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Schwangerschaftsbetreuung Hebamme Maike Jansen: "Man könnte unendlich viel helfen"

Alles gut im Bauch? Hebamme Maike Jansen kümmert sich um schwangere Frauen ohne Papiere
Alles gut im Bauch? Hebamme Maike Jansen kümmert sich um schwangere Frauen ohne Papiere
© Clemens Schneider
Hebamme Maike Jansen versorgt schwangere Frauen in Hamburg, die offiziell gar nicht existieren. Ein Besuch.

Bei Maike Jansen, 44, fühlt man sich sofort wohl: Ihre blauen Augen lachen mit, wenn sie lacht, sie trägt einen bunten Pulli und ihre Hände wärmt sie an einer extra großen Tasse Tee, auf der steht: "Make today awesome". Wir sitzen an einem kühlen Frühlingstag in ihrem Behandlungszimmer der Hamburger Praxis "Andocken" und sie erzählt von den Frauen, für die sie da ist. Denn das macht sie schon seit ihrem Abitur gern: für andere da sein, die es nicht so gut haben wie sie. 

Drei Mal pro Woche bietet sie eine Hebammensprechstunde bei "Andocken – Hilfe für Menschen ohne Papiere" an. Zu ihr kommen schwangere Frauen, die keine Aufenthaltspapiere haben und auf sich allein gestellt sind. Rund 250 im Jahr sind es, die sie und ihre Kollegin Anna Müller versorgen – die meisten kommen aus Westafrika, ein paar aus Lateinamerika und Asien. Viele sind vor Gewalt, Zwangsheirat oder anderen traumatischen Erlebnissen in ihrem Heimaltland geflüchtet. Manche mit Touristenvisum, das nach drei Monaten abläuft, oder – wenn sie über die gefährliche Mittelmeerroute gekommen sind –, oft ganz ohne Papiere. 

Und dann sind sie plötzlich schwanger in der Fremde und haben keinen Zugang zur Gesundheitsvorsorge, weil sie ja eigentlich gar nicht existieren. Sie haben kein Geld, kein soziales Netz, keine sichere Unterkunft. "Gestern kam eine Frau in der 6. Schwangerschaftswoche, die vergewaltigt worden ist. Da ist der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch schwierig. Denn wer trägt die Kosten und wie soll das gehen, ohne dass die Frau registriert wird?" Bei solchen Fragen unterstützt dann die Sozialberatung, die die Praxis der Diakonie ebenfalls anonym und kostenlos anbietet.

Alle haben Angst vor Abschiebung

Davor haben alle Angst: aufzufliegen und abgeschoben zu werden. Deshalb kommen die werdenden Mütter meist auch erst spät in der Schwangerschaft zu Maike Jansen: "Die Angst, erwischt zu werden, spielt bei allem eine große Rolle." Wer den Weg in die Praxis gefunden hat – meist über Mund-zu-Mund-Propaganda –, bekommt eine Erstuntersuchung und einen Mutterpass, die ganz normale Vorsorge eben. "Außerdem versuchen wir, Vertrauen aufzubauen", sagt die Hebamme, und das klappt meist schnell: Schon beim zweiten Besuch fingen viele an, zu erzählen, weil sie spürten, dass sie sicher bei ihr sind. 

Fast alle seien Risikoschwangerschaften. Allein aus psychosozialen Gründen – weil die Frauen weder Unterkunft noch Geld haben. Die Putzjobs in privaten Haushalten, die einige vor Corona hatten, sind weggebrochen. Die Frauen leben meist davon, dass ihnen jemand auf der Straße oder in einer Kirchengemeinde Geld zusteckt, manche versuchen auch, etwas vom Kindsvater zu bekommen, sofern sie ihn kennen. Öffentliche Essenausgaben werden aus Angst vor Entdeckung gemieden. "Oft ernähren die schwangeren Frauen sich total schlecht, weil sie gar keine Möglichkeit haben, ausgewogen zu essen", sagt Jansen. Hinzu komme dann manchmal auch noch Schwangerschaftsdiabetes, Bluthochdruck oder - nach der Blutabnahme - eine Hepatitis- oder HIV-Diagnose. Die muss Jansen den Frauen dann mitteilen, sie auffangen und begleiten. Mit ihrer Kollegin hat sie ein Netzwerk aufgebaut, wo HIV-positive Frauen medikamentös behandelt werden, damit das Baby nicht auch infiziert wird.

"Man muss Abstand wahren, um helfen zu können"

Und wo schlafen die Frauen? Das weiß Maike Jansen auch nicht so genau, nur dass einige von ihnen in Kirchengemeinden oder Moscheen unterkommen, aber dann auch nur nachts. Oder dass sie in der S-Bahn hin- und herfahren. Die Frauen seien häufig den ganzen Tag draußen und liefen mit ihrer Tüte durch die Stadt. Manche leiden unter Harnwegs- und Pilzinfektionen, besitzen nicht mal Unterwäsche, auch hier helfen die Hebammen aus. Man könnte unendlich viel helfen, sagt Jansen, am liebsten jede Frau mit nach Hause nehmen, das hat selbst ihr kleiner Sohn schon vorgeschlagen. Doch die Hebamme braucht ihren Rückzug: "Das alles nimmt dich schon mit. Ich brauche mein Zuhause, um mich zu erholen und Kräfte zu sammeln." Sie wohnt ländlich und sorgt für sich, indem sie viel spazieren geht. "Man muss Abstand wahren, um helfen zu können. Sonst ist es irgendwann zu viel."

Trotz aller Schicksale gibt es auch Schönes

Bei allen Schicksalen gibt es aber auch Positives und das ist Jansen wichtig, zu erzählen: Eine junge Frau aus Elfenbeinküste sei der Genitalverstümmelung entgangen, indem sie bei Nacht und Nebel geflohen ist. Weil sie in Deutschland ein Mädchen geboren hat, hat sie nun das Aufenthaltsrecht bekommen, damit ihre Tochter vor der grausamen Praxis geschützt ist. Außerdem wohne sie bei ihrem deutschen Freund, der Arbeit hat. "Da weiß man, das kann gut werden", sagt Jansen hoffnungsvoll und ihre Augen lachen wieder. Sie erzählt auch von der vierfachen Mutter aus Senegal, einer Hebamme, die heute in einem Hamburger Krankenhaus ihrem Beruf nachgeht. Und von der Studentin aus Uganda, die von einem alten Stammesführer in der Heimat ein Agrarstudium finanziert bekam. Die junge Frau war zum Praktikum nach Deutschland geschickt worden und blieb, um der geplanten Zwangsheirat mit ihrem "Gönner" zu entgehen. "Ich glaube, dass sie hier eine Zukunft hat, einfach weil sie studiert hat."

Aber was passiert mit den schwangeren Frauen, wenn sie die Vorsorge bei Jansen abgeschlossen haben? Ab der 32. Schwangerschaftswoche bis acht Wochen nach der Geburt können sie zur Ausländerbehörde gehen, ohne zu riskieren, ausgewiesen zu werden, erklärt Jansen. In dieser Zeit sind sie dann auch krankenversichert. Falls sie es nicht wagen, zum Amt zu gehen, sind die Krankenhäuser aufgrund des Notfallparagrafen trotzdem verpflichtet, sie zu entbinden. Jansen weiß aber, dass Schwangere dort auch abgewiesen werden. Darum kümmert sich dann wieder die Sozialberatung bei "Andocken". Doch was, wenn die spendenfinanzierte Hebammensprechstunde wie vorgesehen zum Jahresende wirklich ausläuft? "Das weiß ich auch nicht", sagt Jansen und wird ernst. "Ich mache mir keine Sorgen um mich, ich werde immer Arbeit haben. Ich mache mir Sorgen um die Frauen. Wo sollen die dann hin?" 

Info: Alle Unterstützungsangebote von "Andocken" sind spendenfinanziert. Für die Fortführung der wichtigen Arbeit der Hebammen kann hier gespendet werden:

Brigitte

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