Anzeige

Wird ein Eimer Eiswasser meiner Krankheit gerecht?

Wird ein Eimer Eiswasser meiner Krankheit gerecht?
© privat
Seit Wochen schütten sich Menschen Eiswasser über den Kopf, um auf die Krankheit ALS aufmerksam zu machen. Aber hilft die Ice Bucket Challenge den Kranken wirklich? Yvonne Weindel hat selbst ALS und glaubt: ja.

Ich habe ALS. Seit zwei Jahren kenne ich die Diagnose. Erst konnte ich meine rechte Hand nicht mehr bewegen, inzwischen ist der gesamte rechte Arm betroffen. Ich kann mir nicht mehr alleine den BH zumachen, nicht alleine die Schuhe binden oder meinen drei Kindern die Schulbrote schmieren. Manchmal habe ich Aussetzer beim Reden. Ich bin 41 Jahre alt. Ich fühle mich wie eine alte Frau. ALS ist eine Muskelkrankheit. Ich weiß, wie ich sterben werde: Mein Körper wird nach und nach lahm werden, bis ich keinen Muskel mehr bewegen kann. Dann klappt auch das Atmen nicht mehr.

Und nun also: die Ice Bucket Challenge. In den sozialen Netzwerken kippen sich Promis und normale Menschen einen Eimer Eiswasser über den Kopf. Sie wollen damit auf meine Krankheit aufmerksam machen, die Menschen zum Spenden animieren. Manche sehen auch nur die Gaudi, wissen wohl auch nach dem Eiswasser nicht, wofür ALS steht. Wird das meiner Krankheit gerecht?

Nein, ein Eimer Eiswasser wird ALS nicht gerecht. Ich denke aber, dass die Frage falsch gestellt ist. Denn ich finde die Aktion gut. Es ist gut, dass meine Krankheit endlich mediale Aufmerksamkeit bekommt. Die ALS-Forschung in Deutschland ist gleich null. Der Stand der Wissenschaft hat sich seit 20 Jahren nicht verändert. Man weiß nicht, was ALS auslöst. Medikamente, die die Krankheit spürbar verlangsamen oder heilen gibt es noch nicht. Die Lebenserwartung liegt im Schnitt bei wenigen Jahren. Ich selbst hoffe auf vielleicht zehn Jahre.

Für mich persönlich heißt das: Ich werde wohl nicht erleben, wen meine Kinder heiraten. Welche Berufe sie ergreifen werden. Ich muss meinen Mann zurücklassen. Ich frage mich, ob wir unseren Alltag abbrechen sollten, raus aus allem, etwas ganz anderes erleben: ein anderes Land, mehr Zeit für uns. Dann denke und merke ich, dass uns der Alltag auch gut tut. Ich frage mich, wie ich sterben möchte. Ich habe Angst vor dem Tod.

"Ich will, dass endlich zu der Krankheit geforscht wird. Dass die Menschen wissen, was ALS ist."

Das alles treibt mich an. Ich will, dass endlich zu dieser Krankheit geforscht wird. Dass die Menschen um mich herum wissen, was ALS ist. Und ich es nicht der Behörde, die den Behindertenausweis ausstellt, mit zig Einsprüchen erklären muss. Oder manchen Ärzten, die mit der Diagnose kaum etwas anfangen können und damit überfordert sind. Ich will, dass die Menschen wissen, dass schon junge Menschen davon betroffen sein können. Die Ice Bucket Challenge sehe ich deshalb als Chance. Sie kann etwas lostreten. Wenn da ein, zwei oder fünf Millionen gespendet werden und in die Forschung fließen ...

Wird ein Eimer Eiswasser meiner Krankheit gerecht?
© Rucosky/ dpa picture alliance

Und dann ist es ja auch eine Gaudi. Ich bin von manchen Videos begeistert. So humorvoll, so verspielt. Manche auch ganz behutsam. Mitleid bekommst du eh. Also passt das gut, dass da jetzt ein bisschen anders rangegangen wird. Meine Meinung ist: Macht die Gaudi, habt Spaß. Aber gebt uns dann das Geld, vergesst nicht zu spenden!

Für mich persönlich war die Ice Bucket Challenge übrigens tatsächlich eine ganz, ganz große Challenge und nicht nur im Wortsinn eine Eisdusche. Ich habe mein Video an meine Freunde und Bekannten geschickt. Ich habe meine Krankheit lange verdrängt, bis vor Kurzem wussten nur die engsten Freunde und meine Familie von der Diagnose. Die Challenge war für mich ein Hallo-wach. Ich wusste: Ich mache da mit. Erkläre mich so. Die Reaktionen waren und sind berührend. Das gibt mir Kraft.

Wer mehr über ALS erfahren oder spenden möchte, findet hier weitere Informationen: www.als-hilfe.org

Video: Der Hype um die Ice Bucket Challenge

Protokoll: Madlen Ottenschläger

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel