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"Tussikratie": Übertreiben wir es mit dem Feminismus?

Seit einigen Jahren reden wir wieder viel über den Feminismus. Zu viel, meinen die Autorinnen des Buches "Tussikratie". Wir haben sie gefragt, was sie gegen Frauenförderung haben und ob ihnen die Männer leidtun.

"Frauen können heute nichts falsch und Männer nichts richtig machen." Mit dieser These fordern Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling die Frauenförderer in Deutschland heraus. In ihrem neuen Buch "Tussikratie" beschreiben die Autorinnen, warum sich Frauen heute mit der Geschlechterdebatte oft selbst im Weg stehen. BRIGITTE-Redakteurin Michèle Rothenberg sprach mit ihnen über Frauen als Weltenretter, Diskurspolizisten und eine fehlende Männerbewegung.

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Sie schreiben in Ihrem Buch: "So einen guten Ruf wie heute hatten Frauen in Deutschland noch nie." Das ist doch eine gute Nachricht. Warum gönnen Sie das den Frauen nicht?

Theresa Bäuerlein: Es ist nicht so, dass wir es den Frauen nicht gönnen, wir sind ja selber welche. Wir kritisieren, dass Frauen heute entweder als Weltenretter dargestellt werden, oder als arme Opfer, die von den Männern unterdrückt werden. Das ist ein Widerspruch, der verwirrend ist und unangenehm. Die beiden Extreme verstellen den Blick dafür, wie die Welt wirklich ist.

Aber ist es nicht typisch für eine Übergangszeit, dass eine Gesellschaft zwischen Extremen pendelt? In vielen Bereichen sind Frauen noch benachteiligt, während manche schon dabei sind, die Welt zu verändern.

Theresa Bäuerlein: Natürlich sind wir in einer Übergangszeit. Aber ich halte es nicht für selbstverständlich, dass diese Zeit zu einer gleichberechtigten Gesellschaft führt. Im Moment sieht es eher so aus, als ginge es darum, den Spieß umzudrehen. Nach dem Motto 'Die Männer haben es versaut, jetzt müssen die Frauen es richten.'

Friederike Knüpling: Wir glauben, dass die ganze Gleichstellungdebatte den Frauen nicht guttut. Sie beschert ihnen eben nicht eine 'Hochzeit in der Weltgeschichte der Frauen', wie es oft beschrieben wird. Es überfordert viele Frauen, dass sie ständig als diejenigen, die die Männer endlich überrunden sollen, dargestellt werden. Es ist eine schwierige Welt, in der wir leben, und die Probleme, die wir haben, müssen Männer und Frauen gemeinsam lösen.

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Und die "Tussi", um die es in Ihrem Buch geht, ist diejenige, die die Debatte am lautesten führt?

Theresa Bäuerlein: Die 'Tussi' ist für uns keine bestimmte Person, sondern eine innere Haltung, die heute viele haben, Frauen wie Männer. Sie legen an jedes Thema die Perspektive der Frauenbenachteiligung an. Auch dann, wenn eigentlich andere Fragen wichtiger wären.

Friederike Knüpling: Auf diese Weise werden Geschlechterrollen eher zementiert als aufgelöst. Theresa und ich haben festgestellt, dass wir uns in den letzten Jahren durch die vielen Beiträge zur Frauenfrage plötzlich viel stärker 'als Frauen' wahrgenommen haben als früher. Oft behindert uns das aber. Es kann einem die Energie nehmen, die in individuellen Zielen steckt. Stattdessen sieht man sich als eine von denen, die unweigerlich Opfer von Diskriminierung sind, selbst wenn sie das selbst vielleicht gar nicht spüren.

Aber ist die Tussi-Haltung nicht nur ein Extrem der Debatte? Sie selbst beschreiben im Buch auch viele nachdenkliche Stimmen.

Theresa Bäuerlein: Ja, aber es ist schon so, dass nur bestimmte Meinungen erlaubt sind. Wir nennen das auch 'Diskurspolizei'. Wer es wagt, ein anderes Bild von einer Frau zu zeichnen, von einer, die vielleicht keine Führungsposition oder keinen Job in einer Männerbranche will, wird abgestraft. Uns stört auch der Gruppenzwang. Wenn eine Frau keine Kinder möchte oder sich nicht automatisch auf die Seite der Mütter schlägt, wird sie angegriffen. Als würden alle Frauen das Gleiche wollen oder denken. Eine offene Diskussion sieht anders aus.

Sie wünschen sich also weniger Schwarz-Weiß in der Debatte. Wenn die Frauen aber nur in Grauschattierungen argumentieren - hört ihnen dann noch jemand zu?

Friederike Knüpling: Sicher muss man auch mal überspitzt und radikal sein. Aber man muss dann auch wieder einen Schritt zurücktreten und sich anschauen, wie es weitergehen kann und was unser Ziel ist. Wir brauchen einen echten Meinungsaustausch. Einen Streit, in dem neue Handlungsmöglichkeiten gefunden werden können.

Sie sagen "Männer können heute nur alles falsch machen." Tun Ihnen die Männer leid?

Friederike Knüpling: Ich denke, dass Männer genauso von Rollenbildern eingeschränkt werden wie Frauen. Männer haben es zum Beispiel scheinbar viel schwerer, im Beruf auf Teilzeit zu gehen und sich mehr um die Familie zu kümmern. Es kommt mir oft so vor, als hätten Frauen insgesamt mehr Möglichkeiten zu wählen, auch in dem, was sie erleben wollen, was sie fühlen und artikulieren dürfen. Das zeigt sich schon in der Mode. Frauen können sich viel mehr ausdrücken, heute einen Anzug tragen und morgen ein Blumenkleid. Die Mode für Männer ist viel einseitiger.

Theresa Bäuerlein: Mir tun die Männer leid, weil sie bislang keine echte Männerbewegung hatten. Und offenbar glauben, das bräuchten sie nicht. Es gibt zwar ein paar Gruppen, die sich zu Wort melden, aber das ist ein wütender Protest, der nicht viel bewirkt. Es geht selten darum, was Männer wirklich wollen. Das fängt bei den Kindern an: Den Mädchen wird beigebracht, dass sie alles einfordern sollen, was sie möchten. Und den Jungen bringen wir bei, sich zurückzunehmen. Wir schlagen ihnen vor, Berufe wie Erzieher oder Altenpfleger zu wählen, von denen Mädchen jetzt auch gern mal abgeraten wird. Und trotzdem wird am Ende der Hausmann, der mit selbstgebackenem Kuchen in der Kita erscheint, belächelt. Wir alle müssen unser Männerbild hinterfragen und über echte Wahlmöglichkeiten sprechen.

Sie sagen aber auch im Buch, dass viele Männer heute nur 'Co-Feministen' seien. Sie fänden Gleichberechtigung zwar gut, wollten aber keine Macht abgeben oder bei den Kindern bleiben. Das gibt der 'Tussi' doch Recht - wir sind noch lange nicht am Ziel.

Friederike Knüpling: Das gilt vor allem für die älteren Männer. Bei den jüngeren ist es schwierig zu sagen, was sie sich wünschen. Ob es wirklich stimmt, wenn sie sagen 'Natürlich bin ich Feminist'. Oder ob es nur ein Lippenbekenntnis ist. Ich glaube aber schon, dass viele Männer nicht mehr nur die wandelnde Kreditkarte der Familie sein wollen, dass sie aber oft nicht wissen, wie sie sich davon lösen können.

Nun, dabei könnte helfen, den Frauen die gleichen Gehälter wie den Männern zu zahlen. Sie kritisieren aber den Umgang mit dem 'Gender Pay Gap' im Buch.

Theresa Bäuerlein: Das ist einer der Punkte, wo Frauen sich unglaubwürdig machen, weil sie die Fakten verzerren. Es wird so getan, als würden alle Frauen grundsätzlich 22 Prozent weniger verdienen als Männer, was einfach nicht richtig ist.

Friederike Knüpling: Die 22 Prozent kommen durch viele verschiedene Faktoren zustande. Die müssen wir uns genau anschauen, aber wir können nicht so tun, als sei die Frau grundsätzlich das arme Opfer und Diskriminierung der alleinige Grund. Diese Einstellung verstellt den Frauen den Weg.

Theresa Bäuerlein: Am Ende haben Frauen noch ein schlechtes Gewissen, weil sie sich einen dieser 'weichen Jobs' ausgesucht haben, für die man so schlecht bezahlt wird. Ich selbst habe manchmal das Gefühl, dass es cooler und politisch korrekter gewesen wäre, Physik zu studieren statt Journalistik. Viele Frauen glauben, sie müssten für die Sache der Frau Karriere machen und stellen eigene Wünsche zurück. Das bringt uns doch nicht voran.

Aber ist es nicht schon wieder 'typisch Frau', dass wir uns gegenseitig anzweifeln? Dass Sie also diejenigen, die Frauen fördern wollen, kritisieren statt sie zu unterstützen?

Friedrike Knüpling: Nein, wir wollen auf gar keinen Fall sagen: Frauen, lasst jetzt mal die armen Männer in Ruhe. Wir wollen Frauen nur bewusst machen, dass sie sich selbst beschränken, wenn sie sich als Repräsentantin des gesamten Geschlechts betrachten.

Theresa Bäuerlein: Frauen sollten sich schon bewusst sein, dass es noch Probleme gibt, aber trotzdem nicht ständig mit einem Opfergefühl durch die Welt laufen. Wir müssen unterscheiden können, ob wir schlecht behandelt werden, weil wir eine Frau sind - oder ob es um mich als Person geht. Es kann ja auch mal sein, dass ich einen Job nicht gut mache oder mich die Kollegen nicht mögen.

Was für eine Debatte wünschen Sie sich?

Friedrike Knüpling: Ich wünsche mir, dass wir mehr über Ungleichheit generell reden, unabhängig vom Geschlecht. Nicht jeder Mann ist Chef und nicht jeder Mann verdient gut. Chancengleichheit hat auch etwas mit sozialer Herkunft, Branchenzugehörigkeit oder Alter zu tun. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die soziale Mobilität 'nach oben' zu gering ist, um diejenige aufzuwiegen, die 'nach unten' geht. Oben gibt es die gläserne Decke – aber keineswegs nur für Frauen, und auch nicht für alle von ihnen. Unten wiederum hat man dünnes Eis, während die Mieten munter steigen ... Die Sorge, dass nur ja viele Frauen schick Karriere in diesem System machen mögen, ist mir zu kurz gedacht, denn an der Weise, wie gearbeitet und das Geld verteilt wird, ändert sich durch ein paar Karrieren nicht viel. Darüber sollten wir sprechen, das bringt die Gesellschaft wirklich weiter.

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