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Gründe für die Lebensmittel-Krise

... ist das Schlagwort der Woche. Dabei kommt die weltweite Lebensmittelkrise keineswegs überraschend: Dass Nahrung in vielen Ländern fast unbezahlbar geworden ist, soziale Unruhen die Folge sein werden - all das war absehbar. Die Gründe für den Hunger sind vielschichtig und lange bekannt. Eine Bestandsaufnahme.

Schwindende Anbauflächen

6,6 Milliarden Menschen leben auf der Erde, 81 Millionen kommen jährlich dazu. Banal, aber wahr: Mehr Menschen brauchen mehr Nahrung. Und immer mehr wollen Fleisch essen. China beispielsweise verfügt mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern, fast 20 Prozent der Weltbevölkerung, nur über sieben Prozent der weltweiten Anbauflächen. Zugleich essen Chinesen heute im Durchschnitt vier Mal mehr Fleisch als noch vor 40 Jahren. Statistisch gesehen kamen noch 1970 auf jeden Menschen auf der Welt 0,18 Hektar Ackerfläche, heute sind es nicht einmal mehr 0,11. Beinahe die Hälfte der weltweiten Getreideproduktion wird inzwischen als Viehfutter verwendet. Dadurch entstehen so genannte Veredelungsverluste: Wenn 100 Kalorien als Getreide verfüttert werden, bleiben nur zehn Kalorien als Fleisch zurück - 90 Prozent der geernteten Nahrungskalorien gehen also verloren.

Biosprit

Wertvoller Ackerboden wird aber nicht nur für Viehfutter abgezweigt, sondern auch für Pflanzen für Biokraftstoffe - Flächen, die dann für den Anbau von Grundnahrungsmitteln fehlen. Nach einer aktuellen Berechnung von Greenpeace werden weltweit bereits 23 Millionen Hektar Ackerland für die Biospritproduktion genutzt, damit könnten etwa 400 Millionen Menschen ernährt werden. Ein Viertel der amerikanischen Maisernte wird in diesem Jahr dazu verwendet, Autos zu betanken - bis 2017 soll der Anteil an Biosprit von heute unter fünf Prozent auf 15 Prozent steigen. Aus ölhaltigen Pflanzen wie Raps wird Biodiesel produziert, aus Weizen, Zuckerrohr und Mais entsteht Ethanol, das dem Benzin beigemischt wird. Zahlreiche Industriestaaten haben jährlich steigende Quoten festgelegt, wie viel Biosprit in Kraftstoffen enthalten sein muss: Die EU will den Anteil von Agrosprit am gesamtem Kraftstoffverbrauch bis 2020 auf zehn Prozent erhöhen. Die Absicht dahinter: den weltweiten CO2-Ausstoß zu senken, und auch unabhängiger vom Erdöl zu werden. Die Autoindustrie forciert den Biosprit: Denn den C02-Ausstoß eines Autos durch Biokraftstoff zu senken ist für sie lukrativer, als leichtere und sparsamere Wagen zu bauen. Alexander Hissting, Agrarexperte bei Greenpeace, ist gegen die festen Quoten: "Sie schaffen eine künstliche Nachfrage auf dem Weltmarkt."

Klimawandel

Durch die globale Erderwärmung schmelzen Pole und Gletscher, der Meeresspiegel steigt, so gehen Ackerflächen in Küstennähe verloren. Auch die Klimazonen verschieben sich, das führt immer häufiger zu Missernten. Oft können sich die Landwirte nicht schnell genug auf die neuen Bedingungen einstellen. Fünf bis sieben Millionen Hektar Ackerland gehen nach Schätzungen jährlich durch Erosion, Versalzung oder Austrocknung unwiederbringlich verloren. Neue Flächen können oft nur mit gravierenden Eingriffen in das Ökosystem nutzbar gemacht werden, beispielsweise durch Brandrodungen. Oft sind solche Böden aber schon nach wenigen Jahren ausgelaugt. Vor allem Regenwälder werden zunehmend abgeholzt, in erster Linie, um mehr Weideland zu schaffen. Mehr Rinder produzieren aber auch mehr Mist, also mehr Methangas - und tragen so zusätzlich zur Klimaerwärmung bei.

Finanzmarkt

Auch die Immobilienkrise in den USA hat ihren Anteil am weltweiten Hunger, denn sie ist ein Indiz dafür, dass die Erste Welt ihre ökonomische Souveränität verloren hat. Und wenn im Westen die Finanzsysteme zusammenbrechen, Banken pleite gehen und Staatsfonds aus den Öl-Ländern und den aufsteigenden Schwellenländern in die Bresche springen, dann verlagern Anleger ihre Aktivitäten von den Wertpapieren in den Rohstoffmarkt. Das führt dazu, dass die Preise für landwirtschaftliche Güter mehr als zuvor durch Spekulanten bestimmt werden. Ihre Markterwartungen treiben die Preise hoch - und an der Börse wird der Hunger gehandelt.

Inflation

Dass die Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren trotz der rasanten Veränderungen der Weltwirtschaft halbwegs stabil geblieben sind, liegt auch an den Billig-Importen aus Asien und Osteuropa. Jetzt wächst auch dort der Wohlstand, und damit verteuern sich Lebensmittel und Rohstoffe - die Preise steigen merklich. Dieser Inflationsschub trifft auch Deutschland und Amerika, vor allem aber die ärmeren Länder, denn die können nicht über Währungspolitik eingreifen: In den USA sind im Zuge der Finanzkrise die Zinsen und damit der Dollar niedrig. Und in Europa hält die Zentralbank den Euro auf Kurs, damit ein teurer Euro die ansteigenden Preise abfedert. Die armen Länder dagegen können nicht gegensteuern.

Schutzzölle

Freier Welthandel soll, nach Maßgabe der Industrienationen, zu mehr Wohlstand für alle führen. Zugleich veranlassen Weltbank und Internationaler Währungsfonds die armen Länder dazu, ihre Schutzzölle vor allem für Lebensmittel zu senken oder abzuschaffen. Europa und die USA subventionieren ihre Landwirtschaft mit Milliardensummen, die Überschusse exportieren sie in Entwicklungsländer - dort werden die Produkte dann so billig verkauft, dass die einheimischen Kleinbauern nicht mithalten können. Beispiel Tomatenmark: Früher hatten Tomatenbauern im Senegal ein gutes Auskommen. Dann wurde der Markt geöffnet; plötzlich wurde italienisches Tomatenmark zu Dumpingpreisen importiert - es ist nur deshalb so billig, weil die europäischen Steuerzahler dafür jährlich 300 Millionen Euro Exportsubventionen zahlen. Umgekehrt schützen sich die reichen Länder durch Zölle vor Importen aus Entwicklungsländern. Der kenianische Wirtschaftswissenschaftler James Shikwati hat berechnet: "Würden die reichen Länder ihre Märkte öffnen, brächte das den Entwicklungsländern zusätzliche 700 Milliarden Dollar Einnahmen." Zum Vergleich: Seit 1960 betrug die gesamte weltweite Entwicklungshilfe für Afrika 500 Milliarden Dollar.

Arme Bauern

Wenn Mais, Reis, Weizen stark nachgefragt werden, sollten eigentlich gerade Agrarländer davon profitieren. Ihre Güter lassen sich teurer exportieren, auch die Produzenten haben etwas davon. Doch in vielen Entwicklungsländern haben Bürgerkriege und das Fehlen der Eltern-Generation aufgrund von AIDS dazu geführt, dass Böden nicht intensiv bewirtschaftet werden. Dazu kommen Landflucht und das Versagen lokaler Regierungen, einerseits eine Logistik zu schaffen, mit der frische Waren zum Markt gelangen können, und andererseits die Kleinbauern in Sachen Anbau, Sortenkunde und Düngemittel zu schulen. Sehr viel Geld wurde in die Industrialisierung und den Aufbau von Exportindustrien investiert, die ländliche Entwicklung aber wurde vernachlässigt: Nur vier Prozent der Entwicklungshilfe kommen laut Weltbank der Landwirtschaft zugute. Das rächt sich nun.

Entwicklungshilfe

Hilft sie den Hunger in der Welt zu bekämpfen oder schadet sie eher? Sollte man die Hilfsgelder drastisch aufstocken, wie NGOs fordern? Oder sie ganz abschaffen, da sie in vielen Ländern kaum Verbesserungen gebracht haben? Für beide Auffassungen gibt es stichhaltige Argumente. 2300 Milliarden Dollar staatliche Hilfe wurden in den vergangenen 50 Jahren gezahlt; die Weltbank schätzt, dass der Anteil der Armen an der Weltbevölkerung seit 1990 um zehn Prozent geschrumpft ist. Doch das ist vor allem auf das Wachstum in Indien und China zurückzuführen. In vielen Ländern Afrikas ist der Lebensstandard sogar gesunken. Der kenianische Wirtschaftswissenschaftler James Shikwati argumentiert, Entwicklungshilfe habe in Afrika autoritäre Führer gestärkt, die Korruption begünstigt, sie raube den Menschen das Gefühl, eigenverantwortlich zu sein und mache sie passiv.

Belegt ist: Vor allem die Nahrungsmittelhilfe ist ein Riesengeschäft für die Industrieländer, die ihre Erzeugnisse exportieren können. Besser ist es, Geld in Krisengebiete zu schicken und lokal einzukaufen. Nur etwa ein Viertel der Entwicklungshilfe wird laut Weltbank für echte Entwicklungsarbeit verwendet: um Kinder zur Schule zu schicken oder Krankheiten zu bekämpfen. Den Rest verschlingen Katastrophenhilfe, Schuldenerlass oder die Bürokratie. Besonders effektiv im Kampf gegen Armut wären sinkende Geburtenraten und eine bessere Familienplanung, die sich viele Frauen im Süden auch wünschen. Doch in der Amtszeit von George W. Bush wurden US-Hilfen für solche Programme drastisch gekürzt - zu stark ist der Einfluss konservativer, religiöser Lobbygruppen.

Text: Andrea Benda, Meike Dinklage, Beate Koma Foto: Reuters

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