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Gender Pain Gap "Deine Schmerzen sind normal für eine Frau"

Frau mit Schmerzen Hand an Stirn haltend
© Graphicroyalty / Adobe Stock
Im Vergleich zu Männern leiden Frauen laut Studien häufiger unter Schmerzen – und dennoch werden diese öfter abgetan. Was das mit der Gender Pain Gap zu tun hat, erfährst du hier.

Immer wieder hört man, dass Frauen Schmerzen besser ertragen als Männer. Mit fragwürdigen Schmerz-Simulatoren, die sich Männer in Fernsehshows umschnallen, werden Wehen oder Regelschmerzen simuliert und die Männer stöhnen: "Wow, da müsst ihr jeden Monat durch?", heißt es. "Das könnte ich ja nicht." Gleichzeitig aber gelten Frauen als hysterisch und sensibel – auch was ihre Schmerzempfindlichkeit betrifft. Komisch. Denn beide Annahmen widersprechen einander. Sie haben lediglich eine Gemeinsamkeit: nämlich, dass sie verheerende Folgen für die Gesundheit von Frauen haben können – und alle anderen Personengruppen, die keine weißen cis-Männer sind.*

Die Gender Pain Gap

Gender Pay Gap, Gender Health Gap, Gender Pain Gap. Ganz schön viele Gaps. Sie alle beschreiben ein bestehendes Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen, bei denen die Frauen den Kürzeren ziehen. Die Gender Pain Gap bezieht sich auf das Phänomen, dass Schmerzen bei Frauen im Vergleich zu Männern aufgrund von Forschungslücken und Vorurteilen schlechter verstanden und behandelt werden. Damit haben viele Frauen im Alltag mit Sicherheit ihre Erfahrungen gemacht. Allein, wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre, reichen die Geschichten aus, um ein Buch zu füllen.

Eine meiner engsten Freundinnen litt im Teenageralter regelmäßig unter so starken Periodenkrämpfen und Blutungen, dass sie immer wieder bewusstlos wurde. Diese heftigen Schmerzen wurden von ihrem Frauenarzt als "normale" Regelbeschwerden abgetan. Sie wurde fünf Jahre lang damit allein gelassen, bis sich eine Ärztin der Sache angenommen hat und meine Freundin letztlich die passende Diagnose und Behandlung erhielt. Eine Kollegin erzählte kürzlich davon, dass ihr Migräne-Leiden immer wieder auf Stress und ein hormonelles Ungleichgewicht geschoben wurde. Auch sie fühlte sich nicht ernst genommen.

So viel unnötiges Leid

Frauen werden oft abgewiesen, wenn ihre Beschwerden keine sofort ersichtliche, klare Ursache haben, und damit abgespeist, dass bestimmte Symptome eben als typisch weiblich zu akzeptieren seien und daher keine Behandlung benötigen. Dr. Marieke Bigg, Soziologin und Autorin des Buches "This Won't Hurt: How Medicine Fails Women", bestätigt diese Annahme und erklärt, dass medizinisches Fachpersonal die Symptome von Frauen immer wieder fälschlicherweise auf Stress oder Hormone zurückführe. Männer hingegen würden eher zu einer ärztlichen Untersuchung geschickt – selbst wenn sie über die gleiche Art von Schmerzen klagen.

Zudem ist man in der Medizin lange davon ausgegangen, dass Frauen Schmerzen insgesamt besser ertragen, weil ihr Körper doch auf all die schmerzhaften Dinge wie Schwangerschaften, Geburten und Co. ausgelegt sei. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall. Frauen reagieren sogar sensibler auf Schmerzen und ihr Schmerzempfinden schwankt oft in Abhängigkeit von ihrem Zyklus. Im Laufe der Jahre haben diese Fehleinschätzungen dazu geführt, dass die Schmerzen von Frauen bis heute oft ignoriert werden, Frauen länger auf eine Diagnose warten und in diesem Prozess nicht die nötige Unterstützung erfahren.

Die Medizin hat die männliche Brille auf

Die Ursachen für die Gender Pain Gap sind komplex, vielfältig und reichen weit in die Vergangenheit zurück. Jedoch überrascht es nicht, dass wir heute hier sind, wo wir sind, wenn man bedenkt, dass Frauen erst seit 1993 an klinischen Studien teilnehmen dürfen. Eine FDA-Richtlinie von 1977 untersagte es nämlich bis dahin, Frauen im gebärfähigen Alter an Medikamentenstudien teilzunehmen. Bis 1993 wurden medizinische Studien, Beobachtungen und Eingriffe ausschließlich bei Männern durchgeführt. Dass der weibliche Körper erst seit etwa 100 Jahren genauer untersucht wird, bedeutet natürlich, dass wir einiges aufzuholen haben. Die massive Lücke im Hinblick auf das Wissen rund um die Gesundheitsvorsorge bei Frauen schließt sich nicht von allein.

Dass in der Forschung immer noch überwiegend von einem "männlichen Standard" ausgegangen wird, bedeutet auch, dass weniger über Schmerzzustände bekannt ist, von denen vermehrt Frauen betroffen sind, oder darüber, wie sich diese Zustände auf Frauen im Vergleich zu Männern auswirken. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Frau ein Herzinfarkt fehldiagnostiziert wird, ist laut einer Studie um 50 Prozent höher. Medikamente werden falsch dosiert, weil sie nur an männlichen Körpern getestet wurden und so weiter. Die Gefährdung für Frauen, die aus der Lücke entsteht, ist dementsprechend groß. Dafür, dass mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung weiblich ist, ist das ziemlich problematisch.

Das Bild der hysterischen Frau

Nicht nur der männliche Standard in der Medizin ist ein Problem, das die Gender Pain Gap mitbegründet, auch frauenfeindliche Stereotype und Rollenbilder prägen leider noch immer die Wahrnehmung unserer Gesellschaft – auch die der Ärzt:innen. Wenn eine Frau unter diffusen Schmerzen leidet und der:die behandelnde Mediziner:in nicht direkt auf eine klare Ursache stößt (wie beispielsweise ein gebrochenes Bein), dann passiert es bei Frauen häufiger, dass ihnen eine psychologische Behandlung geraten wird. Ihre Schmerzen werden öfter abgetan oder weniger ernst genommen als die der Männer.

Das geschieht unbewusst, basiert aber auf sexistischen Vorurteilen, die immer noch stark in unserer Gesellschaft verankert sind. Wenn Frauen leiden, gelten sie eher als hysterisch und emotional, während Männer als tapfer wahrgenommen werden. Das führt dann wiederum dazu, dass "männlichen" Schmerzen mehr Ernsthaftigkeit zugeschrieben wird. Dr. Elizabeth Losin, die Direktorin des Social and Cultural Neuroscience Laboratory der University of Miami, erklärt: "Unsere Daten deuten darauf hin, dass Menschen die Schmerzberichte von Frauen aufgrund weit verbreiteter kultureller Stereotype unbewusst abwerten."

Um dennoch mit einer guten Nachricht zu schließen: Die Schmerzforschung bei Frauen läuft zwar noch lange nicht auf Hochtouren, aber zumindest geht es in die richtige Richtung, zum Beispiel für Migräne-Patientinnen. Eine Studie der Berliner Charité hat nämlich herausgefunden, dass der Entzündungsbotenstoff, der bei Migräne freigesetzt wird, während der Periode besonders hoch ist. Zudem sind Frauen insgesamt dreimal häufiger von Migräne betroffen als Männer. Solche Forschungsergebnisse geben Hoffnung, dass die Gender Pain Gap vielleicht bald kleiner wird. 

*Anmerkung: Ich beziehe mich aus Gründen der historischen Voreingenommenheit in diesem Artikel auf Frauen. Dennoch sind auch Personen, die sich nicht als weiblich identifizieren von der Gender Pain Gap betroffen. Frau kann hier durchweg mit dem Akronym FLINTA* Person (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) ersetzt werden. 

Verwendete Quellen: sciencefocus.com, sciencedirect.com, journals.sagepub.com, gov.uk, zeit.de, wellbeingofwomen.org.uk, charite.de, telegraph.co.uk, apotheken-umschau.de

Brigitte

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