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Es ist ganz einfach Warum das Streiten übers Gendern so sinnlos ist

Gendern: Warum der Streit darüber so sinnlos ist
Der Streit ums Gendern ist wirklich sinnlos, wenn man mal innehält und nachdenkt
© Viktoriia / Adobe Stock
Ein emotional geführtes Streitthema: das Gendern. Dabei ist es so sinnlos, darüber ständig zu diskutieren, wenn man kurz innehält und nachdenkt.

Über die Notwendigkeit oder doch Unmöglichkeit des Genderns wird gerne diskutiert – wobei niemand der Beteiligten dabei wirkt, als hätte er:sie Spaß an der Sache. Wenn es eine Emotion dabei gibt, dann ist es wohl doch eher die Wut.

Dabei ist jedwede Emotion, die in die Diskussion rund um den Sinn und Unsinn vom Gendern gesteckt wird, doch eigentlich vergeudete Energie – nicht etwa, weil das Thema nicht wichtig wäre und auf derselben Ebene liegen würde wie darüber zu streiten, ob Ananas auf Pizza die gourmettechnische Krönung sei oder nicht. Vielmehr, weil hier über etwas gestritten wird, dass schlicht nicht als Grundlage für eine Diskussion zu fungieren hat: Biologie, Sprache und vor allem Empfindungen.

Das "vernünftige Argument" hat bei vielen Streitthemen keine Verwendung

Die Streitkultur hat sich über die Jahrhunderte geändert. Mit der Aufklärung hielt die Logik Einzug, wer überzeugen wollte, nutzte – naturgegeben emotionslose – Argumente. Das klappt heutzutage nicht mehr so famos, schaut man sich die teils fruchtlosen Versuche an, Menschen die Gefahr eines Coronavirus anhand von Zahlen, Graphen und Fakten zu erklären. Manche Themen wiederum eignen sich aufgrund ihrer Emotionalität schlichtweg nicht für ein Streitgespräch. 

"Heute wird oft versucht, die Naturwissenschaften als Maßstab für den Vernunftgehalt eines Arguments zu nehmen", erzählt Kommunikationspsychologe Frank Naumann im Interview mit der "ZEIT". Aber das funktioniere bei vielen gesellschaftlichen oder ethischen Fragen einfach nicht. Das "vernünftige Argument" setze sich in der Regel auch heute nicht durch, so der Psychologe weiter. "Was sich durchsetzt, sind Interessen." Und die kann im Zweifel ohnehin die stärkere Partei durchsetzen – wie zum Beispiel die Mehrheitsgesellschaft.

Worum es vielen beim Gendern geht

Und welche Interessen hat diese in Bezug auf das Gendern? Gern genannt werden zwei Argumente, die gegen das Gendern sprechen sollen: Die Zerstörung der deutschen Sprache und die Aufrechterhaltung der "biologischen Natürlichkeit". Beide sind heuchlerisch, geht es doch eigentlich mehr um die nicht anzutastende Vormachtstellung der gesellschaftlich gesetzten Normen. Genauer, der Heteronormativität, nachdem der Mensch heterosexuell, cis und "bestenfalls" weiß ist. Trotzdem sprechen wir einmal spaßeshalber kurz über die beiden Argumente und warum sie für sich genommen schon vollkommener Nonsens sind, ohne bereits Empfindungen in diese Gleichung miteinzubeziehen.

Der Sinn des Genderns

Warum überhaupt Gendern? Einfach, weil die deutsche Sprache ihre Grenzen hat. Das generische Maskulinum denke ja alle Menschen mit, heißt es oft von Befürwörter:innen. Aber dem ist nicht so. Mal abgesehen davon denken Worte nicht, sondern bilden lediglich die Realität ab. Das ist zumindest ihre eigentliche Aufgabe. Aber Worte wie "Lehrer" oder "Arzt" tun das nicht. Wohingegen "Lehrer:innen" oder "Ärzt:innen" eine Schweigesekunde erzwingt für Menschen, die von der deutschen Sprache diskriminiert und unsichtbar gemacht werden. Wem das zu blöd ist, der:die kann ja auf "Lehrkräfte" und "medizinisches Personal" zurückgreifen – oder was ihm:ihr noch so einfällt.

Denn das ist ja das Schöne an der deutschen Sprache, deren Zerstörung manche befürchten: Sie ist flexibler, als wir manchmal meinen. Und was kann man zu der befürchteten Apokalypse der deutschen Sprache sagen? Gott zum Gruße, liebes Fräulein und edler Recke. Führt Ihr Federkiel und Pergament mit Euch, werter Gevatter und reizende Jungfer? Sodann, schreibet nieder: Sprache verändert sich. So war es immer, so wird es bleiben. Tut sie das nicht, ist sie tot. Soll das etwa das Ziel sein? 

Geschlecht meint nicht nur zwei Schubladen

Die "biologische Natürlichkeit" ist das nächste, gern herangezogene Argument. Und ich muss mich doch jedes Mal aufs Neue fragen, wenn ich in den sozialen Medien von Menschen wie Berthold und Gertrude lese, wenn diese mit so einer Selbstsicherheit von zwei Geschlechtern schreiben: Handelt es sich bei den beiden um renommierte Biologie-Professor:innen, die der Frage nach den Geschlechtern nicht nur nachgegangen sind, sondern auch noch eine Antwort gefunden haben?

Denn auch, wenn manche Wissenschaftler:innen wie Marie-Luise Vollbrecht das behaupten mögen: Was Geschlecht genau ausmacht und wie viele Geschlechter es gibt, ist immer noch ein sehr heiß diskutiertes Thema unter Wissenschaftler:innen verschiedener Bereiche. Wie es Molekularbiologe Emanuel Wyler in einem "ZEIT"-Interview auf den Punkt bringt: "Verschiedene Fachdisziplinen meinen jeweils etwas anderes, wenn sie von Geschlecht sprechen."

Berthold und Gertrude könnten vielleicht da Konsens schaffen, wo es die Wissenschaft nicht vermag

Wie Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher im Interview mit "Der Standard" zusammenfasst, sollte bei der bildlichen Vorstellung von Geschlecht nicht an Schubladen, sondern vielmehr an unterschiedliche Ausprägungen entlang einer Achse gedacht werden. Aber vielleicht hat einfach niemand die Handynummer von Berthold und Gertrude. Die könnten die zwei Schubladen herauskramen und Konsens schaffen.

Darum ist Gendern ein sinnloses Streitthema

Sich müde zu fühlen, ist eine Empfindung. Traurig zu sein oder sich diskriminiert und nicht gesehen zu fühlen, ist es ebenfalls. Wenn ich sage: "Ich bin heute sehr müde", dann ist das keine Einladung zur Diskussion, keine Aufforderung zum Abwiegen, warum ich mich oder eben auch nicht müde zu fühlen habe. Wenn ich äußere: "Ich fühle mich traurig", dann war das nicht als Einladung gemeint, mir meine Emotionen mit einem: "Sei nicht traurig, du hast so viel und andere so wenig" abzusprechen.

Ich sehe dich, wie kann ich dir helfen?

Und wenn sich eine Person von der deutschen Sprache diskriminiert fühlt oder ich als weißer cis Mann, der in 99% der Fälle von der Sprache abgedeckt ist, sie als diskriminierend empfinde, dann ist das nicht gemeint als Bitte, sich sogleich zu Wort zu melden und zu schreien: "Dieser ganze Gender-Wahnsinn geht mir so auf die Nerven, ich kann es nicht mehr lesen!!!" Allerhöchstens kann es als Hinweis verstanden werden. 

Auf die eigentliche damit gemeinte Aussage: "Hey, hier läuft etwas schief, hier werden Menschen verletzt, ich fühle mich verletzt", kann dann folgen: "Ich sehe dich, wie kann ich dir helfen?"

Verwendete Quellen: zeit.de, derstandard.de, taz.de, mittelalter-tross.de, deutschlandfunk.de, geo.de

Brigitte

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