter meiner Begleiterin glotzt er, was das Zeug hält. Freilich, er ist nicht mein Typ. Aber andererseits, wenn einer so offenkundig fasziniert von mir ist, dann spricht das ja irgendwie für ihn. "Ich muss langsam los", sagt die Frau mir gegenüber und greift nach ihrer Tasche. Er guckt erschrocken, als er unseren bevorstehenden Aufbruch bemerkt, und schreibt etwas auf einen Zettel. Meine Güte, ist das lange her, dass mir jemand seine Telefonnummer zugesteckt hat. Wie gesagt, er ist nicht mein Typ, aber was sagt das schon? Aussehen ist ja schließlich nicht alles.

Das hast du davon, wenn du mit einem Supermodel auf 'nen Drink gehst.

An der Tür hat mein Bewunderer uns eingeholt. "Kennen wir uns nicht irgendwoher?" - "Ich glaube nicht", höre ich meine Begleiterin sagen, milde, dennoch bestimmt. Sie dreht sich um. Er schaut wie ein gescholtener Cockerspaniel auf ihren Hinterkopf. Dahin, wo er schon den ganzen Abend geschaut hat. Ich hatte nur aus Versehen in der Schusslinie der begehrlichen Blicke gesessen. Er bleibt zurück. Und sie schiebt ab, diese Göttin mit ihren 86 Zentimetern Brustumfang. Ihrer verdammten 60-Zentimeter-Taille. Größe: 1,75. Augen: grün. Tagessatz: nicht unter 10.000 Euro. Ich hinterher. Taille? Ich hatte auch mal 'ne Taille, jetzt hab ich ein Kind.

Das hast du davon, wenn du mit einem Supermodel auf 'nen Drink gehst. Die sieht sogar von hinten noch besser aus als du von vorn. Sie heißt Hartje Andresen, ist 23 und irre schön und ständig auf irgendwelchen schicken Magazinen vorn drauf. Sie hat eine Wohnung in New York und in ihrem Leben nur wenige Cocktails selbst bezahlen müssen. Die Türen, die sie sich selbst aufgemacht hat, kann man an einer Hand abzählen.

Wer schöner ist, hat es leichter.

Es ist skandalös und irgendwie altmodisch, eine Beleidigung für den Verstand, es ist empörend, und es ist nicht zu ändern: Schönheit ist ein unverdientes Privileg. Wir werden aufgrund unseres Aussehens ganz automatisch ungleich behandelt. Die Vorteile, die ein ansprechendes Äußeres verschaffen, sind so gravierend, dass es in den USA Überlegungen gibt, dass Angeklagte vor Gericht nicht mehr persönlich erscheinen müssen oder eine Vertretung schicken dürfen. Hässliche Angeklagte bekommen nämlich härtere Strafen als ansehnliche - und für Schauspieler wäre es ja vielleicht ganz lukrativ, sich für einen guten Zweck als Gesichtsvertretung für Kriminelle zu vermieten.

Wer schöner ist, hat es leichter. Vorbeigehen am durchschnittlichen Rest, das ist es, was den Schönen vergönnt ist. Während du sehr glücklich warst, wenn du überhaupt am Türsteher vorbeikamst, wurden Mädchen wie Hartje vom Disco-Besitzer persönlich aus der Warteschlange herausgewinkt. Da fällt mir ein: Ist hier eigentlichnoch jemand im Sommer 1989 mehrfach an der Tür des "P1" in München gescheitert? Ich trug Overknees und perlmuttfarbenen Lipgloss, und trotzdem, immer wenn ich endlich an der Reihe war, handelte es sich angeblich um "eine geschlossene Gesellschaft".

Und Hartje - hätte sie zu dem Zeitpunkt bereits an Warteschlangen vorbeilaufen können, sie wäre bestimmt auch damals schon drinnen gewesen. In der geschlossenen Gesellschaft, die immer offen ist für Leute, die schön genug sind oder zumindest im richtigen Auto vorfahren. Ich fuhr irgendwas mit Dieselmotor, und das hatte mir der Türsteher wohl angesehen. Er bedeutete mir mit einer nachlässigen Geste, ich solle kehrtmachen und verschwinden. Was hätte ich tun sollen? Rufen: "Ich habe zwei Bücher von Nietzsche gelesen und sogar etliches darin unterstrichen"? Ich murmelte stattdessen etwas wie: "Wenn ich mal 'ne eigene Disco hab, dann lass ich Sie auch nicht rein", und schlich beschämt davon. An dieser Zurückweisung habe ich bis heute zu knabbern und würde mich gern mit anderen Betroffenen zu einer Protestgruppe formieren.

Allerdings: Wofür sollten wir protestieren? Für ein Gesetz zur Wahrnehmung innerer Werte? Gegen die Diskriminierung von Leuten, deren Gesicht nicht symmetrisch ist, deren Brustwarzen und Bauchnabel kein gleichseitiges Dreieck bilden, deren Beine nicht halb so lang sind wie der ganze Körper, deren Kopflänge nicht ein Siebtel der gesamten Körperlänge beträgt - die also nicht den Maßen des weltweit gültigen, klassischen Schönheitsideals entsprechen?

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Der erste Eindruck hängt nur zu sieben Prozent von dem ab, was ein Mensch sagt. Den Großteil unserer Wirkung macht unsere Oberfläche aus. Und zwar von Anfang an: Frühgeborene Babys zum Beispiel, die ja noch ziemlich lange schmal und etwas greisenhaft aussehen, werden tatsächlich häufiger vernachlässigt und können schwerer an Pflegeeltern vermittelt werden. Babys, die hübsch aussehen, hingegen werden sogar von ihren Müttern häufiger angelächelt. Je mehr ein Baby dem typischen Kindchenschema entspricht - große Augen, kleiner Mund, Stupsnäschen, rundes Gesicht -, desto fürsorglicher und liebevoller wird es von seinen Mitmenschen behandelt. Barbiepuppen, Arielle die Meerjungfrau, Pokémons und amerikanische Serienschauspielerinnen werden nach diesem Vorbild gebaut.

Wann immer wir die Augen weit aufreißen, den Mund spitzen und unsere Stimme zu einem Stimmchen machen, versuchen wir unser Gegenüber zu manipulieren und dazu zu bringen, uns wie ein Kindchen zu behandeln, nämlich mit Zuneigung und Aufmerksamkeit. Und wie gut das funktioniert, kann man nicht nur in Dorfdiscos und auf Pro 7 bei "Germany's Next Topmodel" studieren, sondern überall. Aber nicht nur Schönheit wird einem in die Wiege gelegt, sondern auch der Sinn für Schönheit. Neugeborene blicken länger und lieber in schöne Gesichter. Bloß ihre Mutter, biologisch natürlich sehr sinnvoll, blicken sie am allerliebsten an, und zwar egal, wie sie aussieht.

"Wir beurteilen Menschen hauptsächlich nach ihrem äußeren Erscheinungsbild, nicht nach ihren inneren Werten. Von inneren Werten spricht nur, wer es sich erlauben kann. Attraktivere Kinder kriegen die besseren Noten, attraktivere Studenten machen die bessern Abschlüsse, und attraktivere Uni-Absolventen bekommen die besseren und höher bezahlten Jobs." Das sagt in einem Interview mit der Schweizer "Weltwoche" der Attraktivitätsforscher Karl Grammer, und er scheint auch noch Recht zu haben. Die Bevorzugung von Schönheit ist durch alle möglichen Versuche und Studien zweifelsfrei belegt: Hübsche Kellnerinnen bekommen mehr Trinkgeld. Auf dem Bürgersteig wird den schönen Menschen Platz gemacht, ansehnliche Verkäufer machen mehr Umsatz. Sogar Hühner, diese Schweine, bevorzugen im Experiment schöne Menschen. Das zum Trost all jenen, die glauben, sie seien die Einzigen, an denen trotz inständigen Winkens das Taxi vorbeirauscht, nur um 60 Meter weiter vor sehr langen Beinen zum Stehen zu kommen.

"Prinzipiell sind Männer immer auf der Suche nach dem besseren Sex. Das gilt auch für Taxifahrer." Das sagt mein Freund Rudi. Auf wissenschaftlich heißt das so: "Das entscheidende Kriterium ist der Moment des höchsten reproduktiven Wertes." Karl Grammer sagt: "Die Männer wählen die Frauen letztendlich aufgrund der Attraktivität aus. Das ist einfach im System drin, das bringt auch die Emanzipation nicht weg." Und Klartext schreibt der Autor Ulrich Renz in seinem Buch "Schönheit, eine Wissenschaft für sich": "Mit Körbchengröße C lassen sich durchaus ein paar Jahre Studium ersetzen."

Bildung ersetzt keine Brüste.

Das funktioniert, wie wir leider alle wissen, nicht andersherum: Bildung ersetzt keine Brüste. Wegen deines "Summa cum laude" lädt dich garantiert kein Unbekannter mit Hintergedanken auf ein alkoholisches Kaltgetränk ein. Und deine praktische Kurzhaarfrisur kannst du nicht mit profunden Kenntnissen in Altgriechisch ausgleichen.

Schönheit zählt. Und vielen reicht sie sogar. Hartje Andresen sagt: "Was ich sage und denke, ist nicht so wichtig. Wenn ich den Mund aufmache, sind die meisten ganz überrascht, dass ich überhaupt sprechen kann. Ich kann mehr, als nur gut auszusehen." Das erwartet aber keiner von ihr. Und man fragt sich da schon ab und zu verzweifelt: Herrje, wo sind wir denn? Im Neandertal? Die Antwort lautet: ja. Der Mensch ist, biologisch betrachtet, auch nur ein Tier. Und ob Fadenwurm, Hängebauchschweinchen oder Bundestagsabgeordneter - alle Tiere haben nur eins im Sinn: satt zu werden und sich zu vermehren. Im männlichen Gehirn, das Mutter Natur ja übersichtlich und platzsparend eingerichtet hat, wurden beide Bedürfnisse in einem Bereich angesiedelt. Wenn ein Mann also eine attraktive Frau sieht, wird der Teil seines Gehirns aktiviert, der ansonsten für Hunger zuständig ist. Und das ist Biologie, nicht Fantasie.

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Autor Ulrich Renz, der selber sehr schön ist und sich bereits dreimal erfolgreich vermehrt hat, sagt: "Ein Mann, der Falten attraktiv fände, könnte sich nicht fortpflanzen." Und dabei schaut er mir ausgerechnet in die Augen, und ich frage mich, ob die Straffung von Schlupflidern wohl von meiner Krankenkasse übernommen werden würde. Männer hüten sich vor faltigen Frauen, weil Schönheit und Jugend, Symmetrie, glatte Haut und glänzendes Haar ein Versprechen sind für ein paar appetitliche Gene. Und auf der Jagd nach dem optimalen Erbgut verliert das Männchen gern mal seinen Verstand, was das folgende Experiment aus Ulrich Renz' Buch eindrucksvoll beweist: Männliche Testpersonen wurden angewiesen, ihre Hand so lange wie möglich in eiskaltes Wasser zu tauchen. Die Probanden hielten fast doppelt so lange aus, wenn die Versuchsleiterin eine schöne Frau war. Ein paar Mal musste das Experiment sogar abgebrochen werden, weil die Typen sich sonst die Flosse abgefroren hätten, bloß um dem Weibchen zu imponieren.

Und nun zu Ihnen, liebe Leserinnen, die jetzt hochmütig lächeln und glauben, sie hätten ja schon immer gewusst, dass in jedem Mann ein beknackter Affe steckt: Sie haben absolut Recht. Aber jedem beknackten Affen steht ein dummes Huhn gegenüber, dass sich beeindrucken lässt. Ich kann nur sagen: Was das angeht, passen Männer und Frauen blendend zusammen. Die einen lieben Schönheit, die anderen Status. Und beide hoffen so auf das optimale Fortpflanzungsergebnis.

In einem Versuch hat man Frauen dieselben Männer einmal im Anzug und einmal in einer Burger-King-Uniform gezeigt. Das Ergebnis ist peinlich, und Sie können es sich denken. Und wenn man den Damen vor so einem Experiment die Information zuspielt, bei einem der Anzugträger handele es sich um einen Arzt, dann gibt es überhaupt kein Halten mehr. Sie wittern das Alphatier. "Frauen bewerten einen Mann deutlich attraktiver, wenn er seinen Reichtum nicht einem Lottogewinn, sondern dem Verkauf einer eigenen Firma verdankt", steht in Ulrich Renz' Buch, "Frauen legen weniger Wert auf Attraktivität, während Männer gut auf Status verzichten können."

Man sieht es an Flavio Briatore und Boris Becker, was Frauen gewillt sind für sexy zu halten, wenn sie bloß eine solide finanzielle Grundversorgung ihres potenziellen Nachwuchses wittern. Und die menschlichen Weibchen haben sich da ein ganz perfides System ausgedacht: Zum Zeitpunkt ihres Eisprunges gehen Frauen besonders gern mit dem schicken Alphamännchen ins Bett, um sich dessen Erbgut zu sichern. Heiraten tun sie dann aber lieber den unattraktiveren, dafür aber um so fürsorglicheren Mann, der sie nicht mit den Kindern sitzenlässt.

Natürlichkeit ist sexy? Ach was.

So treffen auf den Motorjachten und in den Besenkammern dieser Welt zwei niedere Instinkte aufeinander, um sich fortzupflanzen und anschließend zu behaupten, dass wahre Schönheit von innen käme. Brad Pitt behauptet, ohne rot zu werden: "Natürlichkeit ist sexy. Ich mag es zum Beispiel nicht, wenn Frauen sich die Brüste vergrößern lassen." Ach was. Und warum, du Bürschchen, bist du dann nicht mit mir zusammen, sondern mit Angelina Jolie, die seit ihrer Geschlechtsreife ihre Füße nicht mehr gesehen hat? Und es sind nicht ihre inneren Werte, die ihr die Sicht darauf versperren.

Nein, Freundinnen, das Thema Schönheit ist nicht rundweg erfreulich und keinesfalls harmlos oder eindeutig. Natürlich bilden wir uns alle ein, das wir um unser selbst willen geliebt werden, weil wir Humor haben und Herzenswärme, Verstand und Nachsicht. Wir stehen drüber. Wir sind nicht oberflächlich. Wir haben's nicht nötig. Schönheit liegt schließlich im Auge des Betrachters. Schönheit ist relativ. Alles, was man mit Liebe betrachtet, ist schön. Und so weiter. Aha. Und warum haben Sie sich dann kürzlich diese Anti-Aging-Creme aufschwatzen lassen und einen Betrag dafür hingelegt, für den Sie problemlos Nietzsches gesammelte Werke hätten erwerben können?

Wir verurteilen Oberflächlichkeit, lesen die "Bunte" selbstverständlich nur beim Arzt und ärgern uns die Krätze an den Hals, wenn unser Typ einer bildschönen Kellnerin unangemessen viel Trinkgeld gibt, obschon sie nicht mal "Guten Tag" gesagt hat.

Ein Freund von mir hat neulich mit einer sehr hübschen, sehr blöden Pute rumgeknutscht. Die ist, wie er selbst zugab, völlig hohl in der Birne. "Aber das stört ja beim Küssen nicht", hat er kleinlaut eingeräumt. Und meine wirklich sehr gute Freundin Monika schläft derzeit mit einem Typen, der fünf Jahre jünger ist als sie und aussieht wie Matthew McConaughey. Ich garantiere Ihnen: Sähe er aus wie Günter Verheugen, hätte sie die Affäre längst beendet, und zwar exakt in dem Moment, als Matthew seine erste SMS an sie unterschrieb mit "ddk". Wir rätseln bis heute, was diese Abkürzung wohl bedeuten könnte. Eine Umfrage im geneigten Freundeskreis ergab: "Dicker, dicker Kuss". Weniger wohlwollende Stimmen vermuteten "Du dumme Kuh" oder "Dein doofer Kerl". Einig waren wir uns jedenfalls, dass man eine so alberne Grußformel niemandem verzeihen kann. Es sei denn, er sieht aus wie, na ja, Sie wissen schon.

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Diese Form der Fixierung auf Äußerlichkeiten verurteile ich natürlich zutiefst. Ich plädiere dafür, hinter Fassaden zu blicken - während ich selbst einen Gutteil meines Vermögens in den Erhalt meiner Fassade stecke. Wenn man die Anzahl meiner Schmink-Utensilien betrachtet, käme man auch nicht automatisch drauf, dass mir ein gutes Gespräch wichtiger ist als ein gutes Make-up. Und in der Zeit, die ich in meinem Leben auf Laufbändern und in "Complete Body Workout"-Kursen verbracht habe, hätte ich mich auch habilitieren können.

Meine Freundin Corinna ist im Vorstand einer erfolgreichen Firma. Corinna arbeitet ungefähr 845 Stunden in der Woche, und wenn man sich mit ihr verabreden will, spricht man darüber am besten mit ihrer Sekretärin. Die meisten ihrer Vorstandskollegen haben sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Corinna klug ist, machtbewusst und noch dazu sehr gut aussieht. Privat lebt sie bewusst mannlos, weil sie keine Lust auf Kompromisse hat, bloß weil sie mehr verdient, als die meisten Typen aushalten können. Sie sagt: "Das kastriert Männer."

Nächste Woche fährt Corinna für ein paar Tage zu Wellness und Schönheitspflege. "Ich finde, meine Firma sollte sich am Erhalt meines Äußeren finanziell beteiligen", sagt sie. "Je besser ich aussehe, desto besser fühle ich mich, desto besser arbeite ich".

Ja, Leute, so ist es nämlich. Es lohnt sich nicht nur, schön zu sein, um andere zu beeindrucken, sondern auch sich selbst. Frauen, die geschminkt sind, werden für selbstbewusster gehalten, und im Vergleich zu ungeschminkten werden ihnen anspruchsvollere Berufe zugetraut. Und: Sitzen Frauen ohne Make-up vorm Spiegel, lächeln sie sich 0,9-mal zu. Nachdem sie sich selbst geschminkt haben, lächeln sie sich fünf-, und wenn sie von einer Visagistin gestylt wurden, sogar achtmal zu. Dabei sinkt langsam die Stirntemperatur - ein wissenschaftlicher Indikator für körperliches Wohlgefühl.

Und noch ein erschreckendes Experiment, wo wir gerade dabei sind: Wenn man Männer und Frauen Mathe-Aufgaben lösen lässt, gibt es keine Unterschiede in den Leistungen. Allerdings nur, wenn alle Versuchspersonen bekleidet sind. Frauen in Badesachen schneiden deutlich schlechter ab als Männer in Badesachen, weil sie sich über ihr Aussehen mehr Gedanken machen als über die Aufgaben.

Nun gut, wir wissen alle, dass Schönheit vergeht. Es gibt also absolut keinen Grund, sich auf sie zu verlassen. Wenn du heute hübsch und doof bist, dann bist du in 15 Jahren nur noch doof. Die Investition in Verstand ist also wie eine Kapitalverlängerung. Wir wissen aber auch, dass Schönheit erreichbarer und haltbarer geworden ist. Wer heute mit 50 so alt aussieht, wie er ist, sieht alt aus. Unsere Sehgewohnheiten haben sich verändert, seit wir umgeben sind von makelloser Schönheit, von gemachter Schönheit, von glattgespritzten Stirnen, gestrafften Bauchdecken und schwerkraftunabhängigen Brüsten.

Demzufolge stieg der Anteil derer, die mit ihrem Körper unzufrieden sind, in den Jahren 1972 bis 1997 von 23 Prozent auf 56 Prozent bei den Frauen und von 15 auf 43 Prozent bei den Männern. Derzeit hält sich in Deutschland nur jeder vierte Junge und jedes fünfte Mädchen für gut aussehend. Kein Wunder: Blöderweise vergleichen sich Menschen nämlich am liebsten mit extrem schönen Artgenossen, wie zum Beispiel Models und Schauspielerinnen. Und wenn selbst die an ihrem Aussehen rummeckern, was soll dann unsereins sagen?

"Ich denke jeden Morgen: O Gott, wie schrecklich sehe ich aus! Im Bad brauche ich trotzdem nie länger als zehn Minuten", sagt Jennifer Lopez, die blöde Kuh, die mit ihrem Arsch Maßstäbe gesetzt und den Verkauf von Po-Implantaten angekurbelt hat.

Was man sich heutzutage alles straffen und aufpolstern lassen kann, ist der helle Wahnsinn: Waden werden verschlankt, Knie entrunzelt. Und seit unter deutschen Duschen die Intimrasur zur Regel geworden ist, werden in Deutschlands Operationssälen immer häufiger auch Schamlippen gerafft und verkleinert. Falten dürfen bei uns demnächst nur noch Vorhänge werfen.

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Ted Linow, Chef der Agentur "Mega Model", die unter anderem Hartje Andresen und Marcus Schenkenberg vertritt, sagt: "Auf Knopfdruck werden mit dem Computer Beine verlängert und Taillen verjüngt. Andersrum wird für Katalogmode ein sehr dünnes Model auch mal aufgeblasen. Schon hat sie Größe 40. Falten gibt es heutzutage kaum noch. Und weil alle digital geglättet werden, möchtest du natürlich nicht der Einzige mit einem Entenhals sein. Was man allerdings immer auf Fotos sieht, ist Dummheit. Die können sich nur die ganz jungen Mädchen erlauben. Ab 24 brauchst du Ausdruck."

Angelina Jolie findet sich nicht hübsch, Nicole Kidman hätte lieber den Körper von Jennifer Lopez - bloß Veronica Ferres ausgerechnet findet sich recht ansehnlich. Sie liebt ihre Falten, "denn jede einzelne bedeutet gelebtes Leben". Das könnte man natürlich auch über jeden verlorenen Zahn und jeden Tränensack sagen.

Dr. Regina Wagner, Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie mit eigener Praxisklinik in Hamburg, sagt: "Falten fehlen keinem. So wenig wie ein Schnupfen." Längst sind es nicht mehr nur Schauspielerinnen, Models und eitle Millionärsgattinnen, die sich für die Schönheit unters Messer legen. 70 Prozent der Deutschen haben keine Einwände mehr gegen Schönheits-Operationen. Im Gegenteil. Es gibt Düsseldorferinnen, die mit Stolz ihre Verbände spazieren tragen. Da gilt, ähnlich wie in Amerika, die neue Nase als Statussymbol. "Was das angeht, gibt es in Deutschland ein Nord-Süd-Gefälle", sagt Dr. Wagner. "In München freut man sich, auf einer Party dem Schönheits-Chirurgen zu begegnen. In Hamburg wird mit dem Thema etwas dezenter umgegangen." In Dr. Wagners Praxis gibt es aus Diskretionsgründen zwei Wartezimmer, um prominente Kundschaft aneinander vorbeizuschleusen. Patientinnen sind in der Regel zwischen 35 und 45 Jahre alt, sehen von hinten immer noch aus wie Mitte 20 und fühlen sich nicht so alt, wie sie sind. Dr. Wagner sagt: "Ich zurre Gesichter nicht glatt. Und ich operiere auch keine Launen von Teenagern. Aber die Natur ist grausam. Warum sollte man ihr freien Lauf lassen? Man geht ja auch mit 70 noch zum Friseur. Die meisten meiner Patientinnen bereuen nach der Operation nur eines: dass sie den Eingriff nicht schon früher haben machen lassen."

Es ist so schön, schön zu sein. Schönheit macht das Leben einfacher. Aber glücklicher macht gutes Aussehen nicht. Komisch eigentlich. Aber gerecht. Ähnlich wie Geld ist auch Schönheit etwas, woran man sich gewöhnt. Wer ständig in den Genuss von Vorteilen kommt, genießt sie irgendwann nicht mehr. Was jedoch definitiv unglücklich macht, ist: sich an einem unerreichbaren Ideal zu orientieren. Sich leblos liften zu lassen in der Hoffnung, einen Kampf zu gewinnen, den man von vornherein verloren hatte.

Wie weit darf man gehen im Ringen um die Schönheit, ohne Schaden zu nehmen? Und wie weit sollte man gehen, um das Beste aus sich zu machen - außen und innen? Mein Freund Leo ist ein anderer Mensch geworden, nachdem er 25 Kilo verloren hatte, regelmäßig zum Friseur ging und begann, Wert auf sein Äußeres zu legen. Ich kannte ihn früher nicht, aber er sagt von sich selbst, dass er ein rechtes Scheusal war, sich ständig zurückgewiesen fühlte und darauf mit Arroganz reagierte. Je besser er aussah, desto freundlicher wurde er. Heute werfen sich ihm die leckersten Mädchen an den Hals, und er fragt sich immer noch hin und wieder, ob es sich um eine Verwechslung handelt. Das gute Aussehen hat ihm extrem gut getan.

"Es kann niemanden verwundern, dass die Schönen oft auch die Gewinnenderen und Sympathischeren sind; waren sie doch in vielen kleinen, episodenhaften Alltagssituationen - vom Kindergarten bis in die Vorstandsetage, von der Klassenfahrt bis zum festlichen Stehempfang - weniger allein und seltener ausgeschlossen und gemieden, weniger oft verletzt und gedemütigt, häufiger beachtet und willkommen geheißen, viel öfter mit einem Lächeln bedacht und mit großzügiger Nachsicht behandelt als ihre weniger ansehnlichen Altersgefährten", schreibt der Sozialwissenschaftler Bernd Guggenberger in seinem Buch "Einfach schön". Und: "Der Schöne kann leichter der werden, für den man ihn hält."

Das stimmt. Und deswegen, man muss es leider so sagen, lohnt es sich zu versuchen, so schön wie möglich zu sein. Genauso, wie es sich lohnt, freundlich zu sein, neugierig zu bleiben und am späten Abend auf Kohlehydrate zu verzichten. Natürlich kann man sich dem ganzen Zirkus auch verweigern, sich die Augenbrauen zusammenwachsen lassen, Gesundheitsschuhe tragen und sich die Haare mit einem Einmachgummi aus dem ungeschminkten Gesicht binden. Wem es wirklich egal ist, wie er aussieht, der soll aber auch nicht drüber meckern, dass man ihn nicht gern anschaut.

Sophia Loren, die noch immer blendend aussieht, sagt: "Disziplin ist auf so vielen Gebieten des Lebens der Schlüssel zum Erfolg. Wenn Sie keine Disziplin aufbringen, wird es Ihnen schwer fallen, schön zu sein. Ist eine unscheinbare Frau diszipliniert, wird sie zweifellos mit der Zeit schöner. Machen Sie sich klar, was Sie vom Leben erwarten und wie Sie Ihre Zeit nutzen wollen. Jetzt gibt es für Sie keine Entschuldigung mehr, nicht schön zu sein." Helena Rubinstein hat gesagt: "Es gibt keine hässlichen Frauen. Nur faule."

Es ist nicht wichtig, gut auszusehen. Aber so gut wie möglich. Respekt zu haben vor sich selbst und seinem Äußeren. Mich nerven die Leute, die sich keine Mühe mit sich geben. Die in Trekking-Sandalen durch griechische Tempel schlurfen, die fremde Länder mit ihren bequemen Freizeitklamotten verschandeln. Ich mag sie nicht, die Menschen, die zufrieden mit sich sind, ohne Grund dafür zu haben. Zufriedenheit ist keine Tugend. Es geht um Disziplin und Höflichkeit sich selbst gegenüber. Es geht auch um Würde und darum, den guten Weg zu finden zwischen den Extremen, zwischen dumpfer Ablehnung von Oberfläche und gefährlichem Schönheitswahn.

Es geht darum, besser zu werden von Tag zu Tag. Sich zu verändern, zu reifen, heute klüger zu sein als gestern, lustiger, weiser vielleicht und ja, auch schöner.

"Es gibt passive Schönheiten auf dieser Welt. Ich war nie eine von ihnen. Ich musste kämpfen für meine Ziele, meine Kraft, für meinen Körper. Ich bin immer eine sehr aktive Person gewesen." Das sagt Madonna. Der Kampf hat sich ganz offensichtlich gelohnt. Er lohnt sich immer. Und für jeden.

Text: Ildikó von Kürthy

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