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Roadtrip als Neuanfang: "Ich wollte endlich wieder am Leben sein"

Lena Wendt und Ulli Stirnat in Westafrika
© Lena Wendt / Ulli Stirnat / Privat
Zwei Menschen, zwei Jahre, ein Traum: Freiheit statt Burn-out und Sinnkrise. Lena und Ulli aus Hamburg hatten mit knapp 30 genug vom Hamsterrad in Deutschland, schmissen ihr altes Leben komplett hin und starteten die Reise ihres Lebens.

Einfach alles hinschmeißen, durch die Welt reisen, das Leben spüren? Lena Wendt und Ulrich Stirnat haben genau das gemacht. Sie haben ihr altes Leben in Hamburg aufgegeben, um während einer Reise durch Afrika herauszufinden, was für ein Leben sie führen wollen

Ulli bekam Burn-Out und Lena eine Krise

Eigentlich führten die beiden ein sehr klassisch-erfolgreiches Leben: seit einem Jahren zusammen, gute Jobs als Journalistin und Medizintechnikingenieur, Hund, schicke Altbauwohnung in Hamburg-Eimsbüttel – alles schien perfekt. Doch dann bekam Ulli Burn-Out und Lena eine Krise. Das Leben in Deutschland mit Dauer-Arbeit, tausend Versicherungen und Frustkonsum erschien Lena "wie ein schlechter Witz":

"Ich wollte endlich wieder am Leben sein, einfach abhauen, mich selbst wieder spüren".

Ulli schwirrte diese Frage im Kopf herum:

Mit Anfang 30 Burn-out? Das soll mein Leben sein? Wo sind mein Spaß, meine Freude, mein Lachen geblieben? 

Im Spätsommer 2014, da war Lena 28 und Ulli 29, kauften die beiden sich einen alten Landrover, kündigten ihre Jobs, vermieteten ihre Wohnung unter – und machten sich auf den Weg nach Afrika. Ihr Plan: sechs Monate reisen und von Hamburg bis nach Südafrika fahren.

Was daraus wurde: zwei Jahre Reise durch Westafrika und ein Film über das Sich-selbst-wiederfinden, der ab März 2019 in den deutschen Kinos zu sehen sein wird: "Reiss aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum." Eine Geschichte, die Mut macht, aus dem Alltag auszubrechen und seine Träume zu verfolgen – hier kannst du den Trailer sehen:

Roadtrip durch Westafrika: Ulrich Stirnat und Lena Wendt

Cool! Und wie bezahlt man so eine Reise?

Wie Lena und Ulli ihre Reise finanziert haben, wie der Trip durch Afrika ihre Beziehung verändert hat und wie ihr Leben danach weiterging, verraten Lena und Ulli hier im Interview!

BRIGITTE.de: Burn-out und Sinnkrise – würdet ihr jedem Menschen in einer solchen Situation dazu raten, einfach alles hinzuschmeißen und zwei Jahre lang durch ein fremdes Land zu reisen?

Ulli: Nein, sicher nicht. Ich habe damals auch nicht einfach alles hingeschmissen. Als mein Burn-out akut war, habe ich eine Psychotherapie angefangen und diese besucht, bis wir losgefahren sind. Die Idee, etwas zu verändern ist mitunter auch dadurch entstanden. Meine Therapeutin fand es nicht besonders ratsam auf eine so große und lange Reise zu gehen, oder sagen wir, sie fand es interessant und gewagt. Ich hatte zu Anfang der Reise die naive Vorstellung, dass wenn ich wegfahre, alles einfach gut ist. Ich meinen Ballast und meine Probleme zu Hause lasse. Tapetenwechsel sozusagen. Da habe ich mich aber getäuscht. Du nimmst Dich selbst immer mit, komplett. Die Reise, diese zwei Jahre unterwegs, raus aus allem Gewohnten haben mich sehr schnell an meine Grenzen gebracht. Ich war quasi permanent außerhalb meiner Komfortzone. Das war aber gleichzeitig auch das Gute und Heilende. Ich musste mich unterwegs Herausforderungen stellen, konnte nicht vor ihnen weglaufen. Und ich bin häufig zunächst gescheitert – sei es beim Reparieren vom Auto, Diskussionen mit der Polizei, oder oder oder. Aber es gab keine Möglichkeit wegzulaufen. Ich musste da durch. Und am Ende hat immer alles geklappt – Es wurde alles gut, wie Lena so gern sagt. Diese Erkenntnis und die gesammelten Erfahrungen haben mein Selbstbewusstsein, dass durch die Depression so gut wie weg war, wieder aufgebaut. Insofern hat die Reise mir ein unheimlich großes Geschenk gemacht. Sie war mein persönliches Erfolgserlebnis. Auch wenn wir nicht in Südafrika angekommen sind.

Wie oft hattet ihr während der Planung Zweifel an eurer Idee – und warum habt ihr trotzdem weitergemacht?

Lena: Welche Planung? 🙂

Ulli: Zweifel hatte ich bei der Planung und Vorbereitung der Reise nicht, ich habe mich auf gefühlt alle Eventualitäten vorbereitet. Viel zu viel! Obwohl, doch, einmal gab es Zweifel: Vielleicht drei Wochen, bevor es losgehen sollte, als wir immer noch keinen Zwischenmieter für unsere Wohnung gefunden hatten. Allerdings hatte ich nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Das Auto musste noch fertig ausgebaut werden.

Wie habt ihr eure Reise finanziert?

Lena: Wir hatten beide gute Jobs, Ulli als Medizintechnik-Ingenieur, ich als freie Journalistin. Ich habe schon immer jeden Penny zur Seite gelegt, um zu reisen und wir beide haben nicht viel Geld zum Leben ausgegeben. Ulli hat vor der Reise eine Excel-Tabelle angelegt und errechnet, dass wir ca. 10.000 Euro pro Person und Jahr brauchen. Am Ende haben wir VIEL weniger ausgegeben. Das teuerste waren Sprit, Ersatzteile und Visa. Ansonsten haben wir meist wild gecampt, selbst gekocht, lokale Lebensmittel sind meist sehr günstig und selbst, wenn wir mal Essen waren, hat das irgendwas zwischen 10 Cent und 1,50 Euro gekostet.

Welche Momente während der Reise waren am schönsten für euch? 

Lena: Die vielen, unfassbar tollen Begegnungen, die wir hatten. Wenn wir uns drauf eingelassen haben und für eine Weile im Leben der Menschen vor Ort eingetaucht sind. Gemeinsam zu lachen, mit Händen und Füßen zu kommunizieren, alles zu teilen, uns gegenseitig Zeit miteinander zu schenken. Das sind Momente, die werden wir nie vergessen.

Ulli: Ja, definitiv die Begegnungen mit den Menschen überall. Ich hatte viele Vorurteile und Ängste vor und während der Reise. Nach und nach wurden sie durch positive Erfahrungen zunichte gemacht. Es heißt nicht umsonst "Reisen ist tödlich für Vorurteile". Ich war auch unheimlich beeindruckt von der Natur, die uns überall begegnet ist, den stillen Momenten mit mir selbst. Die Weite der Wüste, der grüne Grand Canyon in Guinea, unglaublich.

Welche Momente haben euch am meisten verändert? 

Lena: So unglaublich viele. Leise, laute, subtile und offensichtliche Momente. Zum Beispiel: in der Wüste sein, nichts um uns herum außer Sand und Stille. Das 24 Stunden aufeinander hocken und es aushalten, permanent den Spiegel vorgehalten zu bekommen. 16 Stunden Auto fahren bei 40 Grad ohne Klimaanlage und auf Grund der schlechten Strecke gerade mal 15 km weit kommen, während das ganze Auto auseinanderfällt. Mit dem Tod konfrontiert zu sein und zu verstehen, dass wir keinen blassen Schimmer vom Leben haben und all der Härte neben der ganzen Schönheit. 

Ulli: Da habe ich nichts hinzuzufügen 🙂

Wie hat diese Reise eure Beziehung verändert?

Lena: Diese Reise hat uns auseinandergebracht und gleichzeitig zusammen. Wir haben uns gegenseitig so verletzt, wie sonst vielleicht noch nie jemanden und gleichzeitig die Hosen voreinander runtergelassen, weil es keine andere Möglichkeit gab. Das hat dazu geführt, dass wir uns so gut kennen, wie niemand anderes. Wären die Autopapiere nicht auf Ullis Namen gewesen, weil er alle Vorbereitung gemacht hat und ich mich vorab null gekümmert habe, hätte ich ihn sicher in der Wüste stehen lassen. Ich denke, die Reise hat bewirkt, dass wir mehr als nur einmal über uns hinausgewachsen sind. Dass wir Dinge gemeinsam durchgestanden haben, die uns, wären wir daheim geblieben, ganz sicher sofort auseinandergebracht hätten. Ganz einfach, weil es "einfacher" ist, sich in gewohnter Umgebung zu trennen und etwas oder jemand Neuem zu widmen.

Ulli: Da hat Lena absolut Recht. Bei den Dingen, die uns auf der Reise passiert sind, wären wir sicher nicht zusammengeblieben, hätte es die Möglichkeit gegeben, einfach auszusteigen. Mein Gefühl ist: Wir leben zu Hause einfach in einer Wegwerf-Gesellschaft, das gilt auch für Beziehungen. Jeder sehnt sich nach dem vollkommenen Glück, aber viele sind nicht bereit, auch durch die manchmal sehr tiefen Täler zu gehen. Ich schließe mich da selber gar nicht aus. Vor der Reise wusste ich ganz einfach nicht, was es heißt, an der Beziehung zu arbeiten. Erst die Erfahrung hat das verändert.

Seit wann seid ihr zurück von eurer Reise und wie habt ihr seither euer Leben gestaltet?

Lena: Wir sind Ende August 2016 zurückgekommen. Ich nur unter dem Kompromiss, alle Pflichten innerhalb von zwei Monaten zu erledigen und sechs Monate nach Marokko zu ziehen für die Surfsaison. Mal wieder eine richtige Wohnung zu beziehen, wo jeder Raum hat für sich selbst und das, was ihm Spaß macht. Das haben wir getan. Nach der Rückkehr im Mai 2017 hatten wir die Schnapsidee, einen Kinofilm zu machen. Und erst nachdem wir bereits allen davon erzählt haben, haben wir gemerkt, was das bedeutet und was so ein Film kostet. Da war es aber schon ausgesprochen. Durch alle Unterstützer beim Crowdfunding, wo wir getauscht haben – etwas, was uns auf der Reise heilig geworden ist –, mit Hilfe unserer Familien und unseren letzten übrigen Ersparnissen haben wir es wirklich geschafft, "Reiss aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum." zu finanzieren. Im Nu hatten wir ein winziges Filmteam aus alten und neuen Freunden gebildet und durften glücklicherweise bei guten Freunden für die gesamte Produktionszeit unterkommen. All das wäre nie ohne die ganze Unterstützung möglich gewesen, die von Anfang an von so vielen Seiten da war. Ich habe im lokalen Sportverein angefangen, Yoga zu unterrichten und so waren wir im Nu Teil der Dorfgemeinschaft. Ulli hat neben dem Film eine Ausbildung zum Hundetrainer und Surflehrer gemacht, ich meine Imkerausbildung. Ich kann das Pony der Nachbarin im Tausch von Misten und Pferdefüttern reiten, wir sind Foodsaver und ich habe jetzt tatsächlich noch ein Buch neben dem ganzen Filmprojekt geschrieben, welches gemeinsam mit dem Film erscheint. Ab Februar sind wir mit dem Film unterwegs und dann auch wieder ohne zu Hause. Ulli, Fufu, Odylo und ich. Und was danach kommt, werden wir sehen. Sicher was ganz Wunderbares.

Wenn ihr noch einmal entscheiden müsstet: Würdet ihr wieder für diese Reise entscheiden?

Lena: Auf jeden Fall. Ohne diese Reise, genau so, wie sie verlaufen ist, wäre ich heute nicht an dem Punkt, an dem ich bin. Ich bin so unglaublich gewachsen an ALLEM, was passiert ist und diese Reise war ein unglaubliches Geschenk. Dafür bin ich einfach nur dankbar!

Ulli: Das geht mir genauso. Diese Reise mit all ihren wunderbaren und schwierigen Momenten hat mich verändert zu dem Menschen, der ich jetzt bin. Ich bin dankbar für alles, was passiert ist. 

Und was würdet ihr dann eventuell anders machen?

Lena: Nichts, sonst wäre ich heute nicht hier.

Ulli: Haha, same here. Aber ich würde ein paar andere Ersatzteile mitnehmen. Jetzt weiß ich, was wirklich wichtig ist. Und weniger Klamotten! Viel weniger Klamotten!

Und – ist schon die nächste lange Reise geplant?

Lena: Der Film ist gerade die Reise. Und was die Zukunft bringt, sehen wir, wenn sie da ist 🙂

Ulli: Momentan ist wirklich nichts planbar. Aber das ist okay so. Meine Planungssucht von früher ist geheilt. Sich treiben lassen und Vertrauen haben ist auch sehr schön. Manchmal geistert in meinem Kopf aber ein Gedanke herum. Ich fühle mich erst jetzt, lange nach der Reise, wirklich bereit dafür. Ich war noch nie in Südafrika. Da wollten wir ja mal hin. Also vielleicht, vielleicht geht es einfach nochmal los. Diesmal wirklich nach unten.

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