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Gender Gap Wie Kindermedien Mädchen prägen

Mädchen liest Buch
© skolovaln / Brigitte
Gender-Kindermedien-Gap. Oder: Wie Mädchen in Kinderbüchern, -serien & Co. viel weniger Abenteuer erleben als Jungs.

Fangen wir ganz am Anfang an: Frauen wird ja quasi ihr Leben lang attestiert, dass sie sich "einfach" mehr zutrauen sollten, "einfach" mal selbstsicherer auftreten sollten, "einfach" mehr Geld verlangen sollten und so weiter. Nur: Sich "einfach" etwas zu trauen, setzt Eigenschaften wie Selbstsicherheit und Selbstüberzeugung voraus, Risikofreude, Mut und viele andere Dinge, die für die allermeisten Frauen auch heute noch überhaupt nicht selbstverständlich sind. Denn wir reden hier zwar von Frauen, die mit Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter groß geworden sind, deren Poesiealben aber auch voll waren mit Sprüchen wie "Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein – und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein."

Dabei sind Kinderbücher ein gutes Stichwort. Schauen wir uns zum Einstieg doch mal an, wie "einfach" es Mädchen und Frauen wirklich schon seit ihrer Kindheit gemacht wird, Selbstsicherheit, Risikobereitschaft und all das andere Zeug zu lernen, das man braucht, um sich das später mit den Gehaltsverhandlungen und Führungspositionen "einfach mal" zuzutrauen.

Wie sehr junge Frauen schon von klein auf in ihrer Abenteuerlust und Selbstsicherheit gebremst werden, zeigte neulich eine eindrucksvolle Analyse der "Süddeutschen Zeitung", die 50 000 Kinderbücher aus sage und schreibe 70 Jahren Kinderliteraturgeschichte analysierte und herausbekam, dass männliche Helden in Kinderbüchern fast drei Mal so viele Abenteuer erleben wie ihre weiblichen Pendants. Auch die Orte der Abenteuer sind bei Mädchen viel belangloser, es gibt viel Alltag und viel Schulferien, während in Jungsbüchern in wilden Wäldern oder auf hoher See die Post abgeht. Oder wie es die "Süddeutsche" in ihrer Studie sehr passend zusammenfasste: Jungen machen in Büchern tendenziell häufiger außergewöhnliche, spannende, auch gefährliche Erfahrungen, die Erlebniswelt von Mädchen dagegen zeigt Abenteuer mit ihrer Familie in den Schulferien auf einem deutschen Reiterhof.

Warum männliche Redeanteile so problematisch sind

Wie sieht es mit Kinderserien aus? Wie ist da die Jungs-Mädchen-Verteilung? Aktuell sind 56 Prozent der Protagonist:innen in deutschen Zeichentricksendungen männlich. Roboter und Maschinen? Sind zu 77 Prozent männlich. Tierfiguren? Zu 82 Prozent. Und selbst Fantasiepflanzen hören zu 92 Prozent auf männliche Vornamen. Wow.

Dass von den menschlichen Held:innen immerhin 44 Prozent weiblich sind, ist zwar an sich erfreulich, heißt aber nicht, dass diese Mädchen und Frauen dann auch viel zu sagen hätten. Denn was und wie viel Mädchen sagen dürfen, ist immer noch geringer im Vergleich zu den verbalen Ergüssen von Jungs. Disney ist hier ein sehr "gutes" Beispiel: Yasmin, die sich in "Aladdin" gegen Bevormundung wehrt? Muss sich gleichzeitig gegen 90 Prozent männliche Redezeit behaupten. Mulan rettet im gleichnamigen Film als Teenager quasi ganz China? Doch wie viel männliche Redezeit steht dieser Heldinnentat gegenüber? 75 Prozent! Und selbst die gefeierten "Frozen"-Figuren Anna und Elsa fallen in diese Kategorie. Es spielen dort zwar gleich zwei weibliche Hauptheldinnen mit, das hindert die Männer in der Erzählung aber nicht daran, trotzdem einen höheren Redeanteil zu haben.

Was das mit den Frauen und ihren späteren Ausbildungen, Jobs und Aufstiegschancen zu tun hat? Na, dass Frauen offenbar schon sehr früh lernen, dass für ihren Redeanteil, für ihre Gedanken, für ihre Ideen und Argumente der Platz rar ist. Während Jungs schon früh erfahren, dass sie als Männer mehr und länger werden reden dürfen. Und so übertrieben das klingen mag, ist genau das tatsächlich bei den heute erwachsenen Frauen und Männern in Deutschland zu beobachten. Studien zeigen eindeutig, dass erstens Frauen auf Veranstaltungen, Panels und Co. tatsächlich weniger Redeanteil haben als Männer, und dass zweitens, Männer Frauen doppelt so oft unterbrechen als andersherum – im Fachjargon gern "Man-terrupting" oder "Him-terrupting" genannt.

Kommen wir zu den Kinderserien zurück und zu der Art und Weise, wie diese Figuren dargestellt werden. Man könnte meinen, wir sind hier schon längst weiter, nur zeigen Untersuchungen, dass satte 50 Prozent aller aktuellen weiblichen Figuren in deutschen Trickserien einen anatomisch unmöglichen Körper haben. Jede zweite Mädchenfigur also, die unsere Kinder heute über den Laptop oder Fernseher flimmern sehen, hat eine viel zu schmale Taille, viel zu große Brüste und viel zu dünne Beine. Oder anders ausgedrückt: Rippen, Magen, Leber haben in diesen Körpern keinen Platz. Trotzdem sieht jedes zweite Cartoon-Mädchen so aus und suggeriert ihren kleinen Zuschauer:innen, dass es so auch zu sein hat. Während sich die Schönheitschirurgie schon voller Vorfreude die Hände reibt. Klar, auch Jungs werden in solchen Trickfilmen gern übertrieben breitschulterig und übermuskulös dargestellt. Nur: Mal raten, wie viele männliche Kinderfiguren laut derselben Analyse tatsächlich einen anatomisch unmöglichen Körper haben? Sechs Prozent. Einstellig. So viel also dazu …

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Frauen sterben eher, wenn sie von einem Mann statt von einer Frau operiert werden; die Inflation ließ Preise für weibliche Kleidung höher steigen als für männliche … Weitere Fakten zum Haareraufen liefert Alexandra Zykunov in "Was wollt ihr denn noch alles?!". (304 S., 16 Euro, Ullstein)

Brigitte

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