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Weniger kaufen: Meine kleine Revolte

Nur 20 Prozent von dem, was wir im Schrank haben, ziehen wir auch regelmäßig an. Meike Dinklage versucht deswegen einfach weniger zu kaufen — ein kleiner Protest gegen den Billig-Konsum.
Weniger kaufen: Meine kleine Revolte
© Sonja Marterner

Das Foto erschien Ende April, kurz nach dem Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch mit 1127 Toten: ein namenloses Paar, fast völlig verschüttet, das sich im Tod umarmt. Das Foto ist zum globalen Sinnbild für die Tragödie der Textilarbeiter geworden. Ich habe es eine Weile angestarrt, ich habe mich einfach nicht getraut, weiterzublättern.

Zwei von fast vier Millionen. So viele Textilarbeiter schuften in Bangladesch in den Fabriken, jeden Tag zwölf Stunden, oft länger, oft ohne Überstundengeld, ohne Rechte. Um ein, zwei Euro im Monat sparen zu können, nähen sie Klamotten, von denen sie nicht mal ahnen, dass wir sie für den Gegenwert eines Kaffees im Pappbecher kaufen und wegwerfen, wenn uns die Farbe nicht mehr gefällt. Die beiden Toten sind Teil eines Systems, und wir sind es auch.

Wenn man dieses System durchbrechen will, ist es schwierig, das richtige Mittel zu finden. Wenn ich will, dass es den Hühnern einigermaßen gutgeht, kaufe ich Öko-Eier. Wenn ich will, dass das Ehegattensplitting fortbesteht, wähle ich CDU. Wenn ich keine Atomtransporte will, setze ich mich auf die Gleise.

Aber wenn ich will, dass Fabrikarbeiterinnen in Bangladesch, Indien, Nepal oder Bulgarien fair bezahlt werden? Was tue ich dann?

Es gibt keine geraden Wege auf dem globalisierten Textilmarkt. Es gibt nur sehr viele Einzelinteressen. Internationale Konzerne, die ihre Gewinne steigern wollen. Fabrikbesitzer, die schnelles Geld machen wollen, an jedem Arbeitsschutz vorbei. Kunden, die möglichst viel Mode für möglichst wenig Geld kaufen wollen. Arbeiterinnen, für die ein bisschen Lohn mehr ist als das Nichts, das sie in ihren Dörfern verdienen können. Und mittendrin: wir. In einem Haufen Widersprüche. Auch wenn eine Hose 150 Euro kostet, ist das keine Garantie, dass sie nicht für einen Hungerlohn genäht wurde. Und ob eine Textilfirma, die das neue Brandschutz-Abkommen unterzeichnet hat, auch dafür sorgt, dass die Fabriken regelmäßig kontrolliert werden, steht nicht im T-Shirt-Etikett. Was also tun?

Ich kaufe nicht gern secondhand, und ich habe nicht die Geduld, Klamotten aus der vorletzten Saison so umzunähen, dass ich sie weiter tragen kann, wenngleich das ein Trend ist, in Berlin und Hamburg gibt es bereits solche UpcyclingStores. Aber ich glaube an das Prinzip, bei sich selbst anzufangen. Deshalb kaufe ich seit einiger Zeit nur noch Kleidung, bei der ich absolut sicher bin, dass ich sie gern und viel tragen werde. Experten schätzen, dass man nur 20 Prozent dessen, was im Kleiderschrank hängt, auch trägt, und ich will die restlichen 80 Prozent gar nicht erst anschaffen. Weil das, was ich nicht kaufe, auch nicht unter unwürdigen Bedingungen genäht werden muss. Ich hoffe auf den Markt: Wenn die Unternehmer merken, dass den Kunden auch die sozialen und ökologischen Standards bei der Herstellung wichtig sind, werden sie anders produzieren. Und die Designer werden überlegen, was das für ihre Mode heißt, und womöglich einen neuen, fairen Style kreieren. Ich weiß, es ist nur ein kleiner Boykott, so was versendet sich. Aber welche Möglichkeiten habe ich sonst? Ich will nicht das Wirtschaftswachstum der Welt zum Erliegen bringen, ich glaube nur, dass die Art, wie wir im Moment wachsen, indem wir immer noch mehr noch billiger in einen fast gesättigten Markt drücken, keine Lösung ist.

Ein Bekannter von mir ist viel konsequenter, er trägt seine Klamotten, bis sie auseinanderfallen. Löcher in den Socken, Bundfaltenjeans. Ich könnte das nicht so selbstbewusst wie er. Ganz selten kaufe ich auch noch mal ein T-Shirt für zehn Euro: Ich weiß, es gibt Firmen, bei denen bis zum letzten Nähfaden der Druckknöpfe alles fair ist, aber das kostet entsprechend, und wenn ich ein T-Shirt für den Sport brauche, zum Durchschwitzen und In-die-Tasche-Stopfen, nehme ich ungern eins für 80 Euro.

Es gibt Leute, die sagen, Verzicht bringt nichts, man schadet den Näherinnen, wenn die Fabriken weniger Aufträge bekommen. Und verzichten zu können ist ja an sich schon ein Luxus - was ist mit denen, die von geringen Löhnen oder Hartz IV leben und so wenig haben, dass sie einfach billig kaufen müssen?

Es ist kompliziert. Ich kann nicht alle Widersprüche auflösen. Deshalb tue ich einfach etwas. Etwas ganz Einfaches.

Text: Meike DinklageIllustration: Sonja Marterner BRIGITTE 18/2013

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