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Macht, Einfluss, Karriere: Frauen verändern die Welt

Auf Frauen wird in Zukunft keiner mehr verzichten können, das ist Fakt. Und das heißt für uns alle: Mehr Inhalte, weniger Show. Mehr Kompromisse, weniger Hierarchien. Mehr Entschlossenheit, weniger leeres Gerede. Ganz gute Aussichten, oder? Ein Spurensuche von Kristina Maroldt.

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Mit 16 klebte ich mir einen knallrosa Sticker an die Zimmertür. "Die Zukunft ist weiblich!" stand darauf, eine wackere SPD-Kämpferin hatte ihn mir bei einem Straßenfest in die Hand gedrückt.

Der Spruch war schon damals uralt. Doch im Frühjahr 1993 umwehte ihn ein Hauch von Punk. Keine Frau ohne Stenoblock bewegte sich damals im Dunstkreis deutscher Kanzler-, Ministerpräsidenten- oder Dax-Vorstandsmitglieder-Schreibtische. Dafür hatten im Nachbar-Landkreis meines bayerischen Heimatdorfs gerade zwölf Jungs gedroht, den Gottesdienst zu bestreiken, falls Mädchen als Ministranten zugelassen würden. Von Nürnberg bis New York trommelten Psychologen und PR-Manager zum Aufstand gegen "machtbesessene, verklemmte Emanzen". Und die damalige deutsche Frauenministerin, eine Physikerin namens Angela Merkel, befand nüchtern: "Angesichts der schwierigen nationalen Lage ist es momentan nicht an der Zeit, das klassische Verständnis von Mann und Frau zu ändern."

Heute ist die Physikerin Kanzlerin, und eine geschiedene zweifache Mutter ist Chefin des Internationalen Währungsfonds. In den USA erobern Frauen die Spitzen von Technologie-Riesen wie Yahoo, in Europa dank Quote so manchen Aufsichtsrat und bei den Olympischen Spielen den Boxring. Im deutschen Mittelstand sind schon fast 40 Prozent aller jungen Führungskräfte weiblich. Keine Talkshow kommt noch ohne einen jungen Vater aus, der über seine Abenteuer am Wickeltisch berichtet. Und dieselbe Angela Merkel, die vor 20 Jahren auf die Beibehaltung klassischer Rollenbilder pochte, fordert heute Frauen wie Männer auf, ebendiese in Frage zu stellen: "Ich bin überzeugt: Sie haben viel zu gewinnen."

Es tut manchmal verdammt gut, die Linse auf Weitwinkel zu stellen. Weil einem sonst zwischendrin allzu leicht der Geduldsfaden reißt. Etwa weil der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern in Deutschland seit Dekaden bei 23 Prozent dümpelt. Hallo? Geht denn da gar nichts voran?

O doch. Aber wie bei allen Großbaustellen sieht man die Fortschritte kaum, wenn man mitten in der Baugrube steht. Man braucht ein bisschen Abstand. Einen Bauplan, der den rudimentären Zustand des Projekts zu Baubeginn zeigt. Und eine Flasche Champagner. Es gibt durchaus einiges zu feiern. Auch wenn, da hat sich der rosa Sticker geirrt, die Zukunft wohl doch nicht so weiblich wird wie geplant, sondern - eigentlich noch besser.

Dazu gleich mehr. Jetzt aber erst mal ab in den Keller, zu den Grundmauern des Großprojekts "Weibliche Zukunft". Die sind nämlich erfreulich solide und damit der erste Anlass, als Frau die Korken knallen zu lassen: Sowohl die demografische Entwicklung als auch die Entwicklung der Bildung werden den Vormarsch des doppelten X-Chromosoms in Wirtschaft und Wissenschaft, Politik und Kultur in den nächsten Jahren gewaltig befördern. Bei den Uni-Abschlüssen haben die Frauen die Männer inzwischen abgehängt. Da gleichzeitig die Bevölkerung schrumpft, wird auf Frauen in Zukunft keiner mehr verzichten können. Und das bedeutet: Ihr Einfluss wird weiterhin steigen. Überall. Rasant.

Alte Rollenbilder gelten nicht mehr

Ein bisschen überflüssig wirkt der Fahrstuhl, mit dem einige die Frauen, vor allem in den Wirren der Finanzkrise, gen Chefetage sausen lassen wollten: die Behauptung, Frauen seien grundsätzlich bessere - will sagen verantwortungsbewusstere, sozialere, weitsichtigere - Menschen. Motto: Lasst die Mädels ran, und alles wird gut! Klar, das Personal der Tragödie, die sich 2008/2009 an den Finanzmärkten abspielte, legt einen solchen Schluss nahe: In den Schaltzentralen der Banken saßen vor allem Männer. Doch hatte nicht just eine britische Investmentbankerin eines der verheerendsten Finanzinstrumente der Krise, das Credit Default Swap (CDS), überhaupt erst erfunden? Und gibt es nicht auch Managerinnen, die "an Selbstbesoffenheit, Arroganz und Überheblichkeit nicht mehr zu toppen" sind, wie kürzlich einige Telekom-Angestellte in der "Wirtschaftswoche" über ihre Ex-Chefin Anastassia Lauterbach ätzten? Natürlich gibt es Studien, die zeigen, dass Frauen im Chefsessel besonders gut die ethischen Konsequenzen ihres Tuns im Blick haben. Doch dieselben Studien ergeben auch, dass männliche Chefs ihren Mitarbeitern bei Fehlern konsequenter auf die Finger hauen. Beides sind Führungsqualitäten. Beides könnte helfen, weitere Krisen zu verhindern. Wäre es da nicht am klügsten, auch beide Geschlechter voneinander lernen zu lassen?

Dieser Idee folgt die Treppe, die neben dem Fahrstuhl nach oben führt. Nicht nur Frauen zimmern an ihr herum, sondern auch viele Männer, die das ewige Gerede von den "einfühlsamen Frauen" und den "rücksichtslosen Männer" genauso absurd finden wie eine Ingenieurin das Klischee, Frauen könnten nicht räumlich denken. Pfeifen wir auf die alten Rollen, lautet die Parole der Treppenbauer. Sie engen nur ein, wo doch Raum für viel mehr Luft wäre.

Wer die Stufen der Treppe erklimmt, landet in einer manchmal noch etwas chaotischen, oft überraschenden, immer jedoch aufregend bunten Welt. Kirsten Brühl untersucht sie seit Jahren: Die 47-jährige Zukunftsforscherin analysiert, wie der wachsende Einfluss von Frauen unsere Arbeits- und Konsummärkte verändert. Sie sagt: "Die Welt wird dadurch vor allem vielseitiger. Schon jetzt gibt es immer mehr Spielarten von Arbeiten, Zusammenleben, Wirtschaften. Weil immer öfter alle Qualitäten möglich sind, weibliche wie männliche." Klingt gut. Die Quadratur des Kreises scheint also doch möglich. Aber wie sieht das alles konkret aus?

Wer sich in der Etage am oberen Ende der Treppe umschaut, dem fällt als Erstes auf: Hier fehlen die Zimmerwände. Wohnen und Arbeiten, Familie und Beruf, Gefühl und Kalkül - alles scheint ineinander überzugehen. Wie in einem Loft. "Das hat mit dem Karriereverständnis zu tun, das die Frauen in die Arbeitswelt mitgebracht haben und das auch immer mehr Männer übernehmen", sagt Kirsten Brühl. "Karriere und Erfolg bedeuten immer seltener: Ich steige in einer klassischen Hierarchie auf, verfüge über klassische Statussymbole. Es kann zum Beispiel auch heißen, dass ich über meine Zeit frei verfügen kann. Etwa um ein Herzensprojekt zu verwirklichen, gemeinnützig zu arbeiten oder mich meiner Familie zu widmen."

Mehr Sinn, weniger S-Klasse

Die deutschen Unternehmen reagieren darauf erst seit Kurzem, doch, zumindest ab einer bestimmten Betriebsgröße, ziemlich geschlossen. 98 Prozent der größeren Firmen bieten heute flexible Arbeitszeiten und Home-Office-Möglichkeiten an, hat die Unternehmensberatung McKinsey dieses Jahr im fünften Teil der Studienreihe "Women Matter" herausgefunden. 96 Prozent lassen ihre Mitarbeiter die Karriere flexibel gestalten, etwa durch den reibungslosen Wechsel von Voll- in Teilzeit. 89 Prozent haben Kinderbetreuungs-Angebote - ein Gebot der Stunde und des Wettbewerbs. Denn mit reiner Nettigkeit hat das wenig zu tun. Eher mit kalten Füßen. Für viele Spitzenkräfte ist die Familienfreundlichkeit des Arbeitgebers heute eines der wichtigsten Kriterien, ein Jobangebot anzunehmen oder abzulehnen. Und auch die Diskussion um eine Frauenquote macht den Unternehmen Druck. Dass eine gesetzliche Regelung auf europäischer Ebene vorerst wohl am Veto einiger EU-Mitgliedsstaaten scheitern wird, tut der Brisanz dabei keinen Abbruch. Prominent besetzte Initiativen wie die "Berliner Erklärung" trommeln weiter parteiübergreifend für verbindliche Regelungen - und gegen die freiwillige "Flexi-Quote" von Familienministerin Kristina Schröder. Der Bundesrat beschloss im September eine Gesetzesinitiative, nach der in Aufsichtsräten bis 2018 beide Geschlechter mit jeweils mindestens 40 Prozent vertreten sein müssen. Wer sein Unternehmen für die Zukunft rüsten will, kümmert sich deshalb schon jetzt intensiv um Frauenförderung.

Zumal eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch der Wunsch von immer mehr Männern ist. Zwar nimmt erst ein Viertel aller Väter Elternzeit, und wenn, dann auch meist nur die kürzeste Variante von zwei Monaten. Doch laut "Familienmonitor" würden 60 Prozent ihre Arbeitszeit gern weiter und umfassender reduzieren. Und je jünger die Väter sind, desto länger und früher pausieren sie auch tatsächlich im Job, um sich um die Kinder zu kümmern. "Der Trend zum engagierten Vater wird auf jeden Fall anhalten", sagt der Soziologe Harald Rost, der an der Universität Bamberg den Wandel von Familienbildern erforscht.

Davon profitieren nicht nur Kinder und Partnerinnen, sondern auch viele Branchen. In einer Welt, in der immer mehr Menschen beides wollen, hart und weich sein, Familie und Karriere haben, genießen und gestalten, gibt es nämlich ganz neue Marktlücken, hat Kirsten Brühl beobachtet. "Wenn die Rollen flexibler werden, müssen Frauen und Männer mehr Zeit in das Aushandeln von Zuständigkeiten stecken. Alles, was an anderer Stelle beim Zeitsparen hilft, wird deshalb in den nächsten Jahren gefragt sein."

Mal machtbewusst, mal nachgiebig

So unterstützen schon heute Agenturen wie der PME Familienservice im Auftrag von Unternehmen Arbeitnehmer bei der Suche nach Krippenplätzen oder Haushaltshilfen. Dank Lieferdiensten wie "KommtEssen" oder "Tischline deck dich" kann man sich seine Einkaufstüten samt Rezepten und passenden Zutaten an die Haustür bringen lassen. Und spezielle Gebäudesystemtechnik-Programme ermöglichen Life-Work-Jongleuren, den Herd auch noch vom Büro aus per Fernsteuerung auszuschalten.

Pragmatismus statt Protzen, lautet das Motto. Frauen wollen Technik vor allem nutzen und nicht bis ins Letzte verstehen. Das erklärt nicht nur den sagenhaften Erfolg von smart designten Alleskönnern wie iPhone, iPpad & Co, sondern auch, weshalb 2003 ein unauffälliger Akkubohrschrauber zum Verkaufsschlager wurde: 1,5 Millionen Mal ging der "Ixo" von Bosch über den Ladentisch, 60 Prozent der Käufer waren Frauen. Die Erfolgsformel des Überraschungshits: leicht, handlich, kompakt.

Wer jetzt allerdings glaubt, in einer von Frauen geprägten Zukunft werde automatisch alles klein, nett und niedlich, könnte falscher nicht liegen. Denn während die Männer beim Espressomaschinenpolieren und Babyschwimmen, in Koch- und Yogakursen tatsächlich ihren noch zu Goethes Zeiten als urmaskulin geltenden Sinn für Gefühl und Ästhetik neu schärfen, gehen die Frauen zum Kickboxen und trainieren in Coaching-Seminaren "Das Arroganzprinzip". Oder sie setzen sich ins Kino und lassen sich von der neuen Armada angriffslustiger Film-Amazonen inspirieren: Gegen die kühle Entschlossenheit einer Lisbeth Salander (Stieg-Larsson-Trilogie) oder Katniss Everdeen ("Die Tribute von Panem") wirkt der einst größte Macho der Filmgeschichte, James Bond, in seinen letzten Filmen wie ein empfindsamer Hesse-Leser.

"Über die Phase, in der wir männliche oder weibliche Eigenschaften per se gut oder schlecht finden, sind wir zum Glück hinaus", sagt Kirsten Brühl. "Denn je nachdem, auf welchem Spielfeld wir uns bewegen, müssen wir ständig unsere Rollen wechseln. Mal fokussiert und machtbewusst sein, mal empathisch und nachgiebig. Die Welt wird deshalb sicher nicht weiblich. Sie wird vollständiger." Und damit abwechslungsreicher. Leichter. Freier.

Als ich neulich wieder in meinem alten Kinderzimmer war, fiel mir der rosa Sticker ins Auge: "Die Zukunft ist weiblich". Ich musste an Lisbeth Salander denken und an den Akkubohrschrauber und habe kurz überlegt, ob es nicht an der Zeit wäre, den Sticker endlich abzuziehen. Ich habe ihn dann doch kleben gelassen. Manchmal ist es ganz gut, übers Ziel hinauszuschießen, um es zu treffen.

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Deutschland rangiert laut einer aktuellen Studie auf einem internationalen Spitzenplatz, wenn es um weiblich besetzte Positionen im Top-Management geht. Allerdings kann es noch nicht mit den bestplatzierten Staaten wie Schweden, Norwegen oder die Niederlande mithalten. In unserem Video sprechen Frauen aus der Praxis über die möglichen Gründe dafür, darunter BRIGITTE-Chefredakteurin Brigitte Huber.

Text: Kristina MaroldtBRIGITTE 24/2012

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