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Sexistische Sprüche: Mitmachen oder Klappe halten?

Frauen der "#Aufschrei"-Initiative sind empört: Bundespräsident Gauck verharmlose die Sexismus-Debatte mit seinen Äußerungen im "Spiegel". Dass Männer auch anders denken können, zeigt BRIGITTE-Autor Till Raether: Er ist von sexistischen Sprüchen selbst genervt.

Joachim Gauck und die Sexismus-Debatte

Sexistische Sprüche: Mitmachen oder Klappe halten?
© Imago/Metodi Popow

Hält der Bundespräsident die Sexismus-Debatte, ausgelöst durch einen stern-Artikel, für übertrieben? Zumindest sorgen seine Äußerungen im aktuellen "Spiegel" für neuen Zündstoff: "Wenn so ein Tugendfuror herrscht, bin ich weniger moralisch, als man es von mir als ehemaligem Pfarrer vielleicht erwarten würde." Und: "Aber eine besonders gravierende, flächendeckende Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen kann ich hierzulande nicht erkennen", so Gauck.

Frauen der Twitter-Kampagne "#Aufschrei" sind entsetzt und verfassten bereits einen offenen Brief an den Bundespräsidenten. Die verharmlosende Sicht würde die Schicksale von Frauen herunterspielen.

BRIGITTE-Autor Till Raether kann die Sexismus-Debatte nachvollziehen. Er erlebt, dass viele Männer nicht anders können als Sprüche über das Aussehen von Frauen zu machen. Mitmachen oder Klappe halten? Raether hat festgestellt, dass beides daneben ist.

BRIGITTE-Autor Till Raether über den alltäglichen Sexismus

Häufig werde ich von anderen Männern eingeladen, mich mit ihnen über Frauen und ihre Körper zu unterhalten, insbesondere ihre sekundären Geschlechtsmerkmale. Indirekt aber auch ihre primären, nicht zu vergessen: ihre Ärsche. Meist kenne ich diese Männer gar nicht oder ich habe ein eher geschäftliches und kein enges persönliches Verhältnis zu ihnen.

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Ich stehe mit drei anderen Männern am Schalter einer Autovermietung. Kurz läuft eine Mitarbeiterin durchs Bild, um einen Autoschlüssel zu holen. Als sie wieder draußen ist, schürzt einer der mir fremden Männer anerkennend die Lippen und zeigt pantomimisch, indem er seine Hände in Brusthöhe zu Melonen formt, wie sehr ihn die Brüste der fremden Frau beeindruckt haben. Die anderen Männer nicken zustimmend. Ich tue, als ginge mich das nichts an, höchstens rolle ich mit den Augen. Oder: Ich bin mit einem Kollegen, den ich nur flüchtig kenne, abends in der Kneipe, und weiter hinten sitzt eine Frau, an die ich mich von früher erinnere. Als mir einfällt, woher, sage ich: "Ach, das ist ja die Dings, die kenne ich aus der Uni, die hab ich immer bewundert." Der Kollege grinst und sagt: "Das heißt, du wolltest sie ficken." Oder: Ein Manager aus einer anderen Abteilung, mit dem ich zweimal Mittag essen war, soll mir eine Mitarbeiterin vorstellen, und auf dem Weg zu ihr sagt er: "Das ist die Frau mit dem besten Arsch im ganzen Büro."

"Schmierige kleine Mannschaften": In vielen Büros hört man heute noch ähnliche Macho-Sprüche wie aus der Serie "Man Men"
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© Lionsgate

Die Liste ist endlos. Die so genannte Sexismus-Debatte der letzten Wochen hat mich angeregt, über das Unbehagen und den Ärger nachzudenken, die ich bei solchen Erlebnissen empfinde, aber nicht rauslasse. Es ist nur eine Fußnote der ganzen Geschichte, aber: Es stört mich, dass Männer, die ich nicht oder kaum kenne, immer wieder versuchen, mich in ihre schmierige kleine Mannschaft zu ziehen. Sie gehen davon aus, dass man automatisch dabei ist, wenn sie in Geschäftsräumen, Umkleidekabinen oder Bürofluren über Frauen und Sex reden.

Allein deshalb, weil man wie sie ein Y-Chromosom und einen Penis hat. Vermutlich ist es die gleiche Art von Männern, die es lustig finden, Angela Merkel "Mutti" zu nennen. Männer, die sagen: "Ah, Sie arbeiten bei BRIGITTE, da gibt's ja bestimmt viele schöne Frauen, können Sie sich da überhaupt konzentrieren?" Büroleiter, die zur Interviewpartnerin sagen: "Na, kann ich Sie denn mit Herrn Raether allein lassen?" und schelmisch in meine Richtung zwinkern, bevor sie die Tür schließen.

Das ist nicht im engeren Sinne schlimm und macht mich nicht zum Sexismus-Opfer. Im Gegenteil, es macht mich zum passiven Mittäter. Denn habe ich jemals gesagt: "Also bitte, wie reden Sie denn?!" Nein, denn es ist ja nie so richtig ernst, der Ton bleibt scherzhaft. Und es fällt mir schwer, eine bis dahin ganz gute Stimmung zu verderben, indem ich mich "prüde", "puritanisch", "verklemmt" oder "unentspannt" verhalte. Das sind gängige Vorwurfsvokabeln, die in der Debatte immer wieder fallen: Man solle das alles nicht so ernst nehmen, wer souverän sei, könne so was an sich abperlen lassen oder mit einem Spruch abbiegen, und so weiter.

Mich kotzt aber schon an, dass ich mich überhaupt damit beschäftigen muss. Ich rede mit guten Freunden über Freundinnen und Sex und bei BRIGITTE auch mit vielen Kolleginnen. Aber warum soll ich mich in der neutralen Öffentlichkeit oder anderswo im Beruf mit derart privatem Zeug wie der Attraktivität anderer Frauen und meinen erotischen Vorlieben beschäftigen?

Ich muss lachen, wenn ich höre, da gebe es doch so viele Zwischentöne, und wohin kämen wir denn, wenn wir alles Sexuelle verteufeln, man solle sich doch locker machen. Locker, Zwischentöne, Sex? Darum geht es doch gar nicht. Auch das, was ich als Mann erlebe, hat ausschließlich mit Macht zu tun. Männer reden so und versuchen, andere Männer mit in den Mist reinzuziehen, um sich gegenseitig zu versichern: In diesem Spiel bestimmen wir die Regeln. Wir entscheiden, ob wir an einer Frau erst ihren Körper oder erst was anderes kommentieren. Das hat nichts mit Flirten, Schäkern oder Hirngespinsten vom im Grunde romantischen Macho zu tun: Wenn Männer anderen Männern ihren Sexismus aufnötigen, geht es dabei nur darum, die brüchigen Unterdrückungsstrukturen zu reparieren.

Natürlich bin ich nicht der Einzige, der davon genervt ist. Wir sind aber eben eine nicht Sprüche klopfende, nicht Geschlechtsmerkmale kommentierende, kurz: eine schweigende Mehrheit. Und es spricht nicht für mich, dass mir das jetzt erst klar wird: Mein Stillschweigen muss anderen immer zustimmend erschienen sein.

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